Dicke Luft in Breslau EU liest USA die Leviten
16.09.2011, 18:24 Uhr
Viele Köpfe, noch mehr Meinungen in Breslau.
(Foto: AP)
Drohende Griechenland-Pleite, Euro-Rettung und Schulterschluss mit Amerika. Die Erwartungen an das Finanzminister-Treffen in Polen waren hoch. Doch Antworten gab es nur wenige. Die Euro-Länder sind sich uneins, auch das Verhältnis zu den USA ist nicht gerade rosig.
Das ohne konkrete Ergebnisse verlaufene Treffen der Euro-Finanzminister in Breslau hat die Devisen-Anleger am Freitag enttäuscht. Der Euro fiel auf bis zu 1,3752 Dollar nach 1,3881 Dollar am Vorabend in New York. Doch in Breslau war die Stimmung noch schlechter als an den Devisenmärkten - bei den europäischen Finanzministern herrschte von Anfang an dicke Luft. Bevor die Sitzung in der historischen Jahrhunderthalle im polnischen Breslau (Wroclaw) überhaupt begann, diktierte die finnische Ressortchefin Jutta Urpilainen Reportern in die Mikrofone, im Streit um Extra-Sicherheiten für Griechenland-Hilfsmilliarden sei keine rasche Einigung zu erwarten.
"Ich bleibe zuversichtlich" - das war die einzige positive Bemerkung, die der Kassenhüterin aus Helsinki am Freitag entglitt. Das nordische Land pocht auf ein Pfand für mehr Griechenlandgeld. Und der Poker geht weiter.
EU-Währungskommissar Olli Rehn hatte in Breslau auf greifbare Fortschritte gehofft - vergeblich. Während an den Finanzmärkten über eine Pleite Griechenland spekuliert wird, verzetteln sich die 17 Eurostaaten in Detaildebatten über ihr neues Hilfspaket von 109 Mrd. Euro. Eigentlich kein Wunder, denn in Berlin und anderen Hauptstädten steigt der Druck. Viele Regierungen müssen um die parlamentarische Zustimmung für die Gipfel-Beschlüsse vom 21. Juli kämpfen. Die Euro-Rettung - jetzt auch eine innenpolitische Zitterpartie mit ungewissem Ausgang.
Juncker spricht Tacheles
Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker drohte Griechenland erstmals offen damit, dass die nächste acht-Mrd-Euro-Tranche aus dem alten 110-Mrd-Hilfsprogramm nicht wie geplant im Oktober ausgezahlt werde, sollten die Experten von EU, EZB und IWF Athen kein positives Zeugnis ausstellen.
Auch angesichts des Berliner Koalitionskrachs über neue Hilfen für Griechenland versuchte Athen, seine europäischen Partner zu beruhigen. Die vereinbarten strikten Auflagen zur Sanierung der angeschlagenen Staatsfinanzen würden eingehalten, versicherte Athens Finanzminister Evangelos Venizelos."Wir sind in der Spur, wir setzen das Sparprogramm um", sagte er.
Positionen immer weiter auseinander
Die Euro-Länder demonstrierten derweil in schönster Deutlichkeit, dass sie immer weiter auseinanderdriften. Während fünf Mitgliedstaaten, unter ihnen Frankreich, Italien und Spanien, das im Sommer ausgehandelte neue Griechenland-Paket und die Ausweitung des Krisenfonds für klamme Eurostaaten schon billigten, sind andere noch längst nicht so weit.
Didier Reynders aus Belgien - auch dort gab es schon grünes Licht - appellierte an die Euro-Partner, endgültig zuzustimmen, als ein "Beweis der Solidarität". Auch Frankreich wehrt sich gegen immer neue Debatten, die im Norden Europas losgetreten werden - wie beispielsweise Gedankenspiele in Deutschland über eine Insolvenz Griechenlands.
Geithner blitzt ab
Und dann war da noch Timothy Geithner: Der US-Kassenhüter war gerade in Polen und wollte am Treffen der Euro-Kollegen teilnehmen. Ein Wunsch, der ihm nicht verwehrt werden konnte, zumal sich die Probleme auf den beiden Seiten des Atlantiks ähneln - immer höhere Schuldenberge und eine einknickende Konjunktur.

Einige Dinge wurden erst besprochen, nachdem US-Finanzminister Geithner gegangen war.
(Foto: Reuters)
Aber so richtige Freude kam beim Besuch des "Freundes" (Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker) nicht auf. Die Europäer ließen den Kollegen aus Washington mit seinem Ansinnen abblitzen, doch bitte mal viel Geld in die Hand zu nehmen, um den Konjunkturmotor wieder anzuwerfen und damit auch etwas Gutes für die Welt zu tun. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble habe Geithner klargemacht, dass die Steuerzahler nicht noch mehr belastet werden könnten, erklärte Österreichs Finanzministerin Maria Fekter nach der Sitzung.
Umgekehrt wollte der US-Partner vom europäischen Vorstoß einer Steuer auf Finanztransaktionen nichts wissen, wie die Fekter berichtete. "Immerhin ist am Markt wesentlich mehr Geld vorhanden als bei den Steuerzahlern. Das hat er aber striktestens abgelehnt, der Herr Geithner."
Warten, bis "Tim" geht
Gestritten wurde aber nicht, so Juncker als Vorsitzender der exklusiven Ministerrunde: "Er hat uns nicht den Bart gemacht, ansonsten wir auch zur Rasierklinge gegriffen hätten", sagte der EU-Veteran dem ZDF am Rande des Treffens.
Im alten Mitteleuropa wurde deutlich, dass sich die Europäer nicht von Washington die Leviten lesen lassen. Immerhin werden die USA im laufenden Jahr nach Expertenschätzung auf ein Haushaltsdefizit von 9 Prozent der Wirtschaftsleistung kommen, während die Eurozone 4,3 Prozent erwartet.
Juncker ließ nach dem Treffen durchblicken, dass die wichtigen Punkte besprochen wurde, nachdem "Tim" den Raum verlassen hatte. Der Christdemokrat reagierte damit auch auf Geraune, wonach der US-Amerikaner eine Ausweitung des Krisenfonds EFSF ins Spiel gebracht haben soll - ein solches Thema würde überhaupt nicht mit einem Nicht-Mitglied der Eurozone besprochen werden, kanzelte der Luxemburger einen Fragesteller ab. Auch von einem Konjunkturpaket, wie es die US-Regierung schnürte, wollen die Euro-Länder nichts wissen, wie Juncker verdeutlichte.
Die USA kommen als Retter für das Euroland nicht mehr in Betracht - so lautet eine lapidare Erkenntnis in Breslau. Der Chef des Krisenfonds EFSF, der Deutsche Klaus Regling, bemerkte süffisant, dass Anleihen seiner Rettungseinrichtung vor allem in Asien gefragt seien.
Mit Geithner hatte erstmals ein US-Finanzminister persönlich an dem Treffen seiner Kollegen aus der Euro-Zone teilgenommen, was die große Sorge der USA über eine globale Ausbreitung der Schuldenkrise unterstreicht. Hinter den Kulissen hieß es, er habe der Eurogruppe geraten, die Milliarden des EFSF als Hebel einzusetzen. Ähnlich wie bei einem US-Programm zum Aufkauf fauler Wertpapiere müsste danach die Europäische Zentralbank (EZB) wertgeminderte Staatsanleihen kaufen. Der EFSF würde nur die drohenden Verluste abdecken.
Doch die EZB hat bereits Anleihen strauchelnder Euro-Staaten von mehr als 140 Mrd. Euro vom Markt genommen und will die Anleihekäufe an den EFSF abtreten. Manche Analysten bezweifeln aber, ob das verfügbare Kreditvolumen des EFSF von knapp 400 Mrd. Euro ausreichen würde, um sich gegen einen Ausverkauf italienischer oder spanischer Staatsanleihen zu stemmen.
Quelle: ntv.de, sla/dpa/rts