Streit in Berlin EU lehnt Arcandor-Hilfe ab
03.06.2009, 13:40 Uhr
(Foto: AP)
Der ums Überleben kämpfende Handels- und Tourismuskonzern Arcandor kann kaum noch auf Staatshilfen hoffen. Brüssel sieht die Voraussetzungen für den Griff in den Milliarden-Notfonds nicht erfüllt. Das Veto sorgt für Streit in der großen Koalition.
Die EU-Kommission äußerte erhebliche Zweifel daran, dass Arcandor (ehemals KarstadtQuelle) erst seit der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise in Problemen steckt. Die Kriterien für die Staatshilfen seien damit nicht erfüllt. Auch die Bundesregierung ließ durchblicken, dass Arcandor damit wohl nicht mehr auf den Notfonds setzen kann. Arcandor hofft auf eine Staatsbürgschaft von 650 Mio. Euro und einen Kredit über 200 Mio. Euro. Forderungen aus der Politik nach einem stärkeren Engagement der Eigentümer wurden lauter.
Schon am Dienstag hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen Hilfen für Arcandor aus dem Fonds gewandt. Die Einschätzung Brüssels sei überaus gewichtig, hieß es nun in Berlin. Arcandor müsse daher Rettungs- oder Umstrukturierungshilfen prüfen. Diese seien allerdings mit deutlichen Kürzungen bei den Kapazitäten und Arbeitsplätzen verbunden. Wirtschaftsminister Karl- Theodor zu Guttenberg (CSU) machte deutlich, dass die Regierung im Sinne der Arbeitnehmer an einem Fortgang des Unternehmens interessiert sei.
Entscheidende Bedingung für Hilfen aus dem 100-Milliarden-Fonds ist, dass die Probleme eines Unternehmens vorübergehend und Folge der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise sind - also erst seit Juli 2008 bestehen und nicht Ergebnis von Missmanagement in der Zeit davor. Auch muss ein Unternehmen grundsätzlich gesund, der Finanzierungsengpass also nur vorübergehend sein. Der Sprecher von EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes sagte in Brüssel, nach Analyse der vorliegenden Informationen sei der Konzern "nicht förderungswürdig, weil er schon vor dem 1. Juli 2008 in Schwierigkeiten gewesen ist".
Am Dienstagabend hatte sich Kroes mit Guttenberg beraten. Der Lenkungsausschuss des Fonds will Anfang nächster Woche endgültig über die Hilfen für den Arcandor-Konzern mit 50 000 Arbeitsplätzen beraten. Der Bürgschaftsausschuss kam am Mittwoch zu Beratungen zusammen.
Klare Ansage?
Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer reagierte verärgert auf das Nein der EU zu Staatshilfen. Er könne die Brüsseler Einschätzung "überhaupt nicht nachvollziehen." Die renommierten Bürgschaftsspezialisten von Price Waterhouse Coopers (PwC) hätten festgestellt, dass sich weder die Arcandor AG noch wesentliche Unternehmensteile wie Quelle und Karstadt sich vor Juli 2008 in Schwierigkeiten befanden.
Guttenberg sprach dagegen von einer "sehr klaren" Ansage aus Brüssel. Ein gesundes Unternehmen vor Juli 2008 sei Voraussetzung für Bürgschaften oder Kredite. Zudem gebe es kritische Nachfragen zur Zukunftsfähigkeit des Arcandor-Konzeptes. Auch seien die Beiträge von Banken und Arcandor-Eignern ausbaufähig. Die Eigner der schwer angeschlagenen Karstadt-Mutter wollen sich einem Zeitungsbericht zufolge stärker an einer Rettung des angeschlagenen Konzerns beteiligen. Denkbar sei, dass die Familien Oppenheim und Schickedanz ihre Aktienpakete als Sicherheit für einen benötigten Kredit von 650 Mio. Euro bereitstellten, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" unter Berufung auf Unternehmenskreise. Die beiden Familien besitzen jeweils rund 30 Prozent der Arcandor-Anteile.
Er habe Arcandor-Chef Karl-Gerhard Eick deutlich gemacht, dass andere Wege geprüft werden müssten, um Arbeitsplätze und Standorte zu sichern, sagte Guttenberg. Dazu zähle auch die "Rettungsbeihilfe", die ebenfalls in Brüssel beantragt werden müsste. Sie sei aber an sehr strenge Kriterien gebunden wie ein drastischer Kapazitäts- und Stellenabbau. Die Kapazitäten müssten um mindestens 30 Prozent gekürzt werden: "Das ist bereits sehr viel mehr als in anderen Optionen". Jetzt müsse sich das Unternehmen entscheiden.

Nicht ganz einer Meinung: Wirtschaftsminister Guttenberg (li) und Finanzminister Steinbrück
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Guttenberg betonte: "Wir wollen und wir werden weiterhin den Fortgang dieses Unternehmens so konstruktiv, so klar und im Sinne der Arbeitnehmer begleiten." Es müssten aber auch die Kriterien und die Regeln eingehalten werden, die für den Fonds gelten. Möglicherweise gebe es auch Investoren, die eine andere Lösung anstrebten.
Steinbrück fordert Prüfung
Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) forderte, die Staatshilfen für Arcandor weiter vorurteilsfrei zu prüfen. "Jede öffentliche Vorabfestlegung halte ich für falsch." Es müsse geprüft werden, ob Arcandor tatsächlich vor Juli 2008 in Schwierigkeiten gewesen sei. Zudem seien die Eigentümer Oppenheim und Schickedanz bei einer Rettung der Firma in der Pflicht. Der Fall Arcandor unterscheide sich von Opel. "Wir haben erkennbar keine anderen Investoren, die einsteigen." Opel habe zudem Sicherheiten und Kreditgeber. "Im Fall von Arcandor haben wir die drei Dinge in dieser konkreten Form nicht."
Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte, an einer "Gesamtlösung" für den Warenhaussektor in Deutschland zu arbeiten. Eine Insolvenz sei die schlechteste Lösung. Steinmeier erwähnte dabei die Hilfen aus dem Deutschlandfonds mit keinem Wort. Als weitere Option gilt auch eine Fusion der beiden großen deutschen Warenhausketten Karstadt und Kaufhof.
Kaufhof-Chef Lovro Mandac forderte Arcandor auf, Gespräche mit seinem Unternehmen aufzunehmen. Die Metro-Gruppe strebe eine "privatwirtschaftliche Lösung" an und wolle "eine Warenhauslösung für Gesamt-Deutschland herbeiführen", sagte der Chef der Metro-Tochter im ZDF. Kaufhof und Karstadt passten von ihren Standorten her "hervorragend zusammen", sagte Mandac.
Karstadt-Geschäftsführer Stefan Herzberg unterstrich, die Gesellschafter Sal. Oppenheim und die Familie Schickedanz engagierten sich "in einem wirklich vorbildlichen Maße". Sie prüften aber ein weiteres Engagement. Er sehe weiter Chancen für eine Staatsbürgschaft für den Mutterkonzern Arcandor, sagte er im Deutschlandradio. Im vergangenen Jahr hätte der Konzern seine Probleme noch selbst lösen können. Die Staatsbürgschaft sei erst wegen der Finanzkrise nötig geworden. "Ich will zunächst mal sagen, dass die 25.000 Arbeitsplätze von Opel genauso wichtig sind wie die 50.000 von Arcandor", sagte er.
Bei den Verhandlungen um überlebensnotwendige Kredite für Arcandor schießen nach Informationen der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX die kleineren der Kredit gebenden Konsortialbanken quer. Sie hätten klar gemacht, dass sie nicht bereit seien, den auslaufenden Kredit über insgesamt 650 Mio. Euro zu verlängern oder neue Darlehen zu gewähren. Auf die betroffenen Banken entfalle ein Rahmen von rund 100 Mio. Euro. Federführend hinter dem Protest soll die DZ Bank sein, die mit 40 Mio. Euro gerade steht. Auf Anfrage gab die Bank keinen Kommentar ab. Aber auch Société Générale, Credit Suisse und HSBC wollten den Geldhahn zudrehen. Damit stehe auch die Gesamtfinanzierung auf der Kippe. Ein Arcandor-Sprecher sagte auf Anfrage: "Wir sind mit den kleineren Banken weiter im Gespräch." Der Arcandor-Kredit läuft am 12. Juni aus.
Quelle: ntv.de, sla/rts/dpa/AFP