Was, wenn Europa scheitert? Die Euro-Angst der Hedgefonds
04.02.2012, 06:00 Uhr
Athen im kalten Winterlicht: "Jeder, der Risikopositionen verantwortet, spielt diese Szenarien durch."
(Foto: REUTERS)
Der Fall Griechenland bleibt ungelöst: Die Verhandlungen in Athen ziehen sich auf beunruhigende Art und Weise in die Länge. Niemand weiß, was passiert, wenn es am Ende doch zur Staatspleite kommt. Fondsmanager spielen alte Szenarien mit D-Mark oder Drachme durch. Ihr Ergebnis fällt ernüchternd aus: Das Risiko ist auch für sie nicht kalkulierbar.

Blindflug in eine ungewisse Zukunft: Wenn die Eurozone zerbricht, wird die Lage auch für die Hedgefonds unberechenbar.
(Foto: AP)
Die Eurokrise bringt nicht nur Spitzenpolitiker, sondern auch Vermögensverwalter mit fast unbegrenzten Möglichkeiten an Grenzen des Machbaren. Um sich für den "Worst Case" zu wappnen, spielen Hedgefonds derzeit alle denkbaren Extremszenarien durch. Ihre bittere Erkenntnis lautet: Die Folgen eines Zusammenbruchs der Eurozone sind auf dieser Grundlage nicht zu erfassen. Für eine Pleite in einer solchen Größenordnung und Konstellationen fehlen schlicht die passenden Erfahrungswerte.
Wegen der Verhandlungsstarre um einen griechischen Schuldenschnitt und der zunehmenden Zweifel an Portugals Reformkraft wird die Möglichkeit, dass mindestens ein Land die Eurozone verlässt, von den Hedgefonds als kleine, aber ernstzunehmende Option gesehen. "Wie genau dieses Ereignis ausfallen könnte, lässt sich im Voraus nicht greifen, aber das entbindet Dich nicht von Deiner Pflicht, Dich darauf vorzubereiten", umschreibt es der Risikochef einer Gesellschaft, die lieber anonym bleiben wollte. Präzedenzfälle gibt es nicht, nicht einmal der Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 kann als Muster herangezogen werden.
Welche Daten greifen im Worst Case?
Die bislang kaum regulierten Hedgefonds können das ihnen anvertraute Geld viel freier anlegen als klassische Investmentfonds. Sie fahren eigenen Angaben zufolge Anlagestrategien auf mathematisch höchstem Niveau, um theoretisch noch fast jeden Verlust zumindest ausgleichen zu können. Und dennoch überzeugt die Wertentwicklung ihrer Portfolios nicht. Die Hedgefondsbranche insgesamt hat in den vergangenen vier Jahren zwei Jahre mit Verlusten abgeschlossen. Besonders hohe Minusrenditen liefen im Krisenjahr 2008 auf. 2011 verloren die Fonds nach Angaben der Datenauswerter bei Hedge Fund Research im Schnitt 5 Prozent an Wert. Der breit gestreute US-Aktienindex S&P 500 warf dagegen gut 2 Prozent Gewinn ab. Im Gespräch mit ihren Kunden gehen den Fondsmanagern auf die Dauer die Argumente aus.
Sicher ist bislang nur: Eine Staatspleite in der Eurozone würde alle Vermögensverwalter inklusive Hedgefonds vor erhebliche Herausforderungen stellen. Die Szenarien, die die Finanzmathematiker der Branchengrößen durchrechnen, reichen von massiven Einbrüchen am Aktien- oder Ölmarkt bis zu einer Rally beim Goldpreis. Die Experten fragen sich, was passiert, wenn bislang übliche Korrelationen zwischen verschiedenen Anlageklassen auf einmal nicht mehr greifen. In einem solchen Fall hinge ihr komplettes Rechenwerk mit einem Mal völlig haltlos in der Luft. Das Ergebnis wäre dann mit ziemlicher Sicherheit auch für risikobewusste Kundschaft eine epochale Katastrophe.
Was tun, wenn die Koordinaten purzeln?
Die Hedgefonds stehen damit selbst unter gewaltigem Druck. Letztendlich könnte es im Fall Griechenland auch um ihre eigene Existenz als Anlageklasse gehen. In ihren fast schon verzweifelten Bemühungen, die Lage finanzmathematisch in den Griff zu bekommen, holen sie alte Portfoliostrategien aus D-Mark- und Drachmen-Zeiten aus dem Keller. Die einstigen Stars aus der Oberliga der Geldanlage überlegen ernsthaft, inwieweit die alten Rezepte aus vergangenen Tagen in einer kaum zu überblickenden Zukunft wieder funktionieren könnten.
"Jeder, der Risikopositionen verantwortet, spielt diese Szenarien durch", sagt Mark Wightman, Strategiechef für die asiatisch-pazifische Region beim IT-Dienstleister SunGard. Pleiterisiken und Erholungschancen ganzer Länder würden durchgespielt, und dann werde auch geschaut, welche Handelshäuser und Vermögensverwalter am meisten betroffen wären. "Die Szenarien werden ziemlich komplex und die Leute schauen sich alle möglichen Korrelationen an, um eine Idee von den zu erwartenden Konsequenzen zu bekommen."
Short-Strategien umkrempeln und hoffen
Viele Hedgefonds haben nach Aussagen von Insidern ihre Positionen in Anlageklassen, die direkt von einem Zusammenbruch der Eurozone betroffen wären, stark zurückgefahren. "Teilweise sehen wir so eine Art Notfallplanung - also: wo musst du als erstes raus", erläutert der Hedgefonds-Risikochef. "Aber teilweise wird auch proaktiv gehandelt; dass man sich beispielsweise sagt, in europäischen Aktien oder im Euro muss ich mich gerade nicht übermäßig engagieren."
Einige Hedgefonds haben ihre Short-Strategien komplett auf den Kopf gestellt. Üblicherweise sichern sie sich zum Beispiel gegen den Kursverlust eines deutschen Geldhauses ab, indem sie bei ausländischen Konkurrenten auf eben diesen Verlust wetten. Diese Strategie ging zuletzt nicht mehr auf, unter anderem "weil die griechischen Banken wegen der Schuldenkrise ein Eigenleben entwickelt haben", wie es ein Insider formuliert. Um dieses Risiko zu umgehen, wird inzwischen auf den Kursverlust eines heimischen Konkurrenten gewettet. Ob die Rechnung aufgeht, muss sich erst noch zeigen.
Da aber beispielsweise völlig unklar ist, welche Währungen es nach einem Zusammenbruch der Eurozone überhaupt gäbe und wie diese sich dann entwickeln würden, hat jede Absicherungsstrategie ihre Tücken. "Ein Hedgefonds hat vielleicht ein Programm, das seine aktuellen Positionen wunderbar absichert - aber am Tag X kann kein Programm die neue Realität darstellen", sagt der Risikomanager. Mit anderen Worten: Offenbar ergeht es auch den Finanzschwergewichten nicht anders als den europäischen Finanzministern und ihren Staats- oder Regierungschefs. Sie alle fahren auf Sicht in eine unbekannte Zukunft.
Risiko der Ausfallversicherungen
Im Portfolio einiger Hedgefonds schlummern weitere potenzielle Zeitbomben: Viele Gesellschaften haben in Credit Default Swaps (CDS) investiert - also in Kreditausfallversicherungen für Staaten. Unter anderem deshalb wird ihnen auch von einigen Experten unterstellt, dass sie gar kein Interesse an einer Einigung auf einen Schuldenschnitt mit Griechenland haben. Denn bei einer Pleite Athens würden sie ihre CDS zücken, heißt es, und einfach Kasse machen.
Ein Risiko ist allerdings auch hier nicht zu unterschätzen: Um für die CDS auch zahlen zu können, muss der Vertragspartner liquide sein. "Du schaust dir dein Gegenüber genau an, um Ansteckungsrisiken zu vermeiden", sagt Wightman. "Und aus diesem Grund wickelst du die Euro-Geschäfte eben mit japanischen, amerikanischen oder asiatischen Instituten ab." Sollten die allerdings von den Schockwellen in Mitleidenschaft gezogen werden, stünde auch der cleverste Fonds-Lenker vor Problemen.
Ein Hedgefondsmanager hat inzwischen ein Geschäft strukturiert, bei dem er Bundesanleihen kauft und diese mit CDS absichert, erzählt ein Branchenkenner. Das heißt, wenn die Kurse der Bundesanleihen fallen, vermeidet der dann steigende Wert für die Ausfallversicherung einen Verlust. "Sein Basisszenario ist, dass, wenn ein Land den Euro verlässt, ein Run auf Bundesanleihen einsetzt." Wenn der Markt sich dann aber anders verhält, zum Beispiel weil dann wohl bald auch das deutsche Rating wackelt oder US-Anleihen attraktiver werden, dann wäre für den Hedgefonds auch diese Wette schnell verloren.
Aus der Sicht des Steuerzahlers wäre dann nur zu hoffen, dass dieser Liebhaber des schnellen Geldes und des Risikos alleine fällt - und nicht etwa noch eine größere Bank mit in den Abgrund reißt, die dann wohl wieder von einer öffentlichen Hand gerettet werden müsste, um noch Schlimmere Auswirkungen zu verhindern.
Quelle: ntv.de, mmo/rts