Aufruhr an den Finanzmärkten EU springt Ungarn bei
07.06.2010, 18:20 UhrUngarn sei nicht Griechenland, sagt Währungskommissar Rehn. Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker sieht das genauso. Das Problem sei nur, dass ungarische Politiker zu viel redeten.
Nach dem ungarischem Finanzmarkt-Desaster ist die EU der Furcht vor einer Ausweitung der Schuldenkrise auf Osteuropa entgegengetreten. "Ungarn ist nicht in der gleichen Situation wie Griechenland", sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn. Ungarns Wirtschaftsminister Gyorgy Matolcsy versprach, die mit der Europäischen Union und dem Internationalem Währungsfonds (IWF) vereinbarte Schuldengrenze von 3,8 Prozent 2010 mit Einsparungen einzuhalten - Details wollte Regierungschef Viktor Orban zum Unmut der Finanzmärkte jedoch erst am Dienstag nennen. Die Vertrauenskrise bekam auch bereits Rumänien zu spüren: Das Nachbarland musste den Verkauf von Staatsanleihen abblasen.
Ungarn hatte am Donnerstag an den Finanzmärkten mit der Aussage für Aufruhr gesorgt, es gebe nur noch geringe Chancen, eine Krise wie in Griechenland zu verhindern. Zudem war in Regierungskreisen das Hauhaltsdefizit 2010 auf bis zu 7,5 Prozent beziffert worden - offiziell sind 3,8 Prozent angestrebt. Daraufhin geriet der Euro unter Druck, weltweit gaben die Aktienmärkte nach, Ungarns Landeswährung Forint stürzte ab und Versicherungen gegen eine ungarische Staatspleite verteuerten sich. Die Entwicklungen hielten zum Teil auch am Montag an. Analysten erklärten, Ungarn habe viel Porzellan zerschlagen und werde hart daran arbeiten müssen, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Kritik von Juncker
Sein Land werde die Abmachungen mit EU und IWF einhalten, sagte Matolcsy dem Sender CNBC nun. Darin sei ein Defizit im Haushalt von maximal 3,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erlaubt. "Es gibt keinen Zweifel, das wir daran festhalten werden." Zugleich räumte er "grobe Schnitzer" bei der Kommunikation ein. Dabei sei es "offensichtlich, dass Ungarn nicht Griechenland" sei. Der ungarische Staatssekretär Mihaly Varga äußerte sich etwas zurückhaltender: Sein Land versuche, "so nah wie möglich" an die 3,8 Prozent heranzukommen.
Auch andere Spitzenpolitiker wie Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker und die Finanzminister Österreichs, Belgiens und der Niederlande sowie der IWF sprangen Ungarn zur Seite. "Ich sehe überhaupt kein Problem mit Ungarn. Ich sehe nur das Problem, dass ungarische Politiker zu viel reden", sagte Juncker. Auch Banken-Volkswirte klagten über widersprüchliche Aussagen aus Ungarn, da die Regierung gleichzeitig Steuersenkungen in Aussicht stellte.
Die Gemeinschaftswährung fiel erneut auf den tiefsten Stand seit vier Jahren, weil Investoren fürchteten, dass die Schuldenkrise nach Griechenland, Portugal und Spanien auch Osteuropa erreicht. Diese Ängste machten dem Nachbarland Rumänien bereits bei der Refinanzierung einen Strich durch die Rechnung: Investoren wollten dem Land nur für so hohe Zinsen Geld leihen, dass die Regierung ablehnte. Offenbar wachsen auch Zweifel an der Fähigkeit Rumäniens, sein Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen.
Das Rating im Blick
Auch bei Ratingagenturen wirkte der Schock weiter nach. Mit Blick auf die Kreditwürdigkeit seien die Kommentare aus der Vorwoche ein negativer Faktor, teilten Moody's und Fitch mit. Die Agenturen stufen Ungarn derzeit als noch relativ sicheres Investment ein, während griechische Papiere zuletzt auf "Ramsch"-Status gesenkt worden waren. Das Rating ist entscheidend für die Höhe der Zinsen, die die Länder für ihre Schulden zahlen müssen.
Schon im Mai hatte die neue rechts-konservative Regierung erklärt, die Haushaltslöcher seien tiefer als gedacht und das Defizit könne von 3,8 auf 4,5 Prozent steigen. Belastungen durch die staatliche Fluglinie Malev, Arbeitsmarkt-Aufwendungen sowie die zu erwartende Schließung eines Kraftwerks summierten sich allein auf 170 Milliarden Forint (608 Millionen Euro), hieß es. Wenn noch weitere "Leichen im Keller" der Vorgänger-Regierung entdeckt würden, sei mit einem noch höheren Defizit zu rechnen. In Ungarn war es im April zu einem Rechtsruck gekommen. Orban hatte im Wahlkampf angekündigt, mit umfassenden Steuersenkungen die Konjunktur anschieben zu wollen. Die EU und IWF hatten das wirtschaftlich ins Trudeln geratene mitteleuropäische Land 2008 mit milliardenschweren Hilfen vor dem Bankrott gerettet.
Quelle: ntv.de, rts