Wirtschaft

Bald 2,5 Millionen Leiharbeit nimmt zu

Der sich abzeichnende Aufschwung geht mit einer deutlichen Zunahme der Teilzeit- und Leiharbeit einher. Dagegen machen die Gewerkschaften mobil. Auf der Arbeitgeberseite sieht man die Entwicklung positiv und plädiert für einen ausgewogenen Mix.

Befristete Arbeitsverträge, häufig schlecht bezahlte Teilzeit- und Leiharbeit - so sieht für immer mehr Beschäftigte in Deutschland die Arbeitswelt aus. Im kommenden Aufschwung könnte sich die Zahl der Leiharbeiter sogar auf 2,5 Millionen verfünffachen, fürchtet die IG Metall und verlangt schärfere gesetzliche Regeln. Die Arbeitgeber, so der heute in Frankfurt geäußerte Vorwurf des Gewerkschaftsvize Detlef Wetzel, setzten die Leiharbeiter zunehmend als dauerhaften Ersatz für die Stammbelegschaften ein und unterliefen so Tarifverträge und Sozialvorschriften. Die Arbeitgeber widersprachen heftig.

Gleiches Geld für gleiche Arbeit, fordern die Gewerkschaften.

Gleiches Geld für gleiche Arbeit, fordern die Gewerkschaften.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Das Statistische Bundesamt hatte die Veränderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt und ihre sozialen Folgen beschrieben: Der Anteil "klassischer" Beschäftigung ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gesunken. Im vergangenen Jahr hatten noch 66,0 Prozent aller Erwerbstätigen einen unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsvertrag mit mehr als 20 Stunden pro Woche. Zehn Jahre zuvor lag der Anteil noch bei 72,6 Prozent. Die Leiharbeiter verdienten im Schnitt mit 9,71 Euro in der Stunde deutlich weniger als die "klassischen" Angestellten mit 18,04 Euro und seien häufiger von Armut bedroht.

Unternehmen kommen auf den Geschmack

Die IG Metall stützt ihre Erwartungen zur Ausbreitung der Leiharbeit auf Aussagen von Betriebsräten, Zeitarbeitsfirmen und eine neue Studie der gewerkschaftseigenen Otto-Brenner-Stiftung. Viele Unternehmen hielten es für den größten Fehler, in der Vergangenheit zu wenig auf Leiharbeit gesetzt zu haben, sagte Wetzel. "Die Unternehmen haben gesehen, wie leicht man sich von Menschen trennen kann." In Zukunft werde die Leiharbeit verstärkt strategisch eingesetzt und nicht nur zur Bewältigung von Auftragsspitzen.

Die Gewerkschaft verlangte von den Regierenden, den Grundsatz "Gleiches Geld für gleiche Arbeit" durchzusetzen. Arbeitnehmer dürften künftig höchstens für sechs Monate überlassen werden, und die Betriebsräte müssten stärker mitbestimmen können, forderte Wetzel. Dass Leiharbeiter nur für einen Ausleihjob eingestellt und dann wieder entlassen werden können, müsse wieder verboten werden. "Wir fordern, dass eine Verbesserung der Wirtschaftslage mit dem Aufbau regulärer Beschäftigung einhergehen muss." Bundeskanzlerin Angela Merkel könne sich aus dieser Diskussion nicht heraushalten.

Arbeitgeber wehren sich

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall in Berlin erklärte hingegen, Zeitarbeit werde nicht dazu genutzt, Tarifbestimmungen zu unterlaufen. Im jüngsten Aufschwung bis Juni 2008 habe die Metall- und Elektro-Industrie 60.000 Zeitarbeitnehmer zusätzlich beschäftigt und gleichzeitig fast 250.000 neue Stammarbeitsplätze geschaffen - von Verdrängung könne also keine Rede sein. Ein ausgewogener Mix an verschiedenen Erwerbsformen führe zu mehr Chancen für alle, meinte die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) und verwies auf den historisch höchsten Beschäftigungsstand von 40 Millionen Arbeitnehmern Ende 2008. Die Zeitarbeit habe vielen schlecht ausgebildeten Menschen den Einstieg in Arbeit ermöglicht.

Der Bundesverband Zeitarbeit (BZA) wandte sich gegen schärfere Regeln für die Branche und verlangte den Zugang zu weiteren Bereichen des Arbeitsmarktes. Hauptgeschäftsführer Ludger Hinsen verwies darauf, dass hinter der Zeitarbeit fast ausschließlich sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse stünden - auf der Grundlage von Tarifverträgen, die mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) inklusive der IG Metall abgeschlossen wurden.

Lohnwettlauf nach unten stoppen

Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) sagte der IG Metall Unterstützung zu. "Wir brauchen eine Lohnuntergrenze für Leiharbeit, damit der Lohnwettlauf nach unten gestoppt wird", sagte er. In der Leiharbeit sei es zu Auswüchsen gekommen, die so nicht mehr toleriert werden dürften.

Die IG Metall will aber auch selbst tätig werden: Wetzel stellte die bundesweit zentral vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) abgeschlossenen Flächentarifverträge mit den Zeitarbeitsverbänden IGZ und BZA infrage. Die dort unter dem Druck der christlichen Tarifkonkurrenz festgeschriebenen Löhne seien zu niedrig, so dass die IG Metall auf die Idee kommen könne, die Leiharbeit in ihren eigenen Tarifverträgen zu behandeln. Erste Beispiele gebe es in der Textilwirtschaft und bei Volkswagen. Er fordere die übrigen DGB-Gewerkschaften zu einer Diskussion auf.

Quelle: ntv.de, mme/dpa

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