Wirtschaft

Auto-Experte Becker sieht Risiken Daimler gehorcht der Not

Die "Welt AG" war für Daimler ein Fiasko, der Konzern verbrannte Milliarden. Doch nun wagt Daimler einen neuen Versuch: Statt auf Chrysler und Mitsubishi setzen die Stuttgarten auf Renault und Nissan. Automobil-Experte Helmut Becker warnt vor den Risiken für Daimler - doch das Management müsse wohl der Not gehorchen. Becker, ehemaliger Chefvolkswirt von BMW, leitet das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation in München.

Daimler-Chef Dieter Zetsche.

Daimler-Chef Dieter Zetsche.

(Foto: Reuters)

n-tv.de: Daimler ist mit der so genannten Welt AG grandios gescheitert. Nun kommt ein neuer Versuch. Zwei Symbole der deutschen und der französischen Wirtschaftsmacht verbünden sich. Nissan ist auch dabei. Haben Sie ein gutes Gefühl oder eher Bauchschmerzen?

Helmut Becker: Ich habe eher Bauchschmerzen. Nicht weil die Konzerne sich verbinden wollen, sondern weil die Not den Daimler-Konzern offenbar dazu zwingt, trotz des misslungenen Abenteuers mit der "Welt AG" und der Katastrophen mit Chrysler und Mitsubishi dasselbe schon wieder zu versuchen.

Bevor die Stuttgarter Interesse an der Kooperation mit Renault und Nissan gezeigt haben, gingen sie auf Volkswagen/Audi, danach auf BMW. Doch diese Partner haben einen Zusammenschluss abgelehnt. Der Welt-Automobilmarkt ist begrenzt, es gibt nur wenige Spieler. Somit blieben im Prinzip - außer Peugeot und Fiat - nur noch Renault und Nissan – und mit denen muss Daimler sich nun einig werden. Viel mehr Auswahl gibt es nicht! Und das weiß Renault-Chef Ghosn auch.

Renault bringt Nissan mit in die Partnerschaft.

Renault bringt Nissan mit in die Partnerschaft.

(Foto: REUTERS)

Wo liegt denn das Risiko bei dieser Kooperation?

Für Daimler liegt das Risiko im Image-Schaden. Normalerweise holt man sich einen Partner, der auf gleicher Augenhöhe steht. Renault und Nissan sind ganz gewiss nicht auf einer Augenhöhe mit Daimler. Der Zusammenschluss mit Chrysler war damals schon der letzte Ausweg und eine grandiose strategische Fehlentscheidung des Herrn Schrempp. Das war bereits ein großer Image-Schaden. Die jetzige Situation geht in die gleiche Richtung.

Hat Daimler denn gar nichts aus der Vergangenheit gelernt? Immerhin muss es einen Grund geben, warum der Konzern zunächst nur eine Zusammenarbeit und keine Überkreuzbeteiligung mit Renault und Nissan wollte.

Natürlich hat Daimler aus dem Zusammenbruch dieser "Hochzeit im Himmel" mit Chrysler, wie es früher mal so schön hieß, etwas gelernt. Damals hat der Konzern Chrysler zu hundert Prozent übernommen und dabei am Ende etwa 50 Milliarden Euro und mehr verbrannt. Deswegen wollte Daimler jetzt vorsichtig sein. Trotzdem kam es zu einer Überkreuz-Beteiligung, weil sonst Renault nicht mit gemacht hätte.

Das Wichtige dabei ist allerdings: es fließt kein Geld. Jeder bekommt nur Anteile des Anderen. Eine reine Zusammenarbeit wäre viel einfacher gewesen. Wenn eine Kapitalbeteiligung durchgeführt wird, müssen nämlich auch die Alt-Aktionäre gefragt werden. Im Fall Daimlers sitzen die wichtigsten hauptsächlich in Abu Dhabi. Das erschwert die Sache zusätzlich. Dass trotzdem eine gegenseitige, dreiprozentige Beteiligung und keine bloße Zusammenarbeit vereinbart wird, hat einen sehr einfachen Grund. Daimler beugt sich dem Druck Renaults – und hier greift ein deutsches Sprichwort: Die Not treibt's rein.

Die Daimler-Allianz will mit Größenvorteilen punkten, setzt also auf den Massenmarkt. Warum macht dieses Ziel mehr Sinn als mit einem kleinen elitären Kundenkreis Geld zu verdienen?

Hier geht es nicht darum, dass Daimler mit einem neuen Auto in den Massenmarkt und damit ein neues Segment einsteigt. Hier geht es um eine Zusammenarbeit "unter dem Blech", bei der Plattform. Das bedeutet: Es interessiert den Kunden überhaupt nicht. Es gibt nun eine gemeinsame Plattform, die beide Seiten benutzen können, wenn sie in Zukunft ein gemeinsames Auto, wie etwa den neuen Smart, bauen wollen. Beide Konzerne werfen ihre Technik auf diese Plattform. Renault beispielsweise den Clio oder den Scènic, und Daimler die A- oder die B Klasse.

Helmut Becker

Helmut Becker

Daraus entsteht dann ein Auto aus verschiedenen Konzepten, doch für den Kunden ist das nicht erfahrbar, jeder kriegt weiterhin den Hut, der im passt. Für die Kosten der Konzerne macht es allerdings einen großen Unterschied, wenn sie mit dieser Plattform-Strategie eine Million Autos und nicht nur 200.000 Stück herstellen können. Das nennt man Degressions-Vorteile, oder neu-deutsch: "Economy of Scale": "Skalen-Erträge".

Auf dem heutigen Weltmarkt spielt dieses Konzept eine zunehmend strategisch wichtige Rolle. Es geht nicht mehr um die Größe einzelner Unternehmen, sondern um die Größe dieser gemeinsamen Plattformen – und diese erreicht man eben auch durch Kooperationen mit anderen Konzernen, nicht nur durch eigene Größe. Dadurch ist allerdings nicht gewährleistet, dass man Geld verdient, sondern erst einmal nur, dass man Kosten einspart. Ein höherer Absatz ist damit zunächst nicht verbunden. Den braucht man aber, um richtig Gewinne zu machen.

Daimler verdient bislang vor allem mit Oberklassewagen Geld. In Sachen Kleinwagen lässt der Erfolg auf sich warten: Der Smart ist nicht gerade eine Erfolgsgeschichte. Jetzt soll ein neuer Smart kommen, wird der sich gut verkaufen?

Der Smart war seit seiner Markteinführung 1998 ein Außenseiter im Daimler-Portfolio, denn klein hieß damals immer auch billig. Sie können sich als Autobauer mit der höchsten Premium-Akzeptanz schwer von diesem Image lösen. Vor allem nicht, wenn man sich vornimmt, das kleinste Auto der Welt zu bauen. Das hätte vielleicht Dacia in Rumänien machen können, aber nicht Daimler. Dieser Spagat innerhalb der Modellpalette ist sehr schwer zu bewältigen. Als Nobelhersteller können sie keine billige Seifenkiste herstellen.

Daimler hat beim Smart zwar versucht die Seifenkiste möglichst teuer zu machen, damit nicht der Eindruck eines Billig-Angebots entsteht. Das ist der Smart aber. Er ist gemessen an dem was er bietet unglaublich teuer und hat trotzdem all die Jahre nur rote Zahlen geschrieben. Allerdings hat er für Daimler und Renault einen großen Vorteil: er ist das geborene Kooperationsvehikel. Immerhin wurde er in Deutschland entwickelt und wird in Frankreich, in Hambach im Elsass gebaut. Auf dieser Basis können beide Seiten nun Vorteile ziehen.

Generell gelten Kleinwagen und alternative Antriebe als die automobile Zukunft. Sehen Sie das auch so?

Kleinere Autos mit niedrigerem Verbrauch und alternative Antriebe sind ohne Zweifel die Zukunft. Autos werden daher generell kleiner. "Small is beautiful!" Im oberen Segment wird es aber weiterhin auch noch größere Fahrzeuge geben. Das Entscheidende ist, dass auch sie in Zukunft weniger verbrauchen werden.

Das äußere Volumen eines Autos ist bisher an die Vorstellung gekoppelt: "das ist ein Benzinsäufer". "Groß" war bislang gleichbedeutend mit "durstig" – und dieser Konnex wird sich in Zukunft auflösen. Groß heißt in Zukunft auch "sparsam". Es wird ein "down-sizing" im Autobau erfolgen, allerdings vor allem beim Gewicht und beim Antrieb, so bei Dingen wie Zylinderzahl und Benzinverbrauch. Die Karosserien der Autos mögen durchaus noch relativ groß bleiben, in jedem Fall werden sie leichter und der Verbrauch wird deutlich sinken. Das ist der zentrale Ansatz im modernen Automobilbau.

Auch bei anderen deutsch-französischen Kooperationen gibt es gerne einen Machtkampf der verschiedenen Seiten um die Führung. EADS/Airbus ist dafür ein gutes Beispiel. Sehen Sie in der Zusammenarbeit zwischen Daimler und Renault eine ähnliche Gefahr oder erwarten Sie eine gleichberechtigte Partnerschaft?

Die Gefahr von Macht-, besser gesagt: Hahnenkämpfen, ist ebenso groß wie bei EADS und Airbus. Ghosn ist ein Pedant und kein einfacher Mensch, Zetsche sieht einem on-dit zufolge mit seinem Schnauzbart auch nur gemütlich aus. Ein Mobil-Ingenieur, der bei Daimler groß geworden ist und das Unternehmensimage von hundert Jahren Autobau einer Nobelmarke mit sich trägt, tut sich natürlich schwer mit einem Ingenieur, der bisher nur Massenprodukte hergestellt hat. Dazu kommen mögliche interkulturelle Probleme.

Zulieferer, die an französischen Partnerschaften gescheitert sind, haben mir gesagt: "Mit den Franzosen ist schwer Kirschen essen." Wenn man zwischen 13 und 15 Uhr keinen Ansprechpartner hat, weil alle Mittagessen sind, dann ist die Abstimmung natürlich schwierig. Im Gegenzug arbeiten die Franzosen dann bis acht oder neun Uhr abends, da sind die Deutschen längst zu Hause. Solche kulturellen Unterschiede sind auch bei EADS und Airbus zum Tragen gekommen. Generell gilt: einer muss auf Dauer das Sagen haben. Das Problem zu lösen halte ich bei Daimler und Renault/Nissan schon für schwierig, da beide Partner sehr selbstbewusst sind. Zum Glück schreiben beide Verluste, das mag einiges vereinfachen.

Die Würfel sind gefallen. Es kommt zur deutsch-französisch-japanischen Allianz. Worin liegen jetzt die Herausforderungen für Daimler?

Die Herausforderung liegen im Wesentlichen in den kulturellen Barrieren – in den Image-Konstrukten, die die Konzerne in der Vergangenheit voneinander getrennt haben. Man konnte während der "Ehe" von Daimler und Chrysler noch sagen: Chrysler ist weit weg, jenseits des Atlantiks, dort herrscht ein anderer Markt. Da waren die Markenunterschiede und die Querelen der Verbindung für die Öffentlichkeit nicht so offensichtlich.

Unterschiedliche Unternehmenskulturen treffen aufeinander.

Unterschiedliche Unternehmenskulturen treffen aufeinander.

(Foto: Reuters)

Zwischen Daimler und Renault liegt allerdings nur der Rhein. Renault ist ein ur-französischer Autobauer, den es beispielsweise in den USA gar nicht gibt. Daimler ist dagegen ur-deutsch. Die größten Probleme sehe ich in der Überwindung der Unterschiede in diesen beiden Unternehmenskulturen. Nicht in der sachlichen Zusammenarbeit auf technischer Ebene sehe ich die größten Probleme, Ingenieure sind schließlich rational gepolt. Die Sätze der Thermodynamik sind doch für alle gleich. Die Frage nach der Führung in dieser Sache wird die gemeinsame Arbeit auf der Sachebene bestimmen.

Allerdings: Die Lunch-Zeiten müssen harmonisiert werden! Zugleich sollte man die kulturellen Unterschiede jetzt auch nicht überbewerten: Zwischen BMW und Daimler dürften sie vielleicht noch größer sein. Mit einer einzigen Gemeinsamkeit: Sie können beide alles – außer Hochdeutsch!

Mit Helmut Becker sprach Robert Meyer

Quelle: ntv.de

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