Bahn stellt Mitarbeitereinsatz auf den Prüfstand Gewerkschaft redet bei Personalplänen mit
14.08.2013, 22:00 Uhr
Die Chaostage bei der Bahn in Mainz sorgen für einen erheblichen Machtgewinn der Arbeitnehmervertreter. Sie bekommen beim Personaleinsatz konzernweit erhebliches Mitspracherecht. Dabei geht es um nicht weniger als 400 Betriebe innerhalb des Unternehmens. Allerdings lässt sich die Gewerkschaft damit auch in die Verantwortung nehmen.
Die Deutsche Bahn und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) wollen als Reaktion auf die Personalnot in einzelnen Abteilungen sämtliche Personalplanungen für das kommende Jahr gemeinsam überprüfen. Die Pläne für die rund 400 Betriebe im Bahnkonzern sollten mit den Beschäftigten gemeinsam neu erarbeitet werden, sagte EVG-Chef Alexander Kirchner nach achtstündigen Verhandlungen. Die bis Mitte Oktober zu erarbeitenden Ergebnisse sollen am 4. November in gleicher Runde von Betriebsräten und Personalvorständen erneut diskutiert werden.
Überstunden sollen möglichst komplett abgebaut und gewährte Ruhetage eingehalten werden. Die Gewerkschaft rechnet mit zusätzlichen Einstellungen, wollte sich nicht auf eine genaue Zahl festlegen. Man habe bewusst darauf verzichtet, wie auf einem Basar um Zahlen zu feilschen. "Wir haben uns vorgenommen, gemeinsam daran zu arbeiten, dass sich ein solches Debakel nicht wiederholt", sagte Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber. Der Prozess werde zeigen, wo Neueinstellungen notwendig seien. "Wir wollen mit der heutigen Verabredungen ein Zeichen dafür setzen, dass wir alles tun, sicherzustellen, dass die Besetzung der Stellwerke so ist, dass ein solches Fiasko nicht noch einmal geschieht", sagte Weber weiter.
Damit konnte die EVG ihre Forderungen, angesichts der massiven Probleme am Mainzer Hauptbahnhof mehr Einfluss auf die Dienstpläne zu nehmen, durchsetzen.
Grube besucht Mainzer Stellwerk

Der Chef der EVG, Alexander Kirchner (l), sowie Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber nach dem Spitzengespräch.
(Foto: picture alliance / dpa)
Unterdessen hat Bahnchef Rüdiger Grube überraschend das Stellwerk in Mainz besucht. Eine Bahn-Sprecherin bestätigte einen "Bild"-Bericht. "Es gab vertrauliche Gespräche." Die Zeitung berichtete unter Berufung auf die Bahn, Grube sei für 90 Minuten in Mainz gewesen und habe sich mit einigen Kollegen über deren Sorgen und Nöte unterhalten. Das Treffen habe parallel zum Bahngipfel mit Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber und der Eisenbahngewerkschaft in Frankfurt stattgefunden.
Anlass für das Treffen sind massive, seit Wochen anhaltende Probleme im Stellwerk Mainz, wo nicht genügend Fahrdienstleiter vorhanden sind. "Mainz ist die Spitze des Eisbergs", sagte Kirchner. Konzernweit seien acht Millionen Überstunden und neun Millionen Stunden ausstehender Urlaub aufgelaufen. "Unsere Forderung ist eine Personalplanung, die sicherstellt, dass die Kollegen ihren Urlaub bekommen und freie Tage tatsächlich frei sind." Bis Ende des Monats will die Bahn dafür sorgen, dass der Zugverkehr in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt wieder normal läuft.
Bund plant keinen Börsengang
Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber sprach mit Blick auf Mainz von einem "Debakel, das nicht mehr passieren darf". Zugleich wehrte er sich aber gegen den Vorwurf, bei der Bahn gebe es keine Personalplanung. Man nehme den demografischen Wandel ernst, was sich in 20.000 Neueinstellungen in den vergangenen Jahren zeige. Am Abend will noch Bahnchef Rüdiger Grube mit der EVG-Spitze sprechen.
Der Bund als Eigentümer plant weiterhin keinen Börsengang der Bahn, auch wenn dies von FDP-Bundesministern ins Spiel gebracht worden ist. Die Bemühungen für eine Teilprivatisierung der Transportsparten des Konzerns seien in dieser Legislaturperiode nicht fortgesetzt worden, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Mit Blick auf die Probleme in Mainz liege zudem in einer Privatisierung "nicht das Mittel, mit dem man die derzeitige äußerst ungute Lage löst".
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler sagte dagegen, ein Börsengang könne zu einer Verbesserung von Effizienz und Kundennähe beitragen. "Eine Privatisierung kann helfen, aber das ist derzeit eher ein Führungsproblem als eine Frage der Unternehmensform", sagte der FDP-Chef der "Neuen Westfälischen".
Die EVG hielt der Bahn vor, den aktuellen Engpass im Stellwerk selbst angeordnet zu haben. Nach einem Beinahezusammenstoß zweier S-Bahnen am 1. August sei die Arbeitsbelastung der Fahrdienstleiter reduziert worden, um sich gegenüber Staatsanwaltschaft und Eisenbahnbundesamt keine Blöße zu geben. Einen Zusammenhang zwischen der Unterbesetzung und dem Beinaheunfall vom Monatsbeginn sieht EVG-Chef Kirchner aber nicht.
Kritik an Grubes-Anrufaktion
Kritik kam von der Gewerkschaft an Bahnchef Grube für dessen Anrufe bei Stellwerksmitarbeiter im Urlaub. "Dass Mitarbeiter, die dringend Urlaub brauchen, vom obersten Konzernlenker persönlich angerufen werden, halte ich für ein Ding der Unmöglichkeit", sagte Kirchner. Die Bahn verteidigte die Telefonaktion: "Im Interesse unserer Kunden, des Unternehmens und aller unserer über 300.000 Mitarbeiter hat er eine Handvoll Kollegen in Mainz angerufen, und sie darum gebeten, sich zu überlegen, ob sie nicht ihren Urlaub verschieben könnten", sagte Konzernsprecher Oliver Schumacher. "Ausdrücklich sollten sie eine Nacht darüber schlafen."
Derweil geht die Debatte auf politischer Ebene weiter und SPD-Chef Sigmar Gabriel attackierte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU). "Seit 2010 presst die schwarz-gelbe Bundesregierung eine halbe Milliarde Euro pro Jahr aus der Deutschen Bahn als Dividende heraus und stopft damit Löcher im Bundeshaushalt", sagte er. Dies gehe "auf Kosten der Beschäftigten und der Zuverlässigkeit". Ramsauer sei mit der Bahn aber «ganz offensichtlich überfordert».
Am Vortag hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in die Debatte eingeschaltet und eine ausreichende Personalstärke gefordert. "Es geht jetzt erstmal darum, dass ausgebildetes Personal da ist und dass man daran arbeitet, diese Personaldecke so auszustatten, dass auch in Krankheits- und Urlaubsfällen nicht jedes Mal Tausende von Menschen leiden müssen", hatte sie gesagt.
Quelle: ntv.de, jwu/dpa/rts