Tag des Schreckens in den USA Die Opfer des Kurs-Chaos
07.05.2010, 11:30 UhrDer außergewöhnlich heftige Kurseinbruch an den US-Börsen verbreitet sich wie ein Lauffeuer: Die Notierungen einzelner Unternehmen fallen kurzzeitig ins Bodenlose. Erinnerungen an den Herbst 2008 werden wach.

Im Auge des Sturms: Die New Yorker Wall Street - das zentrale Nervenzentrum der Weltfinanzmärkte.
(Foto: REUTERS)
Egal ob technische Fehler oder allgemeines Marktversagen: Der Zeitpunkt für neue Turbulenzen an der Wall Street kam denkbar ungünstig. Mitten in der wegen der Schuldenkrise in Europa ohnehin angespannten Situation gerieten die großen US-Indizes am vorletzten Handelstag der Woche aus beinahe heiterem Himmel gewaltig in Schieflage.
Was als leichtes Minus am an einem harmlosen New Yorker Börsenvormittag begann, weitete sich binnen Minuten zu einem chaotischen Kurssturz aus: Die US-Aktienmärkte wiesen für kurze Zeit die größten prozentualen Verluste seit April 2009 aus. Rund um die Welt schrillten die Alarmglocken. In Deutschland platzte die Nachricht vom Kurssturz gegen 20:39 (MESZ) in den Feierabend der Börsianer.
Was war passiert? Die Uhren an der New Yorker Stock Exchange standen auf 14.39 Uhr, als der Dow, bereits etwa drei Prozent im Minus, innerhalb von acht Minuten um weitere 650 Punkte in die Tiefe rutschte. "Es war der verrückteste Tag, denn ich jemals erlebt habe", sollte Augenzeuge Mark Galorenzo von TMT East hinterher seine Gefühle beschreiben.
Überall in den USA, Deutschland und dem Rest der Welt eilten Anleger, Analysten und Börsianer an ihre Rechner: Der Dow-Jones-Index der Standardwerte lag zeitweise knapp 1000 Zähler im Minus. Nach Punkten war das der größte Rückgang binnen eines einzigen Handelstages in der Geschichte des Dow, dem wohl wichtigsten und bekanntesten Börsenbarometer der Welt. Der Schreck währte kurz, grub sich aber tief ein: Für Minuten nur wies der amerikanische Leitindex ein Minus von gut neun Prozent aus.
An der New Yorker Börse bot sich Marktteilnehmern ein Bild des Schreckens: Besonders betroffen waren unter anderem die Titel von Boston Beer mit einem Minus von zeitweilig 100 Prozent - von 47,98 Dollar auf 0,00 Dollar - sowie Exelon mit 99 Prozent, Procter & Gamble mit 33,7 Prozent, 3M mit 17 Prozent und Apple mit zeitweise minus 14,4 Prozent. Die extremen Werte ließen Beobachter schnell stutzig werden. Offensichtlich waren hier nicht rational handelnde Marktteilnehmer am Werk. Kaltblütige Beobachter witterten sogar schnell Einstiegskurse in rauhen Mengen.
Ebenso plötzlich wie der Kursrutsch begann, endete er auch: Nach wenigen Minuten war der schlimmste Spuk vorüber. Der Dow legte eine scharfe Kehrtwende hin und schnellte von seinem Tagestief bei 9872 Punkten gut 600 Zähler nach oben. Ähnlich erging es den oben genannten Einzelwerten. Sie erholten sich binnen Minuten. Die Nervosität blieb.
Boston Beer gingen am Ende des Tages mit einem Minus von 0,7 Prozent aus dem Handel. Bei Exelon begrenzte sich der Kursverlust auf 4,19 Prozent ein - zwei von vielen Hinweisen darauf, dass der Auslöser wenig mit einer vernünftigen Markteinschätzung der Investoren zu tun haben konnte, sondern dass es sich wohl eher um eine Fehlinterpretation, technisches Versagen oder ein Zusammenspiel verschiedener Fehler handeln dürfte.
Doch auch nach dem vorübergehenden Ausnahmezustand gab es umfangreiche Kursverluste zu beklagen, und das auf breiter Front: Im Dow blieben die Aktien der Bank of America auch Stunden nach dem Kursrutsch tief in der Verlustzone: Die Titel der Bank gaben 7,1 Prozent nach. Dow-Mitglied Hewlett-Packard büßten 5,1 Prozent ein. Für American Express ging es 4,3 Prozent nach unten. Auch Alcoa, Boeing, Cisco, General Electric und JP Morgan Chase gaben jeweils mehr als vier Prozent ab.
An der Nasdaq lasteten unabhängig von den nach wie vor schwelenden Griechenlandsorgen und etwaigen Computerfehlern Nachrichten aus Deutschland auf den Solarwerten. Nachdem der Bundestag am Donnerstag die umstrittene Kürzung der Solarförderung beschlossen hatte, gaben Solaraktien nach. Papiere von Trina Solar fielen 14 Prozent, Yingli Green Energy Holding elf Prozent und Suntech Power Holdings zehn Prozent. Deutschland ist der größte Markt für Solarenergie und obwohl die Kürzungen seit längerem erwartet wurden, hatten einige Analysten gehofft, sie würden verschoben.
Die Aktie von Freddie Mac fiel nach Vorlage der Quartalszahlen 6,3 Prozent. Der verstaatlichte Hypothekenfinanzierer erweist sich für die US-Regierung als Fass ohne Boden. Das Unternehmen bat am Mittwoch nach einem neuen Milliardenverlust um eine weitere Finanzspritze von 10,6 Mrd. Dollar und warnte gleichzeitig, wegen der Flaute am Immobilienmarkt in Zukunft weitere Hilfen zu benötigen.
Unter Druck standen auch Aktien von Breitbandanbietern. Die US-Regulierungsbehörde konnte mir ihrer Zusicherung, den Markt für Internetanbieter weiterhin nur wenig regulieren zu wollen, nicht überzeugen. Aktien von Comcast fielen über sechs Prozent, die von Time Warner Cable um acht Prozent und die von Cablevision Systems sieben Prozent.
Federn ließen auch die Papiere großer US-Fluggesellschaften. Die Anteilsscheine der United-Muttergesellschaft UAL fielen neun Prozent, die vom Fusionspartner Continental 7,6 Prozent. Der Markt mache sich Sorgen, dass sich die griechische Schuldenkrise ausweite und andere Branchen in Mitleidenschaft ziehen könnte, stellte S&P-Analyst Jim Corridore dazu fest.
Am Ende dieses verrückten Tages ging der Dow Jones mit einem Minus von 3,2 Prozent bei 10.520 Punkten aus dem Handel. Er pendelte im Handelsverlauf zwischen 9869 und 10.879 Stellen. Der breiter gefasste S&P-500-Index verlor 3,24 Prozent auf 1128 Zähler. Der Composite-Index der Technologiebörse Nasdaq schloss 3,44 Prozent tiefer auf 2319 Punkte. Die kurze Panikattacke überdeckt, dass die Wall Street auch ohne Kursrutsch schon weitaus bessere Tage gesehen hat.
An der New York Stock Exchange wechselten rund 2,57 Mrd. Aktien den Besitzer. 173 Werte legten zu, 2998 gaben nach und 26 blieben unverändert. An der Nasdaq schlossen bei Umsätzen von 4,42 Mrd. Aktien 330 im Plus, 2418 im Minus und 53 unverändert.
Quelle: ntv.de, mmo/DJ/dpa/rts