Wut über Zwangsvollstreckungen Hypotheken schwächen Obama
14.10.2010, 14:13 Uhr
In den USA stehen in diesem Jahr 1,2 Millionen Zwangsvollstreckungen an.
(Foto: REUTERS)
Klamme Hausbesitzer in den USA dürfen hoffen: In vielen Fällen scheinen Banken übereilt gepfändet zu haben. Während einigen überschuldeten Amerikanern nun eine Atempause vergönnt ist, wird die Luft für Präsident Obama dünner - denn er schützt eine Branche, die sich unbeliebt macht.
In den USA wird derzeit heftig über Zwangsvollstreckungen gestritten, für Präsident Barack Obama ist die Debatte ein wiederkehrender Alptraum. Denn er muss sich erneut schützend vor eine Branche stellen, die sich wegen ihrer Rücksichtlosigkeit den Zorn der Amerikaner zuzieht.
Schon die milliardenschwere Rettung der Banken stößt in den USA in weiten Teilen der Bevölkerung auf Unverständnis. Abfindungen und Boni in Millionenhöhe machten die Rettung so unpopulär, obwohl sie unausweichlich war. Obama muss sich immer wieder dafür rechtfertigen, warum er die Mitverursacher der Finanzkrise rettete.
Nun steht die Finanzbranche wieder am Pranger – und das nicht ohne Grund. In den USA wächst die Empörung über fragwürdige Methoden, mit denen Immobilienfinanzierer Zwangsvollstreckungen durchführen. Die Banken sitzen auf einem Berg an faulen Krediten. Gut jeder zehnte Hausbesitzer ist im Rückstand. Die Zwangsvollstreckung scheint die logische Folge. Doch die Banken müssen jeden Einzelfall genau prüfen, dazu sind sie gesetzlich verpflichtet. Wegen der Flut der Probleme fehlten ihnen dazu aber die Leute - also heuerten sie massenhaft neue Mitarbeiter an, ohne diese ausreichend zu schulen. Am Ende herrschte Chaos.
Der Ärger darüber ist so groß, dass ein landesweiter Stopp der Pfändungen gefordert wird. Immer mehr Politiker springen auf diesen Zug, schließlich stehen im November Kongresswahlen an. Den Demokraten droht angesichts hoher Arbeitslosigkeit und einer nur schleppenden Konjunkturerholung ein Debakel.
Obama gegen generellen Stopp
Doch Präsident Obama stemmt sich gegen die populäre Forderung. Sein Argument: Wer die Finanzindustrie schädigt, der schädigt die gesamte Wirtschaft. Ein Moratorium könne zwar kurzfristig Emotionen beruhigen, aber es würde nur das Unvermeidliche hinauszögern: Dass überschuldete Hypothekenbesitzer über kurz oder lang ihr Haus verlieren, das sie sich nicht mehr leisten können.
Doch die Immobilenfinanzierer machen es Obama schwer. Die "New York Times" berichtet über einen besonders schweren Fall: So räumte die Bank of America das Haus einer Frau, die nicht einmal eine Hypothek aufgenommen hatte. Das Geldinstitut hatte übersehen, dass der vorherige Besitzer sein Darlehen vollständig zurückgezahlt hatte. Die Bank sorgte dafür, dass die Schlösser des Hauses ausgetauscht und die Strom- sowie Wasserversorgung gekappt wurden. Der Papagei der Besitzerin wurde beschlagnahmt. Später entschuldigte sich die Bank. Mittlerweile setzte sie Zwangsversteigerungen landesweit aus.
Auch andere Banken räumen Fehler ein, sprechen aber von Einzelfällen. JP-Morgan-Chef Jamie Dimon kündigte an, dass sich sein Haus 115.000 Fälle noch einmal anschaue. "Es ist aber praktisch auszuschließen, dass wir einen Fehler gemacht haben." Wells Fargo teilte mit, seine Unterlagen seien in Ordnung. Die Citigroup wies die Forderung nach einem Moratorium zurück.
Generalstaatsanwälte ermitteln
Doch der Druck wächst. Die Generalstaatsanwälte aller 50 US-Bundesstaaten ermitteln gegen Hypotheken-Banken. Sie stehen im Verdacht, tausende Zwangsvollstreckungen ohne ausreichende Prüfung und mit falschen Dokumenten in Gang gesetzt zu haben. Bei dem Spiel sollen auch ganz Große der Branche wie die Bank of America, JP Morgan oder Ally Financial (die ehemalige Finanzsparte des Autokonzerns General Motors) mitgemischt haben.
Die Staatsanwälte werfen einer ungenannten Zahl von Hypotheken-Banken vor, dass die Zwangsvollstreckungen von Mitarbeitern unterzeichnet wurden, die von den konkreten Fällen gar keine Ahnung hatten. Die Staatsanwälte brandmarkten dies in einer gemeinsamen Erklärung als "Robo-Signing", zu deutsch roboterhaftes Unterschreiben. Zudem gehen sie davon aus, dass in vielen Fällen Dokumente nicht rechtskräftig ausgestellt wurden. Demnach fehlte oftmals eine notarielle Beglaubigung.
Die Banken argumentieren, einzelne Probleme dürften nicht zu einem generellen Aussetzen der Zwangsversteigerungen führen. Ein solcher Schritt würde der ohnehin angeschlagenen Konjunktur weitere Schäden zufügen. Befürworter eines Stopps sprechen dagegen von so weitverbreiten Fehlern mit so harten Konsequenzen, dass ein Aussetzen unvermeidlich sei. Dann hätten die Banken Zeit, ihre Methoden zu überarbeiten.
Weitverbreiteter Ärger
Nach Schätzung von Experten stehen in diesem Jahr in den USA 1,2 Millionen Häuser zur Zwangsversteigerung an. Die Besitzer haben sich oft auf Hypotheken mit steigenden Zinsen eingelassen, die sie in der Finanzkrise nicht mehr erfüllen konnten. In dem weit verbreiteten Ärger über die mit Milliardenhilfen gestützten Banken stößt der Vorschlag für eine Atempause für die Hausbesitzer in der US-Öffentlichkeit auf große Zustimmung.
Vor der Krise hatten die Banken mit billigen Krediten zahllose Hauskäufe finanziert. Selbst Kunden, die keinerlei Rücklagen hatten, bekamen in Zeiten steigender Immobilienpreise noch Geld geliehen, die so genannten Subprime Loans. Diese Geschäftspolitik legte letztlich einen Grundstein für die Finanzkrise. Denn viele Investoren weltweit investierten in diese zweitklassigen Hypotheken - als sie ausfielen, setzte sich ein Verlustkarussell in Gang.
Analysten warnen, ein Stopp der Zwangsversteigerungen belaste die ohnehin nur schleppende Erholung der Wirtschaft. Die Unsicherheit über die Gesundung der Banken würde zunehmen, da den Instituten dann weitere Abschreibungen drohten. Ohne einen Abschluss der Schuldenverfahren hätten die Banken Schwierigkeiten, ihre Bücher endlich von faulen Krediten zu säubern. Ein kompletter Stillstand bei den Zwangsversteigerungen könnte damit für die von der Finanzkrise gebeutelten Banken also noch teurer werden.
Ökonomisch sinnvoll - politisch falsch
Das mag stimmen. Doch der Ärger über die Banken wächst und macht es für Gegner eines landesweiten Pfändungsstopps schwer, sich Gehör zu verschaffen. Die Rettung der Banken bleibt äußerst unpopulär, obwohl sie notwendig war. Die Stimmung vieler Amerikaner lässt sich folgendermaßen auf den Punkt bringen: Den Großen werden Milliardensummen hinterhergeworfen, während der normale US-Bürger nichts von den Rettungspaketen habe.
Selbst die Rettung der Autoindustrie stößt auf wenig Gegenliebe, obwohl sie viel härter war als die Bankenrettung – GM und Chrysler mussten in die Insolvenz - und viele Amerikaner dadurch ihren Job behalten konnten.
Für Obama ist die derzeitige Wut über die Zwangsversteigerungen eine große Gefahr. Sein Eintreten gegen einen landesweiten Stopp ist ökonomisch sinnvoll. Doch politisch kann dieser Kurs ihm schwer schaden. Dem US-Präsidenten bleibt nur eine Hoffnung: Dass die Konjunktur endlich anzieht und die Arbeitslosigkeit spürbar sinkt. Doch danach sieht es derzeit nicht aus.
Quelle: ntv.de, mit rts/dpa