Weltwirtschaft im Wandel Der Staat ist wieder in
12.10.2008, 10:46 UhrDie derzeit tobende Finanzkrise verändert die weltweite Wirtschaft wahrscheinlich weitaus gravierender, als es uns momentan bewusst ist. Mit jedem Tag, an dem die Finanzmärkte wie wir sie kennen in ihren Grundfesten erschüttert werden, ändern sich die Koordinaten für die künftige Wirtschaftsordnung.
Der Neoliberalismus angloamerikanischer Prägung befindet sich, so scheint es zumindest derzeit, auf dem absteigenden Ast. Eine ungeahnte Renaissance erfährt hingegen der Staat als Akteur der Wirtschaft. Noch bis vor kurzem verpönt als lahm, ineffektiv und kostspielig, wird er in der jetzigen Situation als ordnendes Element gebraucht und als letzte Rettung gesucht.
Die Finanzbranche ist das Vorzeigeprojekt des neoliberalistischen Ansatzes. In der Welt der Geldakrobaten gibt es keine Grenzen mehr. Raum und Zeit sind nur ein Frage der aktuellen Koordinaten. Gehandelt und verdient wird immer, es ist nur die Frage wo. Grenzen gibt es weder für die Transaktionen, noch für die Renditen. Und am Ende des Jahres tragen die Banker und ihre Angestellten die Millionenprämien in Form von Sportwagen, Yachten und anderen Luxusgütern zu Markte. Wer hat, der hat.
Verstaatlichung hat seinen Preis
Natürlich wird diese Welt nicht verschwinden, das Investmentbanking in all seinen Facetten nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Doch die einstigen Goldritter der Neuzeit haben durch die Finanzkrise einen schweren Knacks davon getragen. Die Kühnheit und Unverletzbarkeit sind dahin. Übrig bleiben Menschen, die, wie andere Arbeitnehmer auch, mit gepackten Kisten aus dem Büro gehen, so geschehen bei Lehman Brothers. Es ist zu befürchten, dass diese Bilder nicht die letzten ihrer Art sein werden. Gerade erst wurden in Island Banken verstaatlicht, die deutsche Hypo Real ist trotz Milliardenbürgschaften immer noch nicht auf der sicheren Seite.
Wenn sich die Wirtschaft jetzt hilfesuchend dem Staat zuwendet, dann hat auch dieses Vorgehen einen Preis. Das dürfte einigen, die nach Rettung schreien, noch nicht so ganz bewusst sein. Mit dem Einsatz von Steuergeldern ist das Spiel ohne Grenzen und ohne Regeln zu Ende. Das gilt nicht nur für den Finanzsektor. Der radikale Markt-Liberalismus an sich hat sich ad absurdum geführt. Das wird auch Auswirkungen auf die restliche Wirtschaft und Felder staatlichen Handelns haben.
Die Finanzkrise fällt in eine denkbar schlechte Zeit. Denn seit den achtziger und neunziger Jahren wehte dem Kapitalismus noch nie ein so rauer Wind ins Gesicht. In Südamerika erlebt der Sozialismus eine ungeahnte Renaissance. Staatslenker wie Hugo Chavez aus Venezuela sagen den Vereinigten Staaten und ihrem Wirtschaftssystem offen den Kampf an. Russland spielt seine neuen Stärken aus und wähnt sich in Bälde wieder auf dem Level einer Supermacht. In beiden Fällen basiert die neue Stärke auf dem Besitz von Rohstoffen, allen voran Öl. Kontrolliert werden diese durch den Staat. In Russland sind alle Ölmagnaten unter Kontrolle und in Venezuela hat Chavez sämtliche wichtige Elemente der Ölindustrie verstaatlicht.
Dem Markt blind vertraut
In China und Indien hingegen sind neue Konkurrenten erwachsen, die die westliche Welt mit ihren eigenen Mitteln schlägt. Dort werden fleißig Industrien aufgebaut und überschwemmen die Weltmärkte mit ihren Erzeugnissen. Eine Branche nach der anderen muss sich dem Preisdruck aus Fernost ergeben. Nur wenige scheinen resistent gegen die mit Ausbeutung von Mensch und Natur forcierten Preisschlachten. Die Kräfteverhältnisse in der Weltwirtschaft justieren sich neu. Ausgang ungewiss.
Aufgrund der weltwirtschaftlichen Verschiebungen fallen die Auswirkungen auf nationalstaatlicher Ebene noch gravierender aus. Ein Trend der neoliberalistischen Hochphase ist die Privatisierung staatlicher Aufgaben. Der Markt konnte angeblich alles besser und billiger. Briefzusteller, Bahnen, Fluglinien, Flughäfen, Telekommunikation, Strom- und Wasserversorgung oder Müllabfuhr, alles wurde verstaatlicht und sollte sich in die schöne neue Dienstleistungswelt einfügen.
Für viele Bereiche macht die Privatisierung durchaus Sinn. Airlines konkurrieren auf internationaler Ebene miteinander. Das können private Unternehmen besser als staatlich gelenkte. Dienstleistungen in der Telekommunikation können durch Wettbewerb deutlich günstiger angeboten werden. Das ist in Deutschland durchaus zu beobachten. Strom sollte ebenfalls mehr Wettbewerb bekommen. Das würden die Verbraucher vor allem hierzulande direkt im Portemonnaie merken.
Zum Beispiel Thatcher
Schwierig wird es dort, wo Infrastruktur im Spiel ist. Da zeigt gerade das Beispiel Strom. Die Investitionen in die Netze gehen seit Jahren zurück, die Gewinne der großen vier Konzerne auf dem deutschen Markt steigen hingegen unentwegt. Für andere Marktteilnehmer wird die Latte mittels der Durchleitungsentgelte möglichst hoch gelegt. So manifestieren sich verkrustete Strukturen und der Verbraucher schaut in die Röhre.
Was passieren kann, wenn privatisiert wird ohne Rücksicht auf Verluste, zeigt das Beispiel Neuseeland. Dort erlebte 1998 die Metropole Auckland einen Blackout von fünf Wochen, weil die privaten Stromanbieter das Netz als naturgegeben hinnahmen und jegliche Investitionen einstellten. Ähnliches passierte in England, wo die private Schienennetzbetreiber trotz zahlreicher Warnungen gravierende Mängel nicht behoben. Die Folge waren gleich mehrere schwere Zugunglücke. Von den Nachwehen der Privatisierung durch Thatcher in den achtziger Jahren hat sich das Bahnsystem bis heute nicht erholt. Eine Fahrt von Schottland zur Südküste gleicht einem logistischen Alptraum.
So stellt sich die Frage nach Chancen und Grenzen des neoliberalistischen Kapitalismus. Zweifelsohne hat unsere globale Wirtschaft von der Liberalisierung profitiert. Preise in Kernbereichen fielen, Chancen für Unternehmen stiegen. Doch die Finanzkrise hat auch die Kehrseite des grenzenlosen Wirtschaftens aufgezeigt. Jetzt geht die Angst um, vor allem bei den Banken, die der Wirtschaft den Kapitalfluss abdrehen.
Doch so hart die Folgen für unsere Wirtschaft derzeit sind, ein solches Gewitter hat immer auch etwas Bereinigendes. Die Grundkoordinaten der globalen Wirtschaftsordnung werden neu eingestellt. Was am Ende dabei rauskommt, ist derzeit kaum absehbar. Schon heute ist allerdings klar, dass der eher vorsichtige, böse Zungen sagen zögerliche Ansatz, der sozialen Marktwirtschaft bisher relativ robust durch die Krise kommt. Das macht Hoffnung auf eine gute Position der deutschen Wirtschaft in der post-neoliberalistischen Ära. Wie diese aussieht ist momentan allerdings noch weitgehend unklar.
Quelle: ntv.de