Von "Kirmescharakter" und "Show Cars" "IAA lockt mit zwei deutschen Highlights"
09.09.2013, 09:30 Uhr
Für Helmut Becker eines der Highlights auf der IAA: BMW i3.
(Foto: REUTERS)
Rund 1000 Aussteller aus mehr als 30 Ländern machen die IAA in Frankfurt zur internationalen Leitmesse der Automobilindustrie: Hersteller und Zulieferer aus aller Welt präsentieren Neuerungen und Weiterentwicklungen rund um das Automobil. Die Branche feiert sich selbst - trotz anhaltender Absatzkrise in Europa und auch in Deutschland selbst - und blickt in die Zukunft. Was diese bereithält, weiß n-tv.de-Autoexperte Helmut Becker.

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.
n-tv.de: Herr Becker, mit der IAA steht die weltgrößte Automesse an. Vom 12. bis zum 22. September dreht sich damit in Frankfurt alles um das Thema Automobil. Worauf liegt das Augenmerk in diesem Jahr?
Helmut Becker: Der Fokus liegt auf drei Elementen: 1. die weitere Verbesserung und Effizienzsteigerung beim traditionellen Antrieb mit Benziner und Diesel, dem Brot- und Butter-Geschäft der Branche. 2. die Elektrifizierung des Antriebs bis hin zum reinen Elektroauto wie bei BMW. Und 3. die IT-Vernetzung.
Es ist bereits die 65. Messe. Was macht die IAA so besonders, was ist das Erfolgsgeheimnis?
Das Erfolgsrezept liegt darin begründet, dass wir bei der IAA eine nahezu komplette Zusammenstellung dessen haben, was die Welt an automobilen Produkten und Automobiltechnik anzubieten hat. In Frankfurt treffen sich nicht nur die Hersteller, sondern auch die wichtigsten Zulieferer der Welt, auch aus den Schwellenländern wie Indien oder Russland.
Was hat sich mit den Jahren verändert?
Die IAA ist immer internationaler geworden. Und gleichzeitig hat sich auch immer mehr ein Kirmescharakter herausgebildet. Es ist eine Automesse für jedermann geworden, nicht nur für das reine Fachpublikum. Das zeigt auch das Motto der diesjährigen IAA: die "automobilste Show der Welt". Die IAA ist eine Unterhaltungsshow für alle geworden rund um das Thema Auto.
Und dadurch aber auch ein Publikumsmagnet. Vor allem die Messeneuheiten machen neugierig und sorgen dafür, dass die Besucherzahlen steigen. Auf welche "Show Cars" und Studien können sich die Besucher in diesem Jahr freuen?
Das Angebot an Neuheiten ist breitgefächert. Da wäre beispielsweise der traditionelle Bereich: Neuauflagen von Modellen, die es bisher schon gab - etwa die A-Klasse von Daimler. Auch die Hersteller aus Frankreich, Peugeot und Renault, bieten eine Reihe neuer Modelle. Dann gibt es die völlig neuen Technologien, wie sie etwa BMW mit dem i3 im Karosseriebau und der Konstruktion zeigt, oder auch Daimler mit der S-Klasse im Produkt selbst. Und dann dürfen natürlich auch die Exoten nicht fehlen, Autos zum Träumen, nur für wenige erschwinglich, auch mit hohen PS-Zahlen - wie etwa von Rolls-Royce, Bentley oder Jaguar. Die sind zwar schön anzusehen, für den Massenmarkt aber untauglich und eher als Marketingmaßnahmen der Hersteller anzusehen.
In der derzeitigen Absatzkrise in Europa ist das vielleicht nicht der falscheste Weg. Spürt man die Krise auf der IAA? Ist sie ein Thema?
Auf und vor den Messeständen wird man das nicht spüren. Dort herrscht business as usual. Das Massenpublikum wird in die Hallen strömen wie immer, um sich mit leuchtenden Augen die Karossen anzuschauen, die sie sich eigentlich nicht leisten können. Die strukturelle Überkapazitätskrise der Branche wird dabei nach außen hin nicht sichtbar oder spürbar werden. Hinter den aufpolierten Kulissen der Branchengrößen bleiben die Sorgenfalten natürlich, sogar bei Volkswagen. Die kann auch die IAA nicht wegzaubern.
Welche Rolle spielen die Chinesen auf der IAA?
Die Asiaten, insbesondere die Chinesen, sind stark auf dem Vormarsch. Mittlerweile kommt fast ein Drittel aller Aussteller aus Asien. Das beweist auch die wachsende Bedeutung des asiatischen Marktes als Absatzmarkt. China etwa wird 2013 mit über 15 Millionen Neuzulassungen erstmals sogar die USA vom Spitzenplatz verdrängen. Man könnte meinen, die nächste IAA 2015 findet in Schanghai statt und nicht mehr in Frankfurt. So weit wird es dann natürlich doch nicht kommen. Aber wir werden im Laufe der nächsten Dekade dadurch eine Verlagerung der Schwerpunkte im internationalen Messegeschäft erleben - von Europa nach Asien.
Apropos: Qoros hatte seinen großen Auftritt auf der IAA angekündigt. Jetzt ist es still geworden um das Unternehmen. Kommt der preiswerte "BMW" aus China doch nicht?
Da muss ich als Ex-BMW-ler doch intervenieren: Einen preiswerten BMW wird es nie geben und auch nicht geben können. Kopien oder Nachbauten können nie Originale ersetzen - weder bei BMW oder Daimler noch bei Prada oder Rolex. Ob der Qoros, wenn er denn als Billigauto kommt, ein Erfolg wird, ist vorerst anzuzweifeln. Reine "homemade in China"-Produkte sind auf dem Weltmarkt derzeit noch nicht konkurrenzfähig. Das verwundert allerdings auch nicht, wenn man bedenkt, dass beispielsweise die koreanischen Hersteller Jahrzehnte gebraucht haben, um Fuß zu fassen und ein international konkurrenzfähiges Angebot auf die Beine zu stellen. Und, das muss man herausstreichen: Selbst die Koreaner sind ohne deutsche Unterstützung nicht groß geworden.
Inwiefern?
Hyundai hat inzwischen einen deutschen Vizepräsidenten, Kernfunktionen wie Design und Vertrieb sind fest in deutscher Hand und haben, präzise: Volkswagen-Stallgeruch, sehr zum Leidwesen der Herren Piech und Winterkorn. Ihr Entwicklungszentrum haben die Koreaner aus gutem Grund nach Deutschland verlegt, nach Rüsselsheim, quasi in Sichtweite von Opel. Bei Qoros weiß man das und geht einen ähnlichen Weg: Nahezu alle führenden Manager haben ihr Handwerk bei deutschen Autobauern gelernt. Aber das Unternehmen steht halt noch am Anfang seiner Entwicklung.
Das könnte man bei den weltweiten Verkaufszahlen auch bei den Elektroautos sagen. In Europa versucht nun der amerikanische Hersteller Tesla einen neuen Anlauf und präsentiert mit dem Modell S ein extrem sicheres und langstreckentaugliches Fahrzeug. Bringt Tesla jetzt die Elektromobilität nach Europa?
Nein, eigentlich nicht. Tesla ist ganz klar ein Exot. Das Unternehmen genießt medial eine völlig übertriebene Aufmerksamkeit. Ein paar Zahlen als Beweis: So werden in Europa in guten Zeiten jährlich rund 14 Millionen Fahrzeuge abgesetzt. Wenn Tesla jetzt 1000 oder 2000 Autos im Jahr hier verkauft, ist das schon viel.
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Werbeoffensive für den Nissan Leaf, laut den Japanern das meistverkaufte Elektroauto der Welt?
Meistverkauft heißt in diesem Zusammenhang nicht viel. Wenn weltweit rund 70 Millionen Autos abgesetzt werden, nehmen sich die von Nissan angegebenen 70.000 doch eher bescheiden aus. Das Auto spielt für den Weltmarkt keine Rolle, hier dominieren auf lange Zeit noch die herkömmlichen Verbrennungsmotoren als Antrieb.
Woran liegt das?
Elektromobilität ist heute noch eine Nischenstrategie, was vor allem der fehlenden Reichweite infolge unzureichender Batteriespeicher-Kapazität geschuldet ist. Für Flächenstaaten wie Deutschland oder auch die USA sind Reichweiten von 100, 150 oder 200 Kilometern einfach zu gering, um ein Verkaufsschlager in der breiten Masse zu werden. Damit kommt man noch nicht einmal durchs Ruhrgebiet - es sei denn, man übernachtet bei der Freundin (lacht).
Zum Thema Nische: Die deutschen Hersteller sind mittlerweile auch bekannt dafür, jede Nische zu besetzen. Wie sind sie bei der E-Mobilität aufgestellt?
Die deutsche Automobilindustrie setzt auf Hybridisierung. Das heißt: Sie haben einen ganz normalen Verbrennungsmotor als Hauptantrieb und dazu einen Elektromotor zur Unterstützung und Energierückgewinnung, etwa aus Bremsvorgängen. Mit dessen Hilfe kann man dann eventuell auch kurze Strecken ohne Verbrennungsmotor fahren - beispielsweise im innerstädtischen Verkehr. Oder sie haben einen reinen Elektroantrieb, der durch ein Verbrennungsmotörchen als Stromgenerator, neudeutsch range extender, unterstützt wird. Da ist BMW im Moment führend mit dem i3 und dessen Carbontechnologie, die zu einer Gewichtsreduzierung um rund ein Drittel führt. Je mehr Gewicht sie schleppen müssen, je schwerer das Auto ist, desto kürzer die Reichweite. Und da diese eh noch sehr begrenzt ist, müssen sie das Auto leichter machen. Das ist ein Weg in die Zukunft, ich sage bewusst ein Weg, weil ein alltagstaugliches Zwei-Drei-Liter-Auto, das demnächst auch kommen wird, ebenfalls viel Zukunft hat.
Also ist der Hybrid die zukunftsweisende Alternative, bis der Akku über 500 Kilometer trägt?
Der Hybrid ist die Übergangstechnologie. Wir haben in der Wirtschaftsgeschichte der letzten 200 bis 300 Jahre nie abrupte Brüche gehabt, sondern immer Übergänge. 1988 hat Toyota mit der Hybridisierung begonnen. Der Prius hatte damals noch zwei gleichwertige Motoren und war dadurch unheimlich schwer, ein erheblicher Nachteil. Mittlerweile ist die Hybrid-Technik weit fortgeschritten und alle deutschen Hersteller sind erfolgreich dabei, die einen mehr, die anderen weniger.
Die deutsche Automobilindustrie ist also beim Thema Hybridisierung voll auf der Höhe der Zeit?
Voll und ganz, das Angebot ist vorhanden. Ob aber Elektro-Autos wie der i3 ein Erfolg werden, muss natürlich der Kunde entscheiden. Aber als Bertha Benz 1886 mit ihrer legendären Fahrt nach Pforzheim das Automobil "zur Welt brachte", war dessen Erfolg auch nicht abzusehen.
Was wird am Ende der 65. IAA in den Köpfen der Öffentlichkeit hängenbleiben?
Zwei Dinge, glaube ich: die S-Klasse von Daimler, als weltweite Benchmark im Automobilbau derzeit, und die BMW-Carbontechnologie, bei der der Konzern den Automobilbau auf den Kopf stellt. Das sind die beiden Höhepunkte der diesjährigen IAA. Alles andere an IT- und elektronischen Assistenz- und Komfort-Systemen fällt in die Kategorie "Schöner Wohnen" - nice to have, aber nicht notwendig, um von A nach B zu kommen.
Mit Helmut Becker sprach Thomas Badtke
Quelle: ntv.de