Wirtschaft

Griechenland ringt um Milliarden "Das Geld reicht bis Ende April"

Da braut sich etwas zusammen.

Da braut sich etwas zusammen.

(Foto: REUTERS)

Verlässt Griechenland die Eurozone? Wahrscheinlich nicht, sagt Christian Schulz von der Bank Berenberg. Weder einen "Grexit" noch einen Schuldenschnitt hält der Ökonom für eine gute Idee. Mit ihm sprach n-tv.de über Sparpolitik, Steuererhöhungen und Verhandlungspoker.

n-tv.de Wann geht der griechischen Regierung das Geld aus?

Christian Schulz: Unsere Arbeitshypothese ist, dass das Geld Ende April nicht mehr reicht. Dann stehen die nächsten Gehalts- und Pensionszahlungen an. Die Rückzahlung eines Kredits an den IWF am 9. April in Höhe von 450 Millionen Euro werden die Griechen noch meistern können. Wenn das nicht der Fall wäre, wäre der Druck bereits so hoch, dass wir kurz vor der Lösung des Problems stünden.

Für wie wahrscheinlich halten Sie einen "Grexit"?

Christian Schulz ist Ökonom bei der Bank Berenberg in London.

Christian Schulz ist Ökonom bei der Bank Berenberg in London.

Wir sehen die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland in der Eurozone bleibt, bei 75 Prozent. Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder macht die aktuelle Regierung unter Alexis Tsipras die notwendigen Kehrtwenden im Bereich der Sparmaßnahmen und Strukturreformen, bleibt an der Macht und hält Griechenland im gemeinsamen Währungsraum. Oder es kommt zu Neuwahlen, und die neue Regierung vollzieht diese Kehrtwenden.

Bleibt eine recht hohe Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland die Eurozone verlässt

Ja. Das kann geordnet geschehen mit Verhandlungen vor dem Austritt, mit Kapitalkontrollen, die den Austritt dann möglichst schmerzfrei gestalten. Oder es kommt zu einem unkontrollierten Austritt mit einer schweren Rezession, großer Kapitalflucht, mit einem regelrechten Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft.

Es wäre ja auch möglich, dass sich die Eurozone bewegt, um Griechenland in der Eurozone zu halten.

Die Eurozone bewegt sich bereits. Griechenland muss nicht alle Fiskalziele erfüllen, der Primärüberschuss für dieses Jahr wird neu verhandelt. Die griechische Wirtschaftskrise lässt ja kaum etwas anderes zu. Zwar hat Syriza die Verschärfung der Krise und die Steuerausfälle die damit verbunden sind, selbst verschuldet. Aber jetzt Griechenland zu zwingen, die alten Ziele, die unter ganz anderen Wachstumsprognosen festgezurrt worden sind, zu erreichen, wäre kontraproduktiv. Was Griechenland aber vor allem braucht, sind Strukturreformen.

Tsipras setzt einen anderen Schwerpunkt und will die "desaströse" Sparpolitik beenden. Ist das angesichts jahrelanger Rezession und hoher Arbeitslosigkeit nicht richtig?

Absolut. Das griechische Programm, das 2010 begann, hat sich zumindest in den Anfangsjahren zu stark auf Sparmaßnahmen konzentriert. Sparen ist zwar eine gute Medizin. Doch zu viel davon kann einen Patienten töten. Die Frage ist: Wie erreicht man nachhaltiges Wachstum? Mit zusätzlichen staatlichen Ausgabenprogrammen kann man sicherlich kurzfristig das Wachstum stärken. Langfristig hilft das allerdings wenig. Hier helfen – und das zeigen die Beispiele Spanien, Portugal oder Irland – beispielsweise Reformen des Arbeitsmarktes.

Tsipras kündigt an, Maßnahmen zu verhindern, die das Wachstum hemmen. Zugleich denkt er über Mehrwertsteuererhöhungen in Touristenhochburgen nach. Wie passt das zusammen?

Da sehe ich einen Widerspruch. Auch die Erhöhung des Mindestlohns oder die Stärkung der Gewerkschaften im Tarifprozess bremsen die Konjunktur. Es ist schon bemerkenswert: Die Troika fordert mehr Sparmaßnahmen und mehr Strukturreformen. Die Griechen wollen weniger Reformen und weniger Sparmaßnahmen. Beide Seiten steuern nun auf einen Kompromiss zu, der letztlich das Schlimmste aus beiden Welten bedeuten könnte - mehr Sparmaßnahmen, höhere Steuern und weniger Strukturreformen. Dabei wäre es wünschenswert, wenn es weniger kurzfristige Sparmaßnahmen und mehr Strukturreformen geben würde.

Warum ist es so schwierig, einen Kompromiss zu finden?

In den Verhandlungen wird hoch gepokert. Jede Seite versucht, bis zum letzten Moment ihre Position zu verbessern. Sie schlägt erste Kompromissangebote aus in der Hoffnung, einen besseren Deal zu bekommen. Das ist normal.

Wäre ein "Grexit" nicht die beste Lösung? Das wünscht sich nicht nur ein Teil von Syriza, sondern beispielsweise auch der Ökonom Hans-Werner Sinn. Ihr Argument: Durch eine Abwertung der neuen Währung würde Griechenland wettbewerbsfähig.

Es ist auf jeden Fall interessant, wenn ein konservativer deutscher Ökonom und linksradikale griechische Politiker das Gleiche vorschlagen. Ein Ausstieg aus dem Euro ist im akademischen Elfenbeinturm gut für Griechenland. Denn das Land würde demnach kurzfristig Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, könnte billiger produzieren und wäre als Reiseland attraktiver. Aber das ist nicht ohne Preis zu haben. Die starke Abwertung würde die Kaufkraft weiter Teile der griechischen Bevölkerung drastisch reduzieren und zu enormer Inflation führen.

Würde Griechenland ein Schuldenschnitt helfen?

Kurzfristig würde ein Schuldenschnitt wenig bringen. Griechenland könnte sich selbst dann nicht wieder am Markt refinanzieren. Denn einen Schuldenschnitt vergessen Investoren nicht so schnell. Das Land wäre also auch dann noch immer auf Finanzierung durch den Rest der Eurozone angewiesen. Hinzu kommt, dass Griechenland in den kommenden Jahren relativ wenig Schulden tilgen muss. Erst 2022 oder 2042 stehen große Rückzahlungen an. Zudem ist die Zinslast für Griechenland auf ausstehende Schulden ohnehin sehr gering. Dazu kommt: Was in Griechenland passiert, hat Auswirkungen auf andere Länder. Wenn Athen einen neuen Schuldenschnitt bekommt, werden das auch andere Regierungen fordern. Das sind die berühmten Ansteckungseffekte, die man im Auge behalten muss.

Mit Christian Schulz sprach Jan Gänger

Quelle: ntv.de

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