Wirtschaft

EZB überrumpelt die Experten Draghi senkt den Leitzins

Einstieg mit Pauken und Trompeten: Mario Draghi.

Einstieg mit Pauken und Trompeten: Mario Draghi.

(Foto: dapd)

Die Lage scheint schwieriger als gedacht: Der neue Chef der Europäischen Zentralbank greift früher zur Zinsschraube als erwartet. In einem für viele Beobachter vollkommen überraschenden Schritt verordnet Mario Draghi der Eurozone niedrigere Zinsen. Ökonomen reiben sich verwundert die Augen. Wie passt das zur Inflation?

Die Europäische Zentralbank (EZB) stemmt sich mit allen Mitteln gegen die drohende Rezession: Die Zinsen sinken, der Aufkauf von Anleihen angeschlagener Euro-Staaten geht weiter. Der neue EZB-Präsident Mario Draghi setzt gleich zu Beginn seiner Amtszeit als Nachhfolger Jean-Claude Trichets deutliche Akzente.

Auf dem Platz von Jean-Claude Trichet: die erste Pressekonferenz.

Auf dem Platz von Jean-Claude Trichet: die erste Pressekonferenz.

(Foto: dapd)

Beobachter sprechen von einem Paukenschlag zum Start der Ära Draghi: Trotz hoher Inflation senkt die Notenbank unter Führung des Italieners die Zinsen im Euro-Raum. Die Sorgen um die Konjunktur sind gewaltig - erst recht angesichts der wieder auflodernden Schuldenkrise. Darum wird die EZB auch unter Draghi ihren umstrittenen Aufkauf von Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Staaten wie Griechenland, Portugal und Italien zunächst fortsetzen.

Draghi begründete die Zinssenkung von 1,5 auf 1,25 Prozent mit den trüber werdenden Aussichten für die Wirtschaft im Währungsraum. Das Wirtschaftswachstum dürfte in der zweiten Jahreshälfte nur noch sehr moderat ausfallen, die Wachstumsprognosen für 2012 dürften deutlich sinken. Ökonomen nannten die Zinssenkung überraschend, aber vertretbar.

Draghi betonte bei seinem ersten öffentlichen Auftritt im neuen Amt die Unabhängigkeit der Währungshüter: "Wir werden von niemandem gedrängt. Wir sind unabhängig. Wir bilden uns unsere eigene Meinung. Das ist es."

Auf dieser Basis will die EZB auch den Aufkauf von Staatsanleihen vorerst fortsetzen. Draghi betonte zwar - wie schon sein Vorgänger Trichet - das Programm sei vorübergehend und in seinem Umfang begrenzt. Die Sondermaßnahme sei aber damit gerechtfertigt, dass die EZB dadurch ihre Geldpolitik am Laufen halte. "Wir wollen, dass unsere Geldpolitik funktioniert", erklärte der Italiener.

Seit Mai 2010, als der EZB-Rat das Aufkaufprogramm beschloss, steckte die Notenbank Milliarden in Staatsanleihen von Euro-Schuldenstaaten. Nach den letzten veröffentlichten Zahlen von Ende Oktober dieses Jahres hat die EZB Staatspapiere im Gesamtvolumen von rund 173 Mrd Euro in den Büchern.

Draghis Vorgänger Trichet war für diesen Tabubruch massiv kritisiert worden, viele warfen der EZB vor, zum Handlanger der Politik geworden zu sein. Auch in der EZB gab es Streit: Der damalige Bundesbank-Präsident Axel Weber kritisierte den Aufkauf öffentlich - und verzichtete letztlich sogar auf die mögliche Trichet-Nachfolge.

Zinssenkung trotz Teuerung

Die meisten Ökonomen hatten trotz der drohenden Rezession und der Staatsschuldenkrise zunächst keine Zinssenkung erwartet. Niedrige Zinsen verbilligen Kredite zwar und können Investitionen und Konsum ankurbeln. Doch billiges Geld heizt auch die Inflation an - und die lag im Euro-Raum zuletzt bei 3,0 Prozent und damit weit über dem Zielwert der Währungshüter von knapp unter 2,0 Prozent. Draghi zeigte sich überzeugt, dass die Teuerung im Jahr 2012 wieder unter diese Marke fallen werde.

Die aktuell hohe Teuerung sprach nach Ansicht der meisten Volkswirte dafür, den wichtigsten Zins zur Versorgung der Geschäftsbanken im Euro-Raum mit Zentralbankgeld zunächst nicht zu senken. Die EZB hatte sich erst in diesem Jahr allmählich von ihrer Krisen-Politik des extrem billigen Geldes verabschiedet und den Leitzins in zwei Schritten von 1,0 auf 1,5 Prozent erhöht.

Nach seiner ersten Pressekonferenz als EZB-Chef wollte Draghi in seiner Eigenschaft als oberster Währungshüter der Eurozone zum G20-Gipfel nach Cannes reisen, um sich in die Beratungen der Staats- und Regierungschefs über die wieder aufgeflammte Griechenland-Krise einzuschalten.

Überraschte Volkswirte

Die meisten Ökonomen hatten unmittelbar so knapp nach dem Amtswechsel keine Zinssenkung erwartet. Dazu kommt die anhaltend starke Teuerungsrate, die im Euro-Raum weit über dem EZB-Zielwert von knapp unter 2 Prozent liegt. Ein solches Niveau spräche eher für höhere Zinsen.

Niedrige Zinsen verbilligen Kredite. Das erhöht die Investitionsneigung von Unternehmen und die Konsumfreude der Verbraucher - und kann so die Konjunktur ankurbeln. Zugleich befeuern niedrige Zinsen aber die Inflation. Anders als etwa die US-Notenbank Fed hat die EZB einzig die Aufgabe, die Geldwertstabilität im Euroraum zu sichern.

Die EZB hatte unter Draghis Vorgänger Jean-Claude Trichet wegen gestiegener Risiken für die Preisstabilität den wichtigsten Zins zur Versorgung der Geschäftsbanken im Euro-Raum mit Zentralbankgeld zuletzt zwei Schritten von 1,0 auf 1,5 Prozent angehoben. Als sich die Schuldenkrise verschärfte und am Konjunkturhimmel schwarze Wolken aufzogen, legten die Währungshüter in den vergangenen Monaten eine Zinspause ein.

An den Märkten löste die unerwartete Zinssenkung im Euroraum kräftigen Rückenwind aus. Der Dax baute seine Gewinne nach der Entscheidung zeitweise deutlich aus. An den Devisenmärkten sorgte der Draghi-Paukenschlag ebenfalls für kräftige Bewegungen. Nach starken Schwankungen kostete der Euro am späten Nachmittag 1,3793 US-Dollar und damit deutlich mehr als am Morgen. Die EZB hatte den Referenzkurs am Mittag auf 1,3773 (Mittwoch: 1,3809) Dollar festgesetzt. Der Dollar kostete damit 0,7261 (0,7242) Euro.

Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen