Wirtschaft

Zehntausende Anleger geschädigt Die große Zertifikate-Illusion

Mit dem Kauf der Lehman-Brothers- Zertifikate hatte sich Peter Wild auf der sicheren Seite gefühlt. 20 000 Euro hatte der Mann aus Idar-Oberstein dafür ausgegeben, genauso viel wie seine 70-jährige Mutter. Doch plötzlich war alles futsch, die Papiere waren wertlos. Wild war geschockt, denn 20 000 Euro sind für ihn keine "peanuts". "Da lebe ich lange von", sagt der 46-Jährige. Wie ihm erging es vielen Menschen in Deutschland und weltweit. Der Zusammenbruch der US-Investmentbank am "schwarzen Montag" riss außerdem die Branche und die Weltwirtschaft in eine beispiellose Krise, deren Folgen bis heute spürbar sind.

Mit Bedauern denkt Wild an die Zeit zurück, als er den Handel abschloss. Anfang 2006 hatte er die 20 000 Euro als sicheres Festgeld für ein Jahr bei einer Bank angelegt. Nach Ablauf der Frist habe ihm die Bank dringend zum Kauf von Lehman-Zertifikaten geraten, fast habe man ihn gedrängt, sagt er. Die Aussichten waren verlockend: Der Betrag sollte mit achtdreiviertel Prozent verzinst werden. Dabei sei ihm aber nicht gesagt worden, dass es sich um eine Inhaberschuldverschreibung handelte, also quasi um einen Schuldschein, der nicht gesichert ist. "Das wusste ich gar nicht."

Unterstützt heute andere Anlageopfer: Peter Wild.

Unterstützt heute andere Anlageopfer: Peter Wild.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Der einzige Hinweis auf das Risiko habe auf einem Produktflyer gestanden: "Der Anleger trägt das Bonitätsrisiko des Emittenten", zitiert er. Die smarte Anlageberaterin habe aber nicht erklärt, was das genau heißt. Und: "Es ist nicht gesagt worden, dass alles verloren gehen kann."

Schlechte Nachrichten über Lehman Brothers trieben Wild am Freitag vor dem "schwarzen Montag" zu seinem Anlageberater, der bei einer anderen Bank arbeitete. Der habe ihm eröffnet, dass der Wert des Papiers nur noch 55 Prozent vom Ausgabepreis betrug, habe aber von einem Verkauf abgeraten. Sein Berater habe nach eigenen Angaben auch nicht geglaubt, "dass man Lehman bankrottgehen lässt", sagt Wild. "Ich glaube, das hat er auch wirklich nicht gewusst."

Nachdem die Nachrichten am Sonntagabend gemeldet hatten, dass Lehman Brothers nicht gerettet werde, wandten sich Wild und seine Mutter am Montag an ihre Bank. Als der erbetene Rückruf nach einiger Zeit kam, seien sie zunächst beschwichtigt worden, dass das Geld nicht verloren sei, sagt Wild. Doch genau das war letztlich passiert. Seitdem hat er nach eigenen Angaben nichts mehr von der Bank gehört. Bei einem Autohändler hätte man für ein Produkt mit derartigen Mängeln vielleicht Ersatz bekommen, meint er, "bei einer Bank nicht".

Ein Sprecher der Bank sagt, in einzelnen Fällen habe sich das Geldinstitut mit Betroffenen geeinigt. Grundsätzlich werde der Einzelfall geprüft, denn dem liege ja auch eine individuelle Beratung zugrunde. Und er fügt hinzu, die Banken hätten aus der Krise gelernt.

"Ich bin natürlich sauer", sagt Wild, der nach eigenen Angaben ein sehr konservativer Kleinanleger ist. "Die locken die Leute mit einem hohen Zins, um sie bei nächster Gelegenheit in hochspekulative Sachen zu locken." Der Frühruheständler weist darauf hin, dass er nicht so hart getroffen ist wie viele Leidensgenossen, von denen manche alles verloren hätten. Doch der Verlust schmerzt auch ihn. Hinzu kommt das Gefühl der Hilflosigkeit. "Und dann macht es mir auch Angst, dass man so schnell um sein Geld gebracht werden kann." Vom Staat fühlt Wild sich vernachlässigt, weil der die Banken nicht ausreichend kontrolliert habe. Immer heiße es, der Bürger müsse selbst etwas für seine Altersvorsorge tun. Dann müsse der Staat aber darauf achten, dass die Menschen "nicht ins Risiko getrieben werden, sagt er.

Die Opfer der Lehman-Pleite sind allerdings nicht untätig. Viele ziehen vor Gericht. Die Anwälte hätten geraten, dass zunächst jene klagen, die eine Rechtsschutzversicherung haben - "in der Hoffnung, dass es möglichst bald für die Lehman-Geschädigten viele positive Fälle gibt, an die wir anknüpfen können", sagt Wild. Er selbst hat keine derartige Versicherung und wartet deshalb ab. Mit seinen Erfahrungen will er aber anderen Betroffenen helfen. So engagiert er sich als Kommentator und Berater auf einer Homepage für die Opfer der Lehman-Pleite, deren Zahl in Deutschland auf 40 000 bis 50 000 geschätzt wird. Dabei kann er zwischenmenschliche Erfolge verbuchen. "Da sind ja schon richtige Freundschaften entstanden", sagt Wild.

Ansprechpartner ist auch die Verbraucherzentrale, die Hilfe zum Thema Falschberatung im Rahmen der Geldanlage anbietet. "Hier ist speziell die Nachfrage von Lehman-Geschädigten sehr hoch", sagt die Finanzexpertin der Verbraucherzentrale, Sylvia Beckerle.

Quelle: ntv.de, dpa

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