Projekt kommt nur schleppend in Gang Kuba legalisiert Schattenwirtschaft
05.06.2011, 14:09 UhrMit dem Rücken zur Wand steht Kuba vor einer historischen Herausforderung. Private Wirtschaft soll den Sozialismus retten. Aber das Projekt stockt: Die Kubaner sind müde.
Die Türe zum Friseurladen "El Figaro" steht den ganzen Tag über offen. Wenn sich ein Kunde nähert, wird der Meister gerufen, und Héctor erscheint aus dem düsteren Nachbareingang oder aus der Kneipe gegenüber, wo er gerade ein Schwätzchen gehalten hat. Der "Figaro" trägt einen kurzen weißen Kittel. In seinem rechten Ohr steckt ein goldener Ring. Sein schwarzer Schädel ist glattrasiert.

Mit einer staatlichen Lizenz sollen sich zum Beispiel Straßenverkäufer eine Lebensgrundlage schaffen.
(Foto: picture alliance / dpa)
"Ich nehme drei Pesos für den Schnitt", sagt er. Und da dieses Mal ein Ausländer der Kunde ist, sind es konvertible Pesos (CUC) im Wert von je über einem Dollar oder 25 sogenannten Pesos nationaler Währung (CUP). Drei CUC sind angesichts eines durchschnittlichen Monatseinkommens von 15 CUC (rund 15 Dollar) eine stolze Summe, für die ein kubanischer Normalverdiener lange arbeiten muss.
CUC und CUP haben die kubanische Gesellschaft gespalten. Es ist kein Wunder, dass die Abschaffung der doppelten Währung zu den Reformzielen der Regierung gehört, doch angesichts finanzieller Not vorerst ohne Chance auf Realisierung.
"Es hat sich in 50 Jahren nichts geändert"
In der Mitte des hellblau getünchten Raumes steht ein Friseurstuhl aus dem vergangenen Jahrhundert. Der Kunde wird in ein beiges Tuch gehüllt. Dann zeigt Héctor stolz, dass die Mangelwirtschaft Kubas erfindungsreich macht. Er schärft seine einzige Schere am Hals einer kleinen Parfümflasche.
Doch ehe es zur Feinarbeit mit der Schere kommt, kürzt er das Haupthaar mit einem elektrischen Rasierer an den Schläfen und am Hinterkopf auf einen Zentimeter. Denn Héctors große Spezialität ist es, seinen Kunden den Schädel glatt zu rasieren. Dafür wirbt er sogar im Rahmen seiner Möglichkeiten. "Glatzen sind gratis für Geburtstagskinder", hat er auf einen Zettel an der Wand geschrieben. Der hängt neben einen Abbild der langhaarigen Revolutionsikone Che Guevara.
Von der Sorte Héctors gibt es noch nicht viele in Havanna. Er hat seinen Laden seit 2003 und hält sich mehr recht als schlecht über Wasser. "Es hat sich in 50 Jahren nichts geändert", klagt er. Auch nicht in den vergangenen zwei Jahren, in denen alle über Reformen reden? "Nein. Unsere Leute sind müde zu warten", sagt er. Nur für Leute mit Geld sei es besser geworden. "Alle, vor allem die Jungen, wollen weg. Sie warten nur auf eine Gelegenheit."
300.000 Lizenzen bisher bewilligt
Um Kubas Wirtschaft vor dem Ruin und das sozialistische Modell vor dem Ende zu bewahren, hat Präsident Raúl Castro im vergangenen Jahr beschlossen, auf Privatwirtschaft zu setzen. Mehr als eine Million Angestellte aus dem unproduktiven staatlichen Sektor sollen in den kommenden Jahren eine Lizenz wie Héctor erhalten. Sie können sich als Friseure, Bauern, Touristenführer, Musiker und Produzenten von Kunst und Kitsch sowie als Eigentümer von Verkaufsständen und als Handwerker eine Lebensgrundlage schaffen. Rund 300.000 Lizenzen sollen bisher bewilligt worden sein.
Doch kommt das komplexe Projekt, das sich wohl an China und Vietnam als Vorbilder orientiert, nur schleppend in Gang. Inzwischen sind einige private Restaurants (Paladares) hinzugekommen. Die Einwohner vermieten in ihren Häusern und Wohnungen Zimmer an Touristen. Und es gibt viele kleine Geschäfte mit Andenken und Kunsthandwerk. Aber noch ist das keine Massenbewegung.
Soziale Probleme sind programmiert
Und die geplanten Massenentlassungen werden hinausgezögert. Soziale Probleme sind programmiert und am Ende wären sogar soziale Unruhen nicht auszuschließen. Dagegen und gegen Unmutsäußerungen der Bevölkerung geht die Regierung mit Härte vor. Vor wenigen Tagen wurden Oppositionelle zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten im Januar Flugblätter mit der Aufschrift: "Nieder mit den Castros" verteilt.
"Niemand in Kuba schafft es, mit 15 oder 20 CUC zu leben", sagt der Vertreter eines ausländischen Unternehmens in der kubanischen Hauptstadt. "Die Vergabe von Lizenzen ist nichts anderes, als das zu kontrollieren, was ohnehin schon immer existierte". Deshalb, so ist in diesen Tagen in Havanna zu erfahren, haben viele neue Kleinunternehmer ihre Lizenz wieder abgegeben. Es sei einfacher, seine Dienste anzubieten, ohne Genehmigung des Staates. "Auch in Kuba ist es ein Sport, keine Steuern zu zahlen", erklärt der Unternehmer.
Quelle: ntv.de, Franz Smets, dpa