Wirtschaft

Fiskalunion oder Anleihekäufe? Ein Riss geht durch die Eurozone

An den Anleihemärkten wird die Lage auch für Staaten im Kern Europas langsam bedrohlich. Immer lauter wird deshalb die Forderung, die EZB müsse mit aller Macht eingreifen. Doch das trifft in Berlin auf taube Ohren. Die Bundesregierung will den Druck der Märkte nutzen, um die anderen Staaten zu mehr Integration zu zwingen.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel.

(Foto: REUTERS)

Der wachsende Druck der Finanzmärkte verschärft den Streit um den richtigen Weg aus der europäischen Schuldenkrise. Auf der einen Seite stehen die Länder, die auf die Europäische Zentralbank setzen. Sie fordern, dass die EZB notfalls unbegrenzt Staatsanleihen kauft, um die Märkte zu beruhigen. Auf der anderen Seite steht vor allem Deutschland, das sich vehement gegen diese Idee stemmt.

Die Bundesregierung will stattdessen so schnell wie möglich eine Fiskalunion errichten, um die Krise zu bewältigen. Das heißt: Brüssel soll Eingriffsrechte in die nationalen Haushalte bekommen. Berlin hält es für untragbar, dass jedes Mitgliedsland selbst über Steuern und Ausgaben bestimmt, die Konsequenzen aber von der gesamten Währungsunion getragen werden.

Klare Ansage

Dieser Weg erfordert jedoch eine Änderung der EU-Verträge. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble betont, die notwendigen Gesetzesänderungen könnten binnen weniger Wochen in die Wege geleitet werden. "Die europäischen Gesetze bieten uns die Möglichkeit, jetzt eine Fiskalunion zu schaffen", sagte er In Frankfurt. Vor allem an die Adresse der britischen Regierung fügte er hinzu: "Daran werden uns EU-Länder, die nicht der Eurozone angehören und ihr vielleicht nie angehören werden, nicht hindern."

Die Botschaft der Bundesregierung ist deutlich: Sie will europäische Eingriffsrechte in die nationalen Haushalte bis Ende 2012. Dass sie dadurch EU-Partner vor schwierige innenpolitische Ratifizierungsprobleme stellt, nimmt sie ebenso in Kauf wie die Gefahr, sich unbeliebt zu machen.

Das Verhalten einiger Euro-Länder in der Schuldenkrise hat die Einstellung von Kanzlerin Angela Merkel offensichtlich geprägt. Vor allem Silvio Berlusconi und Giorgos Papandreou wird vorgeworfen, die Stabilisierung der Euro-Zone massiv unterlaufen zu haben. Berlusconi hatte im Sommer erst Reformen angekündigt und diese dann teilweise wieder zurückgezogen, nachdem die Intervention der EZB für einen vorläufigen Rückgang der Risikoaufschläge gesorgt hatte.

Papandreou hatte kurz nach dem Eurozonen-Gipfel Ende Oktober mit seiner plötzlichen Ankündigung eines Referendums alle Beschlüsse zum Schuldenschnitt des Landes konterkariert. Statt eines Aufbruchsignals herrschte Verwirrung, das Misstrauen in die politische Klasse des Landes ist massiv. Beide Schlüsselereignisse bestätigten Merkels Überzeugung, dass Solidarität zwar nötig ist, aber Härte besser ist als Vertrauen.

"Erfreuliches am Unerfreulichen"

Außerdem sind im Denken der Bundesregierung die Zinssätze an den Anleihemärkten offenbar nicht allein eine Gefahr, sondern von Nutzen. Denn nur wenn Regierungen etwa in Italien zu spüren bekämen, dass die Märkte das Vertrauen verlieren, seien sie auch zu Strukturreformen bereit. Merkel hat die Krise in den vergangenen Tagen zweimal ausdrücklich als Chance bezeichnet. "Um Reformen umzusetzen, bedarf es nicht nur der Einsicht, sondern auch eines Anlasses", sagte sie. "Das ist das Erfreuliche am Unerfreulichen."

Deshalb lehnt die Bundesregierung auch die Forderung ab, die EZB solle zum Befreiungsschlag ausholen und massiv Staatsanleihen von bedrängten Ländern kaufen, um die Märkte zu beruhigen und die Zinslast zu drücken. Sie fürchtet, dass die Notenbank auf diese Weise den Disziplinierungsdruck von den Regierungen der betreffenden Länder nimmt.

Angesichts der Tatsache, dass zunehmend Staaten mit soliden Haushalten in ernste Schwierigkeiten an den Anleihemärkten geraten, stößt diese Argumentation aber an ihre Grenzen. Nach einzelnen Ländern steht mittlerweile fast der gesamte Währungsraum unter Druck. Unterdessen verschärft sich die Situation für die altbekannten Krisenstaaten Spanien und Italien. Sie müssen Investoren so hohe Zinsen zahlen, die mittelfristig nicht zu tragen sind. Außerdem lastet der Sparkurs auf der Konjunktur. Einige Länder stecken bereits in der Rezession, andere stehen kurz davor.

Berlin will standhaft bleiben

Viele Fachleute verzweifeln deshalb am strikten Kurs der Deutschen. Sie fordern, dass die Notenbank unbegrenzt Staatsanleihen kaufen dürfe. Ihre Argumentation: Sollte die EZB als letzte Instanz einspringen, müssten sich Investoren keine Sorgen darüber machen, ob sie ihre Anleihen bei Bedarf loswerden. Das würde die Zinsen an den Märkten deutlich drücken und den Ländern die dringend benötigte Luft verschaffen.

Während die Risikoaufschläge für andere Euro-Staaten steigen, zahlt Deutschland an den Anleihemärkten die niedrigsten Zinsen seiner Geschichte – und das obwohl die Bundesrepublik gemessen am Bruttoinlandsprodukt höhere Schulden hat als Spanien. Das billige Geld nutzt die Regierung unter anderem dazu, Steuersenkungen anzukündigen. Im Ausland stößt das Disziplinierungsargument deshalb auf wenig Verständnis.

Der Konflikt zwischen den Vorstellungen deutscher Ordnungspolitik und alternativlosem Pragmatismus zieht sich wie ein roter Faden durch den bisherigen Verlauf der Schuldenkrise. Bislang wurde früher oder später noch fast jedes Tabu gebrochen, wenn die Umstände es erzwangen.

Die Bundesrepublik will unbedingt verhindern, dass die EZB zum Staatsfinanzierer wird und setzt stattdessen auf die Errichtung einer Fiskalunion. Die Warnung, sollte die EZB nicht bereit sein, von ihren Grundsätzen abzuweichen, drohe die ganze Eurozone zu zerbrechen, hält sie für übertrieben.

Quelle: ntv.de, jga/rts/dpa/DJ

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