Ein "roter Ingenieur" für den Euro Dijsselbloem lenkt die Eurozone
22.01.2013, 00:10 Uhr
Doppelter Karrieresprung mit 46: Dijsselbloem sitzt künftig auf zwei Spitzenposten.
(Foto: dpa)
Jeroen Dijsselbloem arbeitet noch keine 100 Tage als Finanzminister der Niederlande, schon bekommt er einen zweiten Posten: Die Budgetchefs der Währungsgemeinschaft ernennen ihn zum neuen Chef der Eurogruppe. Dijsselbloem übernimmt damit das heikle Amt von Jean-Claude Juncker.

Generationenwechsel an der Euro-Spitze: Jeroen Dijsselbloem (r.) löst Jean-Claude Juncker ab.
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Auf allen Ebenen wird fleißig buchstabiert: Mit dem Wechsel an der Spitze der Eurogruppe muss sich das politische Europa einen neuen, weniger geläufigen Namen einprägen. Jeroen Dijsselbloem heißt der neue Chef der Eurogruppe. Der 46-jährige Niederländer tritt die Nachfolge des amtsmüden Luxemburgers Jean-Claude Juncker an. Dijsselbloem rückt damit in eine überaus prominente Position auf: Künftig wird er den Kurs der europäischen Währungsgemeinschaft im Kampf gegen die Schuldenkrise maßgeblich beeinflussen.
Wofür steht der neue Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem? Die Frage beschäftigt nicht nur den französischen Finanzminister Pierre Moscovici, der sich sogar zu der wenig diplomatischen Forderung verstiegen hat, sein niederländischer Kollege möge doch vor seiner Wahl seine politischen Ansichten niederschreiben. Dijsselbloem ist erst seit November Finanzminister, außerhalb der Niederlande kennt ihn kaum jemand. Dennoch hat er nun zusätzlich einen der schwersten Jobs in Europa übernommen. Als Sprecher der Euro-Finanzminister steigt er zum oberste Krisenmanager auf. Seine Mission: den Euro retten.
Das neue Gesicht des Euro
Als Chef der Eurogruppe muss Dijsselbloem nicht nur die Interessen seiner Amtskollegen aus den 16 übrigen Eurostaaten austarieren und den Krisenkurs der Eurozone bestimmen, sondern auch in den Verhandlungen mit Griechenland und den anderen Schuldensündern zwischen Geldgebern und Hilfsempfängern vermitteln. Auch die Weltfinanzmärkte werden mitunter an seinen Lippen hängen. Dass das und die beinahe schon obligatorischen Marathonsitzungen bis tief in die frühen Morgenstunden Zeit und Nerven kosten, daran hat sein Amtsvorgänger Juncker nie einen Zweifel gelassen. Künftig wird Dijsselbloem die finanziellen Geschicke der Eurozone führen: Sein Name wird rasch vertraut klingen.
Der rasante Aufstieg des vergleichsweise jungen niederländischen Finanzministers beeindruckt allerdings selbst hartgesottene Politikbeobachter: Auch in den Niederlanden ruft die Blitzkarriere des Sozialdemokraten staunende Kommentare hervor. Bis auf ein kurzes Zwischenspiel als Mitarbeiter der sozialdemokratischen Euro-Delegation in Brüssel 1992 verfügt er kaum über europäische Erfahrung.
Wer ihn kennt, traut ihm die Aufgabe zu. Auch in Berlin werden große Hoffnungen - und Erwartungen - in den Agrar-Ökonom gesetzt. In der schwarz-gelben Koalition heißt es, politisch, fachlich und persönlich bringe Dijsselbloem alle Voraussetzungen mit, um in die Fußstapfen des amtsmüden Luxemburgers Jean-Claude Juncker zu treten. "Die Nagelprobe wird sein, ob er zwischen Berlin und Paris vermitteln kann", sagt ein Koalitionsvertreter.
Drei Hauptaufgaben
Damit ist bereits gesagt, was den Posten des Sprechers der Euro-Finanzminister so heikel macht: Wer ihn bekleidet, droht mitten in der Krise und im komplizierten deutsch-französischen Verhältnis unter die Räder zu geraten. Die drei Hauptaufgaben des obersten Krisenmanagers formulierte Moscovici so: "Wie kann der Euroraum in seiner Vollständigkeit erhalten bleiben, wie kann man zu besseren Wachstumsaussichten kommen, wie kann man die Bankenunion weiterentwickeln?" Das sind die drei dicksten Bretter, die Europa derzeit bohren muss.
Doch schon jetzt genießt Dijsselbloem einigen Rückhalt: Kaum wurde er als Kandidat für den Posten als neuer "Mr. Euro" gehandelt, machte er sich auch schon auf zu einer Werbe- und Kennenlerntour durch die Hauptstädte der Euro-Länder. Die persönliche Vorstellung zeigte offenbar Wirkung: Sie brachte ihm viel Wohlwollen ein. Hilfreich war dabei sicher, dass er eine europafreundliche Regierung vertritt und dass er im Amt als niederländischer Finanzminister zuvorkommender als sein Vorgänger auftritt. Der Christdemokrat Jan Kees de Jager hatte viele Südeuropäer oft mit knallharten Aussagen brüskiert.
Dijsselbloem gilt im eigenen Land zwar als "roter" Etatchef, doch auch er unterstützt die rigorose Spar- und Reformpolitik in den Niederlanden und in Europa. Er werde die "bisherige konsistente Linie fortsetzen", hatte er als frischgebackener Finanzminister angekündigt. Im eigenen Land war der schlanke Mann mit dem dunklen Lockenschopf lange ein Mann der zweiten Reihe, obwohl er gut zehn Jahre lang Abgeordneter in Den Haag war. Als seine Partei im vergangenen Jahr eine schwere Führungskrise erlebte und in den Umfragen in den freien Fall geriet, übernahm er kommissarisch den Fraktionsvorsitz. Doch ins Rennen um die Parteispitze wollte der Politiker aus Eindhoven sich nicht begeben.
Von der Bildung zu den Finanzen
Politisch zählt Dijsselbloem zu einer Gruppe pragmatischer Sozialdemokraten, die in seiner Heimat als die "roten Ingenieure" bezeichnet werden, weil sie alle an technischen Universitäten studiert haben. Dijsselbloem schrieb mit am neuen Parteiprogramm der Sozialdemokraten und war auch einer der Architekten des Wahlkampfes, in dem der Partei der Arbeit (Partij van de Arbeid, PvdA) unter dem Spitzenkandidaten Diederik Samsom ein überraschendes Comeback gelang.
Bei der Wahl im September lag sie am Ende knapp hinter der rechtsliberalen VVD von Premier Mark Rutte. Dijsselbloem ist ein enger Vertrauter von Samsom und war dessen Sekundant bei den Koalitionsverhandlungen mit den Rechtsliberalen. Dass er Anfang November neuer Hüter der niederländische Staatskasse wurde, überraschte dennoch. Zuvor war er Fraktionssprecher für Bildung, Jugend und Integration gewesen. Bei vielen Bürgern war er allenfalls durch seinen Kampf gegen Gewaltvideos bekannt. In der nationalen Haushaltspolitik steht Dijsselbloem für Ausgabendisziplin, aber auch für sozialen Ausgleich. Bis 2017 will das sozial-liberale Bündnis das Defizit um 16 Mrd. Euro verringern.
Ein "niederländischer Kaufmann"
Journalisten und Politiker in Den Haag schätzen ihn als einen konstruktiven Mann. Er sei angenehm im Umgang und ein guter Zuhörer. Beides sind Eigenschaften, die er als Chef der Eurogruppe gut gebrauchen kann. Seine neue Aufgabe sieht er als Teilzeitjob. "Das ist eine Funktion, die ein Finanzminister zusätzlich übernehmen kann", sagte Dijsselbloem in Den Haag trocken. Einziger Nachteil: Seine Partnerin und die beiden Kinder werden ihn wohl noch weniger zu Gesicht bekommen.
Mit einer Schonfrist kann Dijsselbloem angesichts der sensiblen Finanzmärkte nicht rechnen. Auch hier ist Diplomatie gefragt, die Juncker bisweilen vermissen ließ, wenn er den Euro einmal mehr auf Berg- und Talfahrt schickte. Dijsselbloem gilt dagegen als besonnen. "Ein niederländischer Kaufmann", charakterisiert ihn der Koalitionspolitiker, bei dem sich Dijsselbloem kürzlich vorgestellt hat. Politische Freunde und Konkurrenten in den Niederlanden berichten Ähnliches, sagen aber auch, er vertrete konsequent die eigenen Positionen und scheue den Konflikt nicht.
Eingeklemmt zwischen Paris und Berlin
Insgesamt ergibt sich das Bild eines unaufgeregten, sozialdemokratischen Pragmatikers mit großen diplomatischen Qualitäten. Und die wird er auch brauchen, nicht zuletzt im Umgang mit den beiden politischen Schwergewichten Schäuble und Moscovici, die den Euro-Gruppen-Vorsitz gerne übernommen hätten, aber nicht durchsetzbar waren. Auch künftig drohen turbulente Nachtsitzungen in Brüssel. Zum Auftanken zieht es Dijsselbloem aufs Land. Er wohnt in Wageningen bei Nimwegen unweit der deutschen Grenze. Ein Garten mit einer kleinen Schweinezucht wartet dort auf ihn.
Ob Dijsselbloem diese Rolle ausfüllen kann, muss sich noch zeigen. Seine bisherigen Äußerungen etwa zu Griechenland klingen jedenfalls auf Ausgleich bedacht. Während sein Vorgänger Jan Kees de Jager auch öffentlich Druck auf die Regierung in Athen ausgeübt und erklärt hatte, es reiche mit den Hilfen, unterstrich Dijsselbloem, es sei gelungen, Griechenland im Euro zu halten. Anschließend betonte er aber auch: "Wir sind noch nicht durch, ich werde nicht vom Licht am Ende des Tunnels sprechen." Die Wortwahl ist fast die gleiche wie die Schäubles.
Dem Sohn eines Englischlehrers fehlt es trotz seiner ruhigen Art nicht an Selbstbewusstsein. Ein Diplomat berichtet, beim Euro-Gruppen-Treffen im Dezember habe sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit anderen Schwergewichten wie EZB-Präsident Mario Draghi und EU-Kommissar Michel Barnier zurückgezogen, um die zähe Debatte wieder in Gang zu bringen. Dijsselbloem, der erstmals dort war, habe einen kurzen Moment nachgedacht, dann höflich, aber bestimmt angeklopft, den Raum betreten und ihn auch erst wieder verlassen, als ein Kompromiss gefunden war.
Quelle: ntv.de, dpa/rts