Euro-Rettung illegal? Karlsruhe rüttelt an der EZB
10.06.2013, 18:28 Uhr
Zentral gelegen: Die Zentrale der Zentralbank in Frankfurt.
(Foto: REUTERS)
Der Draghi-Plan zur Rettung des Euro stößt in Deutschland auf massive rechtliche Bedenken: In Karlsruhe knöpfen sich die Richter am Bundesverfassungsgericht das Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank vor. Für EZB-Chef Draghi und den Euro geht es um alles oder nichts.
Darf die Europäische Zentralbank zur Rettung des Euro unbegrenzt Staatsanleihen von Schuldenländern kaufen und damit die deutschen Steuerzahler womöglich unabsehbaren Risiken aussetzen? In einer mit Spannung erwarteten öffentlichen Verhandlung berät das Bundesverfassungsgericht ab Dienstag, inwieweit das Hilfsprogramm mit geltendem deutschen Recht vereinbar ist.
Wie die Karlsruher Richtern diese Frage beantworten, ist noch völlig offen. Seit Wochen diskutieren Experten drei verschiedene Szenarien: Entweder winkt das höchste deutsche Gericht das Kaufprogramm durch - oder die Euro-Rettung per Notenpresse wird gekippt. Am wahrscheinlichsten halten Beobachter noch eine diplomatische "Ja/aber"-Lösung, in der die Verfassungsrichter das Programm im Prinzip billigen, aber mit Auflagen versehen.
Vieles hängt nach Ansicht der Experten auch von der Frage ab, ob sich das höchste deutsche Gericht darauf beschränkt, nur die Grenzen des Grundgesetzes in Bezug auf die Euro-Rettung auszuloten, oder ob sie die gesamte Problematik samt konkreter Bedenken an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weiterreichen.
Handfeste Einwände aus Deutschland
Doch was genau ist passiert? Im vergangenen Jahr hatte EZB mit der Ankündigung, zur Beruhigung der Märkte Anleihen bedrängter Euro-Staaten in unbegrenzter Höhe aus dem Markt zu saugen, einen Sturm der Entrüstung unter Fachleuten, Skeptikern und Euro-Kritikern ausgelöst. Der Wirbel blieb juristisch nicht ohne Folgen: Über die formellen Klagen gegen das sogenannte OMT-Programm wird nun ab Dienstag verhandelt. In dem zweitägigen Sitzungsmarathon wollen die Richter auch jene Randfragen abarbeiten, die bei ihrer grundsätzlichen Billigung des Euro-Rettungsfonds ESM am 12. September 2012 offen geblieben waren.
Das sogenannte OMT-Programm trat im September 2012 auf Beschluss des EZB-Rats in Kraft. OMT steht für "Outright Monetary Transactions" ("geldpolitische Offenmarktgeschäfte").
Im Rahmen des OMT-Programms kann die EZB unter bestimmten Bedingungen Staatsanleihen bestimmter Euroländer in vorab nicht explizit begrenzter Höhe über den Sekundärmarkt aufkaufen.
Erklärtes Ziel ist es, "ernsthaften Störungen an einzelnen Anleihemärkten entgegenzuwirken und so die Voraussetzungen für das Funktionieren der geldpolitischen Transmission zu schaffen".
Bundesbank-Chef Weidmann lehnte die OMT im EZB-Rat wegen "ihrer Nähe zur verbotenen monetären Staatsfinanzierung und den mit ihr einhergehenden Folgen und Fehlanreizen" ab.
Damit die Wertpapierkäufe die Menge des umlaufenden Zentralbankgeldes nicht erhöhen, bietet die EZB zinsattraktive Einlagegeschäfte an. Auf diese Weise will die EZB dem Bankensystem Zentralbankgeld in Höhe des OMT-Volumens entziehen.
(Quelle: Bundesbank)
Der Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler und weitere Kläger vertreten die Auffassung, dass das EZB-Programm gegen Europarecht verstößt. Ihre Begründung: Die Europäischen Verträge verbieten eine Staatsfinanzierung per Notenpresse ausdrücklich. Nichts anderes tue die EZB aber beim Kauf von Staatsanleihen und überschreite damit ihre Befugnisse.
Bundesbank-Chef ist dagegen
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sieht das ähnlich. Er stimmte damals im EZB-Rat als einziger gegen das Programm. Kritiker Weidmann wird nun ebenso nach Karlsruhe kommen, wie Deutschlands Vertreter im EZB-Direktorium, Jörg Asmussen. Er will das Aufkauf-Programm vor Gericht verteidigen.
EZB-Präsident Mario Draghi selbst wird nicht erscheinen. Laut Asmussen bleibt Draghi der Verhandlung fern, weil die Einladung der Richter an die EZB insgesamt und nicht an Draghi persönlich gerichtet gewesen sei. "Ich kenne das Verfassungsgericht von allen EZB-Direktoren am besten, deshalb fiel die Wahl auf mich", sagt Asmussen. Dass die EZB mit dem Ankaufprogramm ihr Mandat, die Sicherung der Geldwertstabilität, überschreitet, glaubt Asmussen nicht.
Auch wenn er nicht selbst nach Karlsruhe musst, verteidigte Draghi einen Tag vor Beginn der Verhandlung das Staatsanleihen-Kaufprogramm: "Bislang ist noch kein einziger Euro von der EZB ausgegeben worden, die Lage hat sich aber trotzdem substanziell verbessert", so Draghi im ZDF. "Das Risiko des deutschen Steuerzahlers ist heute deutlich geringer als noch vor einem Jahr." Gleichzeitig machte der EZB-Chef die Grenzen der Politik seines Hauses deutlich: "Wir werde nicht eingreifen, um die Zahlungsfähigkeit eines Landes generell zu sichern."
Unbegrenzt Geld für alle?
Das EZB-Programm sieht vor, dass nur Anleihen von jenen Staaten angekauft werden, die sich zuvor dem ESM-Rettungsfonds und dessen strengen haushaltspolitischen Kontrollen unterstellt haben. Zudem sollen nur Anleihen mit maximal dreijähriger Laufzeit erworben werden, damit Krisenstaaten nicht langfristig auf bequemes Geld der EZB setzen können.
Bislang ist offiziell noch kein einziger Cent aus dem OMT-Programm in den Ankauf von Anleihen geflossen. Alleine schon die Ankündigung Draghis vom September hatte eine krisendämpfende Wirkung: So gingen die Renditen zweijähriger spanischer Staatsanleihen von 6,6 Prozent im Juli 2012 auf 2,6 Prozent in diesem Januar zurück.
Verbale Wirkung
Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung des Programms durch Karlsruhe tut sich allerdings eine Hürde auf: Die deutschen Verfassungshüter sind nicht befugt, über Verstöße der EZB gegen Europarecht zu befinden. Dies darf nur der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg.
Ein klares Urteil fällen dürften die Richter trotzdem: Allein mit Blick auf das Grundgesetz können sie prüfen, ob Verlust- und Haftungsrisiken sowie Inflation, die mit den Anleihekäufen der EZB einhergehen könnten, das Budgetrecht des Bundestags und die Eigentumsrechte der Bürger verletzen, wie einzelne Euro-Kritiker beklagen.
Am Ende der Verhandlung könnte eine spektakuläre Entscheidung stehen: Würde Karlsruhe solch gravierenden Grundrechtsverstöße feststellen, könnte es im Extremfall sogar die Bundesregierung zum Austritt aus der Eurozone verpflichten. Sollte das deutsche Verfassungsgericht die Notenbank tatsächlich in Sachen Euro-Rettung zur Umkehr zwingen, befürchten viele Experten eine neuerliche Eskalation an den Märkten.
EZB-Direktor Asmussen selbst hat das Bundesverfassungsgericht eindringlich vor einem Urteil gegen ihre Anti-Krisenpolitik gewarnt. Einen Tag vor Beginn der Verhandlung über das Staatsanleihen-Kaufprogramm der EZB rief der deutsche EZB-Vertreter auf ungewöhnlichem Weg und in ungewohnt deutlichen Worten die Richter dazu auf, die Folgen ihrer Entscheidung zu bedenken.
"Legt euch nicht mit der EZB an"
Das unabhängige Bundesverfassungsgericht handele nicht im luftleeren Raum, gab Asmussen in der "Bild"-Zeitung zu bedenken. "Wenn das Aufkauf-Programm zurückgenommen werden müsste, hätte das erhebliche Konsequenzen." Die EZB habe so handeln müssen, um den Zerfall der Währungsunion zu verhindern.
Asmussen verteidigte das Vorgehen der Notenbank. "Als wir das Programm angekündigt haben, stand die Eurozone kurz vor dem unkontrollierten Zerfall", sagte er in dem Interview. Unternehmen und Banken hätten angefangen, sich auf das Ende der Währungsunion vorzubereiten. Als einzige handlungsfähige Institution habe die Zentralbank deshalb den Spekulanten klarmachen müssen: "Legt euch nicht mit der EZB an. Der Euro wird verteidigt", ergänzte er.
Die EZB hatte den möglichen Markteingriff damit begründet, dass die Zinsen auf Staatsanleihen der Krisenstaaten ungerechtfertigt weit in die Höhe schnellten und so die Niedrigzinspolitik der Notenbank gar nicht mehr greifen konnte. Die Grenze zur Staatsfinanzierung betrachtet sie als gesichert durch die strikten Auflagen zur Finanzpolitik, denen sich ein Land beugen muss.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/rts