Wirtschaft

Streitthema Zinssenkung Ist die EZB "bereit zu handeln"?

EZB-Chef Draghi: Bereit für eine Zinssenkung?

EZB-Chef Draghi: Bereit für eine Zinssenkung?

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Aktienmärkte preisen eine Zinssenkung der Europäischen Zentralbank bereits ein. Der Dax prescht deutlich vor. Aber kommt sie denn auch? "Wir haben jetzt alle Freiheiten", fasst ein hochrangiger EZB-Vertreter den derzeitigen Stand zusammen. Der Schritt wäre mehr als nur ein "psychologischer Effekt".

In Frankfurt pfeifen es die Spatzen schon von den Hochhausdächern: Anfang Mai könnte die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins angesichts der Rezession in weiten Teilen der Währungsunion weiter senken und damit zum ersten Mal seit Mitte 2012 an der Zinsschraube drehen. Bereits Anfang April hatte Notenbankchef Mario Draghi erklärt, man sei "bereit zu handeln", sollte sich die ohnehin maue Konjunktur in den 17 Euro-Ländern weiter eintrüben. Mehr und mehr schlechte Wirtschaftsdaten - inzwischen auch aus den lange stabilen Kernländern Deutschland und Frankreich - machen einen weiteren Zinsschritt nach unten wahrscheinlicher. Ganz sicher ist das freilich nicht - weil Zweifel bleiben, was sie bringen würde.

"Wir haben jetzt alle Freiheiten", fasst ein hochrangiger EZB-Vertreter den Stand der Debatte nur wenige Tage vor der Entscheidung zusammen. Ein immer größerer Teil der 23 Notenbanker, die am 2. Mai in der slowakischen Hauptstadt Bratislava zusammenkommen, scheint sich mit einem Leitzins von vermutlich 0,5 Prozent anfreunden zu können, also einen viertel Punkt niedriger als jetzt. Das gilt etwa für EZB-Vizepräsident Vitor Constancio und für seinen französischen Kollegen Benoit Coeure. Beide sind im Lager der Tauben beheimatet, also der Notenbanker, die lieber die Wirtschaft stützen, als mit hohen Zinsen Inflationsgefahren zu bekämpfen.

Psychologischer Effekt

Schaut man auf die Wirtschaftsdaten, die aus den Ländern der Eurozone eintröpfeln, wird klar, warum die Zahl der Argumente für eine Zinssenkung wächst und wächst. Zuletzt zeigte sich, dass inzwischen sogar Deutschland - eigentlich ökonomische Lokomotive in Europa - schwächelt. Glaubt man Umfragen unter europäischen Einkaufsmanagern, sieht es nicht gut aus, weder in der Industrie, noch bei den Dienstleistungsfirmen.

Am Mittwoch fiel zudem der viel beachtete Ifo-Index deutlicher als erwartet. Mehr und mehr Analysten gehen inzwischen davon aus, dass die EZB die Zinsen senken wird. Thorsten Gellert von Forex Capital Markets: "In den vergangenen 48 Stunden hat sich die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Zinssenkung in der Euro-Zone eindeutig erhöht."

Doch reicht das alles wirklich aus, um die Notenbank zur nächsten Zinssenkung zu drängen? "Nicht unbedingt", erklärt der hochrangige EZB-Vertreter, der nicht namentlich genannt werden will. Allerdings räumt er ein, dass selbst so geldpolitische Hardliner wie Bundesbank-Präsident Jens Weidmann nicht komplett gegen einen solchen Schritt sind - angesichts der desolaten Lage. "Weidmann ist offen, würde ich sagen." Der Deutsche selbst hat signalisiert, dass er seine Entscheidung davon abhängig machen wird, welches Bild die Wirtschaftdaten ergeben. Doch dass eine Zinssenkung tatsächlich etwas helfen wird, glaubt er nicht. Aber einen psychologischen Effekt könnte sie haben, sagen die Befürworter.

Noch Luft nach oben

Denn die Menschen in vielen Ländern der Eurozone erwarten ein Zeichen aus Frankfurt. Und mit einem Leitzins von 0,75 Prozent hat die EZB verglichen mit anderen wichtigen Notenbanken noch Luft nach unten - das sieht nicht nur der Internationale Währungsfonds (IWF) so. Eine Leitzinssenkung könnte Banken trotz Krise und steigender Anforderungen an ihre Kapitalausstattung zur Vergabe von mehr Krediten ermuntern. Denn genau das ist das Problem der Wirtschaft in Euro-Land: viele Firmen kommen nicht an Geld. Doch ob die Banken den niedrigeren Leitzins für billigere Kredite nutzen, ist völlig ungewiss.

"Es lässt sich sicher nicht vorhersagen, ob die Banken die vollen 25 Basispunkte einer Zinssenkung über niedrigere Zinsen an ihre Kreditkunden weitergeben würden oder zur Stärkung ihrer eigenen Kapitalbasis nutzen und wie einen Gewinn behandeln", sagt ein Experte mit Zugang zu den EZB-Entscheidungsgremien. "Ich denke aber, das beides eine gute Sache wäre." Dabei weiß er Draghi auf seiner Seite. Der hatte kürzlich betont, es sei dringend geboten, "die Widerstandsfähigkeit der Banken zu stärken, wo auch immer nötig".

Allerdings lösen sich zugleich immer mehr Banken vom Tropf der EZB und zahlen vorzeitig Geld zurück, dass sie sich im Dezember 2011 und Februar 2012 bei der Zentralbank geliehen haben. Dadurch sank die Überschussliquidität, also jenes Geld im Finanzsystem, das nicht für das Alltagsgeschäft der Geldhäuser benötigt wird, von 600 Milliarden Euro zu Beginn dieses Jahres auf mittlerweile 340 Milliarden Euro. Eine gute Nachricht. Doch was ist, wenn ein neuer Schock das Finanzsystem trifft? Denn die dortigen Akteure vertrauen sich nach wie vor nur wenig. Und viele Banken in Krisenländern sind weiter vom EZB-Geld abhängig.

Deren Präsident Draghi hat Anfang des Monats bekräftigt, die Zentralbank werde "so lange wie nötig" Liquidität zur Verfügung stellen. Aus der EZB heißt es nun: "Vielleicht sollten wir da etwas spezifischer werden." Nächsten Donnerstag könnte es also heißen: mehr billiges Geld und mehr Planungssicherheit für Europas Banken. Oder doch (noch) nicht?

Quelle: ntv.de, Andreas Framke, rts

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