Wirtschaft

Dick, durstig, Dauerbrenner? Deutsche sind im SUV-Fieber

46672372.jpg

Sie tragen Kürzel wie "Q" oder "X", heißen Cayenne, Touareg oder Macan - und versprechen Freiheit, Sicherheit und ein Sieger-Image. Kein Wunder also, dass die Neuzulassungsstatistik der SUV boomt. Aber wie lange hält dieser Trend noch an?

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Schon in der Bibel heißt es: "An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!" (1. Johannes 2,1-6). Diese Lebensweisheit könnte man auch auf das Kaufverhalten der deutschen Automobilkäufer anwenden: "An ihren Autos könnt ihr sie erkennen!" Und die Deutschen fahren auf "Sport Utility Vehicle", kurz SUV, ab - Autos, die allgemein mit dem Makel des "dick und durstig" behaftet sind.

Rund jeder fünfte in Deutschland neu zugelassene Pkw fällt inzwischen in die Kategorie sportlicher Geländewagen und dies, obwohl das Gelände zum Bewegen dieser Fahrzeuge eher die Großstadt und die Parkplätze von Supermärkten oder großen Einkaufszentren sind. Und obwohl als Machoauto verschrien, werden sie sehr häufig von zarter Frauenhand gelenkt und sind auch vor Schulen und Kindergärten anzutreffen. Auf Feld, Wald und Flur jedenfalls sieht man sie in Deutschland höchst selten, am ehesten noch bei Golfplätzen.

Wo bleibt das ökologische Gewissen?

Dennoch oder besser gerade deswegen bietet inzwischen jeder Autobauer in Europa sie an - wobei die deutschen Hersteller die wohl umfangreichste Angebotspalette aufweisen. Und der Erfolg gibt der Branche recht, der Markt boomt, das Angebot wird immer breiter und als Kompakt-SUV in die unteren Marktsegmente herabgezogen. Kurzum: Das SUV-Geschäft ist das lukrativste im gesamten Angebotsspektrum. Die Frage ist: Haben die deutschen Umweltweltmeister als Autokäufer ihr ökologisches Gewissen völlig verloren?

Zunächst zu den Fakten:

Der SUV-Boom ist nicht neu und setzte bereits 1995 ein, als die großen Geländewagen aus Amerika zu uns rollten. Allerdings waren sie damals noch eine Nische, denn gerade einmal zwei Prozent aller Pkw in Deutschland waren damals Sports Utility Vehicle. Erst als die deutschen Hersteller den kleineren Kompakten erfanden, begann der eigentliche Siegeszug des SUV. Bereits in den ersten fünf Monaten 2014 wurden laut Kraftfahrzeug Bundesamt (KBA) rund 220.000 SUV in Deutschland neu zugelassen, mehr als knapp zehn Jahre zuvor in einem ganzen Jahr (2005). Allein im September 2014 wurden mehr als 25.000 der sportlichen Geländewagen zugelassen, was den Marktanteil der der dicken und durstigen Gefährte auf rund 20 Prozent trieb. Ein Rekordwert.

Vor allem die Vorliebe der deutschen Autofahrer für Kompakt-SUV nimmt rasant zu. Absehbar ist, dass 2014 etwa 600.000 hierzulande neu zugelassen werden.

Ein Jeepster für die Hipster

Mit weiter alternder Kundschaft ist ein Ende des SUV-Nachfragebooms in Deutschland nicht abzusehen. Im Gegenteil, die Angebotspalette der deutschen Hersteller wird strukturell, also ohne Vorgängermodell, immer breiter. Allein 2014 kommen fünf neue SUV-Modelle auf den Markt (BMW X4, Fiat 500X, Ford Ecosport, Ford Edge und Jeep Jeepster).

Und vom Branchenprimus Volkswagen heißt es, dass er in den nächsten beiden Jahren konzernweit sieben zusätzliche SUV-Modelle neu auf den Markt bringen wird. Porsche hat mit der Vorstellung des Macan, dem kleinen Bruder der Porsche Cayenne, bereits den Reigen eröffnet - ein SUV, der laut Werbung "intensiven Fahrspaß und reichlich Platz für Hobby, Freizeit und Sport bietet" und auch für kleinere Geldbeutel erschwinglich sein soll.

Auf den Highways zu Hause

Und das noch nicht das Ende der Fahnenstange. Nach Schätzungen des IWK werden bis 2020 rund 900.000 - fast ein Drittel aller neu zugelassenen Autos in Deutschland - als SUV zugelassen. Deutschland ist damit mit weitem Abstand Europameister, wenn auch noch nicht Weltmeister. Das sind mit großen Abstand die USA, wo bereits heute der SUV-Anteil bei 30 Prozent liegt.

Einen großen Anteil an diesem Erfolg haben die deutschen Hersteller BMW, Daimler und Audi. Nicht ohne Grund wird BMW sein US-Werk in Spartanburg (South Carolina), wo inzwischen alle SUV der Marke BMW gebaut werden, zu seiner weltweit größten Fabrik ausbauen. Rivale Audi folgt unverzüglich mit hohen Investitionen im benachbarten Mexiko.

Was hat also im Verlauf der letzten zehn Jahre trotz aller ökologischen Bekenntnisse oder steigenden Spritpreise einen solchen Stimmungswandel im Kaufverhalten der braven deutschen Autofahrer bewirkt?

Die Antwort ist ebenso schlicht wie unspektakulär: Die demografische Komponente zeigt sich auch auf dem Pkw-Markt. Die Bevölkerung wird älter - und mit ihr auch die Automobilkäuferschaft. Und die hätten es im Auto gern vor allem altersgerecht bequem und sicher.

Und all das bietet der SUV, ob groß oder klein: Man kann bequem ein- und aussteigen, das schont die strapazierten Gelenke der älteren Kunden; man sitzt höher, bekommt so ein verbessertes Sicherheitsempfinden und hat einen besseren Überblick auf das Straßengeschehen. Gewisse Imagefaktoren in Bezug auf Sportlichkeit und Zeitgeist kommen beim Kauf eines SUV natürlich hinzu.

Der Umwelt (nicht) zuliebe

Allerdings wäre da noch das leidige Thema der höheren Spritverbräuche und der Umweltschädigung, die mit dem Betrieb eines SUV auf den Betreiber wie Hersteller zurückfallen. Denn die Fahrzeuge sind schwerer, haben einen höheren Luftwiderstand, sind stärker motorisiert als vergleichbare Modelle und verbrauchen im Durchschnitt mindestens 25 Prozent Treibstoff mehr als die konventionellen Fahrzeugmodelle.

Noch lässt der Nachfrageboom bei den sportlichen Geländelimousinen in der Automobilindustrie die Gewinne sprudeln, schließlich sind die Modelle meist teurer als vergleichbar motorisierte Pkw. Die Kehrseite der Medaille: Mehr SUV-Anteil in den Verkaufszahlen der Autobauer könnten der Vorgabe zuwiderlaufen, den CO2-Ausstoß für die Flotten der Konzerne künftig merklich zu senken.

Laut EU-Vorgaben soll der Durchschnittsneuwagen von dem Jahr 2020 an pro Kilometer nur noch 95 Gramm des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) ausstoßen; aktuell liegt die Grenze bei 130 Gramm pro Kilometer. Es kommt also auf den Absatzanteil der SUV an den Verkäufen der jeweiligen Hersteller an. Nach heutigem Stand der Technik ist davon auszugehen, dass bei Flottenanteilen ab 30 Prozent die Grenzwerte im Durchschnitt nicht mehr erreichbar wären. Den deutschen Autoherstellern drohten dann hohe Strafzahlungen.

Aber das wären dann die Sorgen von 2020. Und das ist noch lange hin.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen