Mit Chrysler, ohne Opel Fiat kämpft um Größe
10.06.2009, 16:55 UhrSergio Marchionne hat ein ehrgeiziges Ziel. Der Fiat-Chef will aus der italienischen Autoschmiede den zweitgrößten Fahrzeugkonzern der Welt schmieden. Der geglückte Einstieg bei Chrysler ist der erste Streich.
"Zweitgrößter Autobauer der Welt": Fiat-Chef Sergio Marchionne hat ein ehrgeiziges Ziel. Nur etwa fünf große Hersteller mit einem Jahresabsatz von mindestens rund sechs Millionen Autos können langfristig überleben, ist der gewiefte Industriemanager überzeugt. Mit dem Einstieg beim US-Autobauer Chrysler gelang dem 56- Jährigen nun sein erster Streich, das Bieterrennen um Opel hatte er dagegen kurz zuvor vorerst verloren. Jetzt heißt es auf der Fahrt zur Welt-AG: "Quo vadis, Fiat - Wo geht die Reise hin?"
Zusammengerechnet kamen Fiat und Chrysler 2008 auf lediglich gut vier Millionen verkaufte Autos. Viel zu wenig für Marchionnes Ziel. Branchenprimus Toyota setzte fast neun Millionen Wagen ab. Fiat braucht dringend weitere Partner oder Übernahmeziele. Die Aufgabe der Expansionsträume würde Marchionne wenig ähnlich sehen. Beobachter spekulieren über einen "Plan B" des Italieners mit kanadischem Pass.
"Operation Berlin"
So hofft Fiat insgeheim laut Medien noch auf ein Scheitern der Opel-Übernahme durch den österreichisch-kanadischen Zulieferer Magna und russische Partner. Unabhängig von der "Operation Berlin" ist Marchionne italienischen Medien zufolge weiter an anderen Teilen der bisherigen Opel-Mutter General Motors interessiert, etwa an den Südamerika-Aktivitäten. Fiat besitzt selbst Werke zum Beispiel in Brasilien, wo der Konzern rund 25 Prozent Marktanteil hält. Mit dem GM-Geschäft könnten die Italiener ihre Position in Ländern wie Mexiko, Venezuela und Chile ausbauen, heißt es.
Der Haken: Lateinamerika ist für den tief im Insolvenzverfahren steckenden GM-Konzern einer der wenigen Lichtblicke. Gerade erst betonte Chef Fritz Henderson, das Geschäft stehe nicht zum Verkauf. An einen Einstieg Fiats ohne Mitgift wie im Fall Chrysler ist gar nicht zu denken. Für Amerikas drittgrößten Hersteller zahlt der Fuchs Marchionne keinen Cent, sondern bringt Spritspar-Technologien und Kleinwagen-Modelle ein.
Bargeld haben die hoch verschuldeten Italiener auf ihrer Einkaufstour kaum zu bieten. Marchionne führte den Traditionskonzern aus Turin zwar seit 2004 vom Ruin zu neuen Erfolgen. Die aktuelle Krise bremste aber auch Fiat heftig. "2009 wird das schwierigste Jahr meines Lebens", prophezeite der krisenerprobte Manager schon im Januar.
Saab lockt
Als weitere mögliche Beute soll der Tausendsassa-Manager laut sich hartnäckig haltenden Gerüchten die chronisch verlustreiche GM-Tochter Saab im Auge haben. Große Stückzahlen winken hier aber nicht: Die Schweden fertigten 2008 weniger als 100 000 Autos.
Sollten alle GM-Pläne platzen, gäbe es für Fiat Alternativen in anderen Ecken der Welt wie Indiens Tata Motors. Aber auch in direkter Nachbarschaft gibt es potenzielle Partner wie BMW oder die Gruppe PSA Peugeot Citroën. BMW mit zuletzt gut 1,4 Millionen verkauften Autos war schon einmal kontaktiert worden. Die Bayern sind aber seit ihrem Debakel bei Rover gebrannte Kinder.
Die französische PSA-Gruppe gilt dagegen bei manchen Analysten als Favorit, bietet sie doch einen Jahresabsatz von zuletzt knapp 3,3 Millionen Autos. Marchionne wäre mit einem Schlag am Ziel. PSA zeigt sich überdies grundsätzlich offen für Allianzen.
Beide Konzerne sind besonders bei Klein- und Mitteklassewagen zu Hause. Sie könnten daher Technik und Plattformen teilen sowie Jobs und Kosten sparen. Beim Stellenabbau liegt aber zugleich die größte Hürde: Die Regierungen und Gewerkschaften in Rom wie Paris würden vehement gegen Verluste im eigenen Land kämpfen. PSA würde zudem laut Experten wohl auf einer Ehe gleichberechtigter Partnern bestehen.
Chrysler-Deal in letzter Minute
Zunächst aber muss Marchionne enorme Hausaufgaben bei Chrysler machen. Der fast 85 Jahre alte Hersteller hat zwar nun unmittelbar am Abgrund gerade noch die Kurve gekriegt. Auf ein dauerhaftes Überleben mag aber kaum ein Analyst wetten. Die Verkaufszahlen der drei MarkenChrysler, Jeep und Dodge brachen im Mai zusammen erneut um knapp 50 Prozent ein - das genaue Gegenteil von Marchionnes Absatzträumen.
Nach dem Sanierungserfolg bei Fiat trauen Experten dem Italiener zwar auch am Chrysler-Steuer einiges zu. Doch ganz freie Hand hat er dabei mit seinem Anteil von anfangs nur 20 Prozent nicht: Zunächst ist die Autogewerkschaft UAW Haupteigner und auch US-Präsident Barack Obama sitzt mit im Wagen. Die Mehrheit bekommt Marchionne erst, wenn alle Schulden an den Staat zurückgezahlt sind - und dafür muss Chrysler erst einmal sehr viele Autos verkaufen.
Quelle: ntv.de, dpa