Weltwirtschaft vor Rezession Deutschland "krebst" herum
05.10.2011, 12:28 Uhr
Der Krebsgang ist nicht die schnellste Fortbewegungsart, aber Stillstand sieht trotzdem anders aus.
(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)
Deutschlands Wirtschaft befindet sich in einem Abwärtssog. Die Wirtschaftsforscher reduzieren alle Nase lang ihre Prognosen. Dennoch ist die hiesige Konjunktur noch entfernt davon, in die Rezession abzurutschen - trotz des abrupten Umschaltens "vom Galopp in den Krebsgang". Für die Weltwirtschaft sehen die Experten dagegen schwarz.
Die Weltwirtschaft hat ein Problem, die Eurozone und Deutschland (bisher) noch nicht: Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt vor einer möglichen weltweiten Rezession im kommenden Jahr. Eine Rezession sei "nicht auszuschließen", sagte der Leiter der IWF-Europaabteilung, Antonio Borges. Zwar rechne der IWF für das kommende Jahr nach wie vor mit einem leichten Wirtschaftswachstum, die wirtschaftliche Aktivität könne sich aber auch zurückentwickeln.
Auch für die Eurozone und speziell für Deutschland verdüstert sich der konjunkturelle Horizont. Allerdings bleibt das Thema Rezession wohl beiden Wirtschaftsräumen erspart. So senkte das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) seine Prognosen für das deutsche Wachstum deutlich und sieht die hiesige Konjunktur inzwischen zwar "im Abwärtssog", wird aber weder 2011 noch 2012 in die "Rezession abgleiten".
"Deutsche Wirtschaft im Abwärtssog"
Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde 2012 nur um 0,7 Prozent zunehmen, 2011 wachse es um 3,2 Prozent, was jedoch wesentlich auf die sehr gute Entwicklung im ersten Quartal zurückgehe, erklärte das Konjunkturinstitut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
"Nach nur gut sechs Monaten Dauer ist die kräftige wirtschaftliche Erholung in Deutschland abrupt beendet", sagten die IMK-Ökonomen, die die Vorhersage gegenüber ihrer Prognose vom Juni für 2011 um 0,8 Prozentpunkte und für 2012 um 1,6 Prozentpunkte zurücknahmen. Bis Ende 2011 werde die deutsche Wirtschaft lediglich mit deutlich gebremster Dynamik wachsen, und im kommenden Jahr setze sich sogar ein stagnativer Trend durch. "Die deutsche Wirtschaft ist in einen Abwärtssog geraten", konstatierten die Forscher.
Kein Abgleiten in die Rezession
Als Hauptursache nannten sie die Schuldenkrise im Euroraum, die bei wichtigen Handelspartnern zu massiven öffentlichen Sparprogrammen und zu einer tiefen Skepsis über die weite wirtschaftliche Entwicklung geführt habe. Darunter leide der deutsche Export. Weitere Faktoren seien die schwache wirtschaftliche Entwicklung in den USA und eine leichte konjunkturelle Beruhigung in Asien. Die Entwicklung am deutschen Arbeitsmarkt sei trotz der starken konjunkturellen Eintrübung vorerst positiv, die Arbeitslosigkeit werde auch 2012 im Jahresdurchschnitt leicht sinken.
Das IMK erwartet im Schnitt 2,98 Millionen Arbeitslose dieses Jahr und 2,87 Millionen im nächsten, was einer Arbeitslosenquote von 7,1 Prozent im Jahr 2011 und 6,8 Prozent im Jahr 2012 entspricht. Für die deutschen Exporte rechnete das IMK mit einem Wachstum um 8,3 Prozent in diesem und 3,6 Prozent im kommenden Jahr. Die Importe legen laut der Prognose 2011 um 7,7 Prozent und 2012 um 4,1 Prozent zu. Die realen privaten Konsumausgaben steigen nach der Erwartung des IMK 2011 um 1,3 Prozent und 2012 um 0,7 Prozent.
"Die gute Nachricht unserer Prognose ist: In dem aus unserer Sicht wahrscheinlichsten Szenario wird die Wirtschaft weder in Deutschland noch im Euroraum 2011 oder 2012 in eine Rezession abgleiten", sagte der wissenschaftliche IMK-Direktor Gustav A. Horn. "Die schlechte Nachricht: Wir sind nicht weit davon entfernt". Die Konjunktur falle im kommenden Jahr "abrupt vom Galopp in den Krebsgang".
EZB ist gefragt
Das IMK ging in seiner Prognose davon aus, dass sich die Staatsschuldenkrise im Euroraum bis Ende 2012 nicht dramatisch zuspitzen wird. Allerdings schlossen die Ökonomen eine Eskalation auch nicht aus. Sollte es beispielsweise in Griechenland zu einem Schuldenschnitt kommen, drohe eine neue Finanzmarktkrise und dem gesamten Euroraum eine tiefe Rezession.
Die Wissenschaftler rechnen damit, dass die Europäische Zentralbank (EZB) Anfang kommenden Jahres "angesichts der sich abschwächenden wirtschaftlichen Entwicklung und der nachlassenden Teuerungsrate ihre verfrühten Zinsschritte zurücknehmen und den Leitzins wieder auf 1,00 Prozent senken" werde.
Die Preissteigerung in Deutschland sahen die Ökonomen 2011 wegen starker Preisausschläge bei Rohstoffen und Lebensmitteln mit 2,3 Prozent etwas über dem Inflationsziel der EZB, für 2012 rechneten sie aber mit einer deutlichen Beruhigung der Teuerung auf 1,6 Prozent.
Quelle: ntv.de, bad/AFP/DJ