Der nächste große Bahnstreik droht Lokführer planen "Eskalation"
11.03.2011, 07:19 Uhr
Die stählernen Kapillaren der deutschen Wirtschaft: Unbefahrene Gleisstrecken.
(Foto: dpa)
Der deutsche Schienenverkehr kehrt gerade erst zum Normalbetrieb zurück, schon droht die Lokführergewerkschaft GDL "zügig" mit einem neuen, noch größeren Bahnstreik: Diesmal soll der Streik noch größer werden und auch länger dauern. Das harte Vorgehen stößt zunehmend auf Kritik.
Nach dem ersten bundesweiten Streik im Personen- und Güterverkehr drohen die Lokführer mit einer Zuspitzung der Arbeitskämpfe. "Wir sind bestrebt, die Eskalation zügig voranzutreiben", sagte der Berliner Bezirksvorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL, Frank Nachtigall, der "Berliner Zeitung". "Wir werden ohne lange zu warten die nächste Aktion planen." Diese werde auf jeden Fall länger dauern als die sechs Stunden, die für die Streikaktionen am Donnerstag eingeplant waren.
Die Gewerkschaft strebe deshalb schon bald eine weitere Aktion an, weil sie keine langwierige Auseinandersetzung wolle. "Eine elfmonatige Hängepartie, wie wir sie bei der Tarifauseinandersetzung 2007/2008 erleben mussten, wollen wir diesmal vermeiden." Ob der S-Bahn-Verkehr in der Hauptstadt Berlin auch bei einem nächsten Streik mit einbezogen werde, sei noch offen. Zuvor hatte die Gewerkschaft der Lokführer betont, den Schwerpunkt künftiger Streikaktionen stärker auf den Güterverkehr zu legen, um Rücksicht auf Berufspendler und Reisende zu nehmen.
In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag hatten die Lokführer den Schienenverkehr in Deutschland zu großen Teilen lahmgelegt. Millionen Berufspendler warteten morgens zwischen 4.00 Uhr und 10.00 Uhr auf den Bahnsteigen. Zahlreiche Züge fielen aus oder kamen zu spät. Das befürchtete flächendeckende Verkehrschaos blieb aber weitgehend aus. Der Güterverkehr war bereits seit dem späten Vorabend bestreikt worden.
Margot Käßmann - oder einen Bischof
Die Deutsche Bahn hatte die Arbeitsniederlegungen erwartungsgemäß scharf verurteilt. "Der Streik ist gänzlich widersinnig", sagte Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg. "Die DB bietet den Lokführern die besten Bedingungen in der Branche und unterstützt die Kernforderungen der GDL - und wird dafür bestreikt", sagte Homburg. Die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG beklagte, Zugbegleiter und Fahrkartenverkäufer müssten Unmut über das Chaos ausbaden, dass die GDL anrichte.
Der Fahrgastverband Pro Bahn mahnte, die Geduld der Kunden nehme "ganz stark ab". Der Vorsitzende Karl-Peter Naumann schlug vor, einen Mediator einzuschalten. Dafür könne er sich auch Kirchenleute vorstellen, etwa die Ex-Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, oder einen Bischof.
Nach dem großen Streit nahm die Kritik an dem GDL-Vorgehen auch außerhalb der Bahn-Branche deutlich zu: Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt warf der GDL im Tarifkonflikt der Bahn "erpresserisches" Verhalten vor. Viele Branchen seien auf "Just-in-time-Lieferungen" durch die Bahn angewiesen, sagte Hundt der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Sie benötigten Pünktlichkeit der Güterströme, weil sie über keine Puffer verfügten, sagte der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). "Je länger die Streiks dauern, desto schlimmer sind die Folgen für die Wirtschaft."
Auch aus der Regierungskoalition kam Kritik am Vorgehen der GDL. Die Verbraucherschutzbeauftragte der Unions-Bundestagsfraktion, Mechthild Heil (CDU), sagte: "Langsam entgleist mir das Verständnis für die Gewerkschaft der Lokführer, die für ihre Partikularinteressen die Bahnkunden in Geiselhaft nimmt. Der Ärger für die Verbraucher und der wirtschaftliche Schaden stehen in keinem Verhältnis zu den Forderungen." Der FDP-Verbraucherpolitiker Erik Schweickert forderte mehr Informationen für Bahnkunden.
GDL stößt Prinzipienstreit an
Massive Auswirkungen auf die Industrie wurden zunächst nicht bekannt. Im VW-Werk Wolfsburg lief die Produktion "reibungslos durch", wie ein Sprecher sagte. Der Energiekonzern Vattenfall berichtete, alle Kraftwerke seien sicher mit Kohle versorgt. Auch an den Bahnhöfen blieb die Lage weitgehend überschaubar: Nach den witterungsbedingten Zugausfällen der vergangenen Monate schien sich ein großer Teil der Reisenden an
Abgesehen von den wirtschaftlichen Auswirkungen fürchtet der Arbeitgeberpräsident offenbar durch den GDL-Streik auch einen Trend zu einer stark zersplitterten Gewerkschaftslandschaft. In der "Berliner Zeitung" forderte Hundt deshalb, die sogenannte Tarifeinheit in den Betrieben durchzusetzen.
"Das aktuelle Verhalten der GDL zeigt, wie dringend erforderlich es ist, schnell zum Prinzip der Tarifeinheit zurückzukommen", sagte Hundt. Die Politik müsse schleunigst eine gesetzliche Regelung auf den Weg bringen. Andernfalls "drohen uns laufend Streiks wie in den siebziger Jahren in Großbritannien", sagte der BDA-Chef. Durch die Tarifeinheit soll erreicht werden, dass nur ein Tarifvertrag in einem Unternehmen gilt und damit längere Tarifkonflikte mit mehreren Gewerkschaften vermieden werden.
GDL genießt großen Rückhalt
Die große Mehrheit der Deutschen hegt einer Umfrage zufolge dagegen Verständnis für die Streiks der Lokführer. 73 Prozent Prozent können den Arbeitskampf nachvollziehen, wie der "ARD-Deutschland-Trend" ergab. 25 Prozent haben demnach kein Verständnis für die Streiks. Unterstützung erfuhr die Lokführer-Gewerkschaft GDL zumindest der Umfrage zufolge in allen politischen Lagern. Am geringsten sei diese bei den Anhängern der FDP gewesen, die die Lokführer jedoch auch zu 62 Prozent unterstützten.
In einer Urabstimmung hatten sich mehr als 90 Prozent der GDL-Mitglieder für einen unbefristeten Streik ausgesprochen. Die Gewerkschaft fordert von der Deutschen Bahn sowie deren sechs wichtigsten privaten Konkurrenten einen bundesweit gültigen Flächen-Tarifvertrag für Lokführer bei allen Unternehmen im Nah-, Fern- und Güterverkehr. Ziele sind ein einheitliches Mindesteinkommen auf dem Niveau des Marktführers Deutsche Bahn sowie weitere einheitliche Regelungen.
Die gebündelten Verhandlungen mit der DB und privaten Konkurrenten scheiterten. Lediglich mit einzelnen privaten Güterbahnen wird noch gesprochen. Der Güterverkehr der DB beherrscht aber 75 Prozent des Marktes.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa/rts