Merkels Umgang mit Euro-Sündern EU zweifelt an Deutschland
27.11.2010, 14:56 Uhr
Flagge vor dem Bundestag: Die zwölf gelben Sterne stehen für Europas Einheit.
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Die anhaltende Furcht vor einer Ausweitung der Schuldenkrise reißt in Europa tiefe Gräben auf. Die harte Haltung Deutschlands stößt nicht nur bei den Nachbarn zunehmend auf Kritik. Auch den Deutschen muss die Bundesregierung erklären, wie es angesichts immer neuer Milliardensummen mit der Euro-Rettung weitergehen soll. Mittlerweile im Gespräch: 1,5 Billionen Euro.

Ein Satz, der auch auf Deutschland passt: "Wer zu Hause nicht solide wirtschaftet, muss wissen, dass das Konsequenzen für ihn hat."
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Die Debatte um den im Mai aufgespannten Rettungsschirm für klamme Euroländer spitzt sich nach den Gerüchten um möglicherweise anstehenden Hilfsanträgen aus Portugal immer weiter zu. Der EU-Spitzenbeamte Marco Buti, Generaldirektor von Währungskommissar Olli Rehn, plädiert offen für eine deutliche Vergrößerung des bislang auf 750 Mrd. Euro angelegten Rettungsfonds. Genau das hatte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble kurz zuvor ausdrücklich abgelehnt.
Vor Spitzenbeamten aus den Finanzministerien der Euro-Mitgliedsländer habe Buti vorgeschlagen, die Mittel des Rettungsschirms auf 1,5 Billionen Euro zu verdoppeln, berichtete der "Spiegel". Anders ließen sich nach Einschätzung Butis die Turbulenzen an den Finanzmärkten nicht eindämmen.
Der provisorische Euro-Rettungsschirm mit einem Volumen von 750 Mrd. Euro läuft im Sommer 2013 aus. Mitte Dezember soll ein EU-Gipfel Grundzüge eines dauerhaften Hilfsmechanismus festlegen. Deutschland dringt darauf, dass die privaten Käufer von Staatsanleihen - vor allem Banken - an künftigen Nothilfen beteiligt werden können, etwa durch Zinsabschläge. Der Vorschlag hatte nicht nur in den betroffenen Staaten heftige Kritik ausgelöst. Beobachter machten das Vorgehen der Bundesregierung für die neuerliche Zuspitzung der Schuldenkrise mitverantwortlich.
Milliardenspiel ohne Unterbau?
Unklar ist, wie die Euro-Länder ihre eigenen Nothilfen finanzieren wollen. Zurzeit stellen sie bilaterale Garantien für Problemländer bereit. Der "Focus" berichtete vorab, Deutschland erwäge nun doch gemeinsame Euro-Anleihen aller Partnerländer. Mit Eurobonds würde Deutschland für die Schulden der anderen Euro-Länder mithaften. Das Magazin zitiere einen anonymen Regierungsvertreter mit den Worten: "Das tun wir aber bei einer Ausweitung oder Verlängerung des Rettungsschirms auch."
Deutschland hatte solche Überlegungen bislang strikt zurückgewiesen, weil sich durch Eurobonds die Refinanzierung der deutschen Staatsschulden empfindlich verteuern würde. Für sie wären empfindlich höhere Zinsen fällig als für Bundesanleihen. 2011 zahlt Deutschland bisherigen Berechnungen zufolge allein für seine eigenen Staatsanleihen 37 Mrd. Euro Zinsen.
Die wachsende Belastungen durch den Schuldendienst beunruhigt weitsichtige Politiker seit längerem. Sollten sich die Bedingungen an den Kapitalmärkten verändern, könnte dieser Pflichtposten im Bundeshaushalt deutlich anschwellen. Der Handlungsspielraum künftiger Bundesregierungen wäre dadurch drastisch eingeschränkt. Es sind genau diese Mechanismen, die in Euro-Mitgliedern wie Griechenland, Irland und Portugal harte Sparprogramme mit tiefen Einschnitten erforderlich gemacht hatten.
Kommt der Eurobond?
Um die Bedingungen des geplanten dauerhaften Euro-Krisenmechanismus wird in Brüssel unterdessen heftig gerungen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle sprach sich dabei strikt gegen gemeinsame Anleihen der Euro-Länder zur Stabilisierung von Defizitsündern aus. Wegen der harten Verhandlungslinie von Kanzlerin Angela Merkel wurden aber auch Sorgen um den deutschen Ruf in Europa laut. Innenpolitisch sitzt Merkel zwischen den Stühlen: Die Bürger sind in der Frage gespalten, ob die Bundesrepublik Partnern wie Irland bei der Bewältigung ihre Krise helfen soll.
"Wir sind in der Bundesregierung gegen europäische Gemeinschaftsanleihen, weil wir Europa nicht zu einer Transfer- und Haftungsunion werden lassen wollen", sagte Westerwelle auf einem Landesparteitag der NRW-FDP. Er forderte stattdessen strengere Sanktionen für Mitgliedsländer, die den Euro-Stabilitätspakt verletzen. "Wer zu Hause nicht solide wirtschaftet, muss wissen, dass das Konsequenzen für ihn hat." In Koalitionskreisen hieß es zudem, Eurobonds wären nur dann ein sinnvolles Instrument, wenn die Finanzpolitik in der EU vergemeinschaftet wäre. Davon sei man aber sehr weit entfernt.
Freibrief für Randstaaten?
Auf eine gemeinsame Schuldenfinanzierung dringt vor allem Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker. Der Regierungschef von Luxemburg hatte kürzlich argumentiert, wer private Gläubiger mit in die Haftung nehmen wolle, müsse auch für Eurobonds sein. Beobachter werteten dies als direkte Anspielung an die Position der Deutschen.
Ohne Eurobonds, so Juncker weiter, müssten Staaten wie Griechenland wegen des Ausfallrisikos künftig sehr hohe Zinsaufschläge zahlen. Widerstand gegen solche Überlegungen kommt auch aus den Koalitionsfraktionen. Der CDU/CSU-Haushaltsexperte Norbert Barthle: "Die Abgeordneten finden die Idee überhaupt nicht prickelnd."
Irland soll nach bisher unbestätigten Angaben für die Hilfszahlungen von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) höhere Zinsen als Griechenland zahlen. Die Zinsen lägen wahrscheinlich bei etwa sieben Prozent, berichtete der staatliche Fernsehsender RTE ohne Angaben von Quellen. Griechenland zahlt beispielsweise für die dreijährigen Kredite der Euro-Länder gut fünf Prozent.
Der Sprecher der größten irischen Oppositionspartei Fine Gael wies entsprechende Forderungen in einem Interview mit RTE zurück und erklärte, Zinsen über sechs Prozent seien inakzeptabel. Es wird damit gerechnet, dass die EU-Finanzminister den Rettungsplan für Irland vor Eröffnung der Aktienmärkte am Montag absegnen. Es geht um Hilfen von insgesamt 85 Mrd. Euro.
Irland-Entscheidung am Montag
Innerhalb der deutschen Regierungskoalition übt die FDP Beobachtern zufolge Druck auf Merkel aus, beim EU-Gipfel Mitte Dezember zu konkreten Ergebnissen über den Krisenmechanismus zu kommen. Nach dem Willen des Koalitionspartners müssen die privaten Gläubiger künftig unbedingt einbezogen werden. Ansonsten gebe es "einen Aufstand in der FDP", sagte der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Volker Wissing, dem "Spiegel".
Der Unmut, den Deutschland mit dieser harten Haltung auf sich zieht, ist der Bundesregierung bewusst. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer (FDP), räumte gegenüber dem "Spiegel" ein: "Wir haben ein Kommunikationsproblem." Es gebe gelegentlich Zweifel an der europäischen "Grundausrichtung" der Deutschen.
Deutsche geteilter Meinung
In einer Emnid-Umfrage für den "Focus" sagten 48 Prozent der Deutschen, sie seien für die Unterstützung von Griechenland und Irland, 47 Prozent sind dagegen. Mit der formellen Entscheidung zum Hilfsantrag der Iren wird auch in deutschen Regierungskreisen zu Wochenbeginn gerechnet. Am Sonntag wollten die EU-Finanzminister in Telefonkonferenzen die Entscheidung vorbereiten.
Die Bekanntgabe vor dem Handelsstart an den Aktien- und Devisenmärkten gilt mittlerweile als übliche Vorsichtsmaßnahme, um heftige Kursreaktion zu vermeiden. Montagabend will Finanzminister Wolfgang Schäuble nach Angaben aus Berlin die Bundestagsausschüsse für Haushalt, Recht und Finanzen über das Ausmaß des deutschen Hilfsbeitrags unterrichten.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa/rts