Wirtschaft

Fünf Weise stoßen auf kritische Distanz Der Kompass der Nation wird 50

Der Chef des Gremiums, Wolfgang Franz, überreicht Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende 2012 das Jahresgutachten.

Der Chef des Gremiums, Wolfgang Franz, überreicht Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende 2012 das Jahresgutachten.

(Foto: REUTERS)

Seit 1963 legen sie jährlich ein Gutachten zur deutschen Wirtschaftsentwicklung vor. Im Herbst erscheint der 50. Bericht. Ihre Expertisen lösen selten Begeisterung aus. Und doch haben die Wirtschaftsweisen etliche Entwicklungen vorbereitet. Dabei waren sie schon vor ihrem ersten Arbeitstag nicht unumstritten.

Am Anfang klingt es wenig schmeichelhaft: Weshalb er sich eine Laus in den Pelz hole, soll Bundeskanzler Konrad Adenauer seinen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard dereinst gefragt haben. Zum vorgezogenen Festakt im vergangenen Februar anlässlich des 50-jährigen Bestehens würdigte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Wirtschaftsweisen dann aber als "eine Art ordnungspolitisches Gewissen", aus dem sich "ein Maß an Orientierungsmöglichkeit für die Politik" ergebe. Und offenbar damit es nicht zu viel Lob wird, schob Merkel nach, diese "nutzen wir mit kritischer Distanz".

Am 14. August 1963 tritt das "Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" in Kraft. Beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden wird eine Geschäftsstelle eingerichtet. Fortan legt das Gremium aus fünf Mitgliedern jährlich zumeist im Herbst ein entsprechendes Gutachten vor. Die Regierung hat dann acht Wochen Zeit für ihre Stellungnahme.

Volker Wieland - seit März Mitglied des Gremiums - schätzt an der Arbeit insbesondere, "Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in die wirtschaftspolitische Analyse und Beratung einfließen zu lassen". Seine Schwerpunkte seien dabei Geldpolitik, Europäische Währungsunion, Haushaltspolitik und Konsolidierung sowie die Regulierung der Finanzwirtschaft, sagt der Wirtschaftsprofessor der Frankfurter Goethe-Universität.

Bundesregierung moniert "unrealistische Vorlieben"

Anfang 1964 werden mit Wilhelm Bauer, Paul Binder, Herbert Giersch, Harald Koch und Fritz Meyer die Gründungsmitglieder berufen und nehmen zwei Wochen später die Arbeit auf. Ihr erster Wirtschaftsbericht trägt den Titel "Stabiles Geld - Stetiges Wachstum" - und wird von der Bundesregierung kritisiert. In ihrer Stellungnahme moniert sie, der Rat habe eine "unrealistische Vorliebe" für fluktuierende Wechselkurssysteme. Einige Erörterungen wolle sie lieber der Wissenschaft überlassen. "Das gilt zum Beispiel für die ungeklärte Frage über das Verhältnis von Preisstabilität und Wachstum."

Dennoch hat der Rat nach Einschätzung von Hans Tietmeyer, seines Zeichens ehemaliger Präsident der Bundesbank, zum 40. Jubiläum des Gremiums entscheidend dazu beigetragen, dass das Thema Wechselkursflexibilität zum Thema wurde. Merkel versicherte in ihrer Rede, dass sich die Regierung für eine freie Entwicklung der Wechselkurse einsetze.

Diskussionsniveau gehoben

In den 70er Jahren, führte Tietmeyer weiter aus, verschaffte der Rat dann dem angebotspolitischen Ansatz zunehmend Anerkennung. Später drängten die Sachverständigen zunehmend auf Reformen. Kurzum: Der Rat habe geholfen, wichtige politische Weichenstellungen zu ermöglichen sowie das Streit- und Diskussionsniveau zu heben.

Daran erinnert auch Wieland: "In der Vergangenheit hat das Gremium mit seinen Analysen der wirtschaftlichen Entwicklung immer wieder Anstöße für erfolgreiche Reformen geliefert, ob in der Fiskal- und Steuerpolitik, der Arbeitsmarktpolitik oder der Verbesserung der Nachhaltigkeit unseres Rentensystems."

Doch der frühere Präsident Tietmeyer moniert auch ein Verharren in Fachsprache, zu umfangreiche Berichte sowie die "fehlende Nachhaltigkeit der Präsentation der Probleme und der notwendigen Fachdiskussion mit der Politik". Vom ersten Sondergutachten 1964 hatten die Experten nach der Abgabe nach Angaben des damaligen Mitglieds Giersch nie wieder etwas gehört.

Merkel bei der Festveranstaltung im Februar zum 50-jährigen Bestehen des Sachverständigenrates zwischen den damaligen Mitgliedern Peter Bofinger, Claudia Buch, Wolfgang Franz, Christoph Schmidt und Lars Feld. (v.l.n.r.)

Merkel bei der Festveranstaltung im Februar zum 50-jährigen Bestehen des Sachverständigenrates zwischen den damaligen Mitgliedern Peter Bofinger, Claudia Buch, Wolfgang Franz, Christoph Schmidt und Lars Feld. (v.l.n.r.)

(Foto: picture alliance / dpa)

Merkel versicherte dagegen, dass "ihr Wort weit über die jeweilige Bundesregierung hinaus Gewicht habe". Das Gremium habe nur eben manchmal warten müssen, "bis das passiert ist, was Sie schon lange als notwendig angesehen haben" - etwa viele Teile der Agenda 2010.

Ähnlich sieht es Wieland. Er habe den Eindruck, dass "die Arbeit des Gremiums in der Regierung und den Ministerien ernst genommen" werde. "Natürlich gibt es immer wieder gegensätzliche Einschätzungen, und man kann nicht erwarten, dass Einschätzungen seitens des Rates ohne weiteres von den Entscheidern übernommen werden. Trotzdem bin ich sehr positiv beeindruckt, wie wir dort doch immer wieder auf offene Ohren treffen."

Oder wie es der Wirtschaftsweise Peter Bofinger ausdrückt: "Als Volkswirt braucht man eine gewisse Frustrationstoleranz. Ich denke, das gehört einfach zu dem Job dazu, dass man für sich glaubt, gute Ideen zu haben und die Möglichkeit, das in die politische Umsetzung zu bringen. Das gelingt dann zwar nur begrenzt, doch das ist Teil des Geschäfts", sagt er n-tv.de. "Historiker sind Wissenschaftler, die sich mit Dingen befassen, die nicht mehr zu ändern sind. Wir haben immerhin die Chance, etwas zu verändern. Es gibt ja auch Dinge, die von Bundesregierungen umgesetzt worden sind."

Zwei Frauen in 50 Jahren

Inzwischen hatte der Rat knapp drei Dutzend Mitglieder - hinzu kommen die Amtsinhaber. Doch in den vergangenen 50 Jahren waren erst zwei Frauen Mitglied in dem Gremium: Beatrice Weder di Mauro trat den Posten 2004 an -  Anfang 2012 folgte ihr Claudia-Maria Buch.

Das Arbeitsklima sei damit gesitteter geworden, heißt es mitunter. So müssen Sondervoten - die es immer wieder gab - nicht zwangsläufig Zeichen schlechter Zusammenarbeit sein. Doch mitunter flogen wohl tatsächlich die Fetzen. So hatten sich etwa Wolfgang Wiegard und Wolfgang Franz mit Peter Bofinger vor gut zehn Jahren in die Haare bekommen und diesem unter anderem mangelnde Teamfähigkeit und Inkompetenz vorgeworfen. Erst der neu gewählte Chef des Gremiums, Bert Rürup, schloss die Reihen des "Kompasses der Nation", wie das langjährige Horst Siebert das Gremium einmal genannt hatte.

Im Spätherbst wird der Rat seine 50. Jahresgutachten veröffentlichen. Merkel stellte dem Gremium in Aussicht, auch seinen 60. Geburtstag feiern zu können. Änderungspläne am entsprechenden Gesetz seien ihr nicht bekannt, sagte sie zumindest im Februar. Nur der Frauenanteil dürfe ruhig noch steigen. Ohne Quote. Und bis zur 100-Jahr-Feier.

Quelle: ntv.de

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