Wirtschaft

Cameron wütet gegen Europa London fürchtet die Rezession

"Occupy London": Stiller Protest in der Kathedrale von St. Paul.

"Occupy London": Stiller Protest in der Kathedrale von St. Paul.

(Foto: Reuters)

Die Schuldenprobleme in Ländern wie Griechenland und Italien drohen die übrigen Probleme Europas zu überdecken. Während sich Brüssel auf den Kampf gegen die Krise konzentriert, ringt Großbritannien weiter mit einer anhaltenden Wirtschaftsschwäche. Die EU, so fürchten Beobachter, könnte dadurch weiter auseinanderdriften.

Die britische Notenbank schließt einen Rückfall des Landes in die Rezession nicht aus. Eine Entwicklung nach dem Muster des gefürchteten "Double-Dip-Szenarios" bleibe in Großbritannien "innerhalb der Grenzen des Möglichen", sagte Paul Tucker, Vize-Gouverneur der Bank von England (BoE), der "Times".

Stinksauer zum Gipfel? David Cameron vergangenen Mittwoch in Brüssel.

Stinksauer zum Gipfel? David Cameron vergangenen Mittwoch in Brüssel.

(Foto: REUTERS)

Tucker verteidigte die Entscheidung der britischen Notenbank, die Wirtschaft der Insel mit weiteren 75 Mrd. Pfund zu stützen, und wandte sich gegen Kritiker, die einen starken Inflationseffekt infolge der Milliardenspritzen erwarten. "Unsere Fähigkeit, Nachfrage und Aktivität zu fördern, hängt ganz von unserer Entschlossenheit ab, mittelfristig das Inflationsziel von 2 Prozent zu erreichen", erklärte Tucker.

Die Bank of England geht davon aus, dass die Inflationsrate mit 5,2 Prozent ihren Höchststand bereits erreicht hat und dass sie ohne weitere Maßnahmen unter die Zielmarke von zwei Prozent fallen würde, beteuerte Tucker.

Großbritannien ist Teil der Europäischen Union, aber nicht Mitglied der Eurozone. Die britische Wirtschaft zählt zu den wichtigsten Handelspartnern der europäischen Nachbarn auf dem Kontinent. Eine Rezession in Großbritannien hätte unmittelbare Auswirkungen auf die Wachstumsperspektiven in Ländern wie Frankreich oder Deutschland.

Cameron will sich wehren

Nach dem EU-Gipfel und der Einigung auf verstärkte haushaltspolitische Zusammenarbeit innerhalb der Währungsunion scheinen sich die Konfliktlinien zwischen Großbritannien und dem übrigen Europa zu verhärten. Beobachter sprechen ohnehin schon kritisch von einem "Europa der zwei Geschwindigkeiten". Durch das enge Zusammenrücken der Euro-Staaten drohe die Europäische Union weiter auseinanderzudriften, heißt es. Vor allem das Verhältnis zwischen London, Paris und Berlin gilt mittlerweile als belastet.

So berichtet zum Beispiel die "Süddeutsche Zeitung", der britische Premierminister David Cameron habe "auf dem Weg zu den treuen Commonwealth-Verbündeten (...) seine Wut über Europa hinausgeschrien". Großbritannien werde sich "mit Händen und Füßen wehren", soll Cameron gesagt haben, sollten die Euro-Länder ihre Haushalte nun derart eng miteinander verflechten, dass die gesamte Union davon betroffen wäre.

In einem Kommentar der Zeitung heißt es, Camerons mit einer Drohung verbundener Appell lasse erkennen, "wie groß die Frustration in manchen europäischen Hauptstädten ist über die neuen Machtverhältnisse in einer Union, die eigentlich schon gar keine mehr ist." Auf Dauer werde es so nicht weitergehen können. "Eines Tages wird man auch in Berlin spüren, dass vielleicht der Euro vorerst gerettet, aber die EU zerrüttet ist."

Proteste in London

Unter dem Eindruck der anhaltenden Wirtschaftsmisere sieht sich der britische Premier auch im eigenen Land mit wachsender Verunsicherung der Bevölkerung konfrontiert. Aktivisten der Londoner Protestbewegung "Occupy LSX (London Stock Exchange)" kampieren seit Mitte Oktober vor der Kathedrale. Sie liegt in unmittelbarer Nähe der Londoner Börse, um gegen den starken Einfluss der Finanzwelt auf die Politik zu demonstrieren.

Wegen des Protestcamps war die berühmte Kathedrale vorübergehend geschlossen worden - erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg. Die berühmte Kathedrale gilt als wichtiges Touristenziel in der englischen Hauptstadt. Durch die Schließung seien pro Tag 20.000 Pfund (23.000 Euro) an Spendeneinnahmen verloren gegangen, hieß es. Nach einer Woche der Schließung wurde die Kathedrale zum Wochenende hin wieder geöffnet. "Wir freuen uns, dass wir wieder (...) den Gottesdienst abhalten können", sagte Domdekan Graeme Knowles vor hunderten Anwesenden bei der Mittagsmesse, an der auch einige Demonstranten teilnahmen.

Wegen eines Streits über den Umgang mit dem Protestlager vor dem Kirchentor war zuvor der Domherr der Kathedrale zurückgetreten. Er habe seinen Rücktritt "mit großem Bedauern und mit Traurigkeit" eingereicht, teilte Giles Fraser über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. Ein Kirchensprecher bestätigte die Amtsniederlegung. Medienberichten zufolge soll sich Fraser mit den Demonstranten solidarisch gezeigt und die Entscheidung zur Schließung der Kathedrale wegen des Protestlagers abgelehnt haben.

Wie die BBC berichtete, begrüßte der ehemalige Philosophie-Dozent die Einrichtung des Protestcamps gegen die Macht der Banken und weigerte sich, der gewaltsamen Räumung des Camps zuzustimmen. Zudem habe er auch rechtliche Schritte gegen die Demonstranten abgelehnt, wie sie derzeit von der Kathedrale und den Londoner Behörden in Erwägung gezogen werden.

Quelle: ntv.de, AFP/rts

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