Vorentscheid im "Grand Prix" der EZB Merkel unterstützt Draghi
11.05.2011, 16:00 Uhr
International anerkannt: Mario Draghi (links) bei einem Finanzkongress in Neapel (Archivbild).
(Foto: picture alliance / dpa)
Auf der Suche nach einem Nachfolger für EZB-Präsident Jean-Claude Trichet bricht Bundeskanzlerin Merkel ihr Schweigen: Sie votiert nun offen für den italienischen Top-Notenbanker Mario Draghi. Mit ihrer Festlegung schwinden die Chancen für Gegenkandidaten aus Luxemburg und Finnland. Eine Wahl Draghis könnte ein europäisches Personalkarussell in Gang setzen.

Merkel macht den Weg frei: Mario Draghi (rechts) könnte Jean-Claude Trichet (links) im Amt an der Spitze der EZB nachfolgen.
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Die Bundesregierung hat offiziell ihre Unterstützung für die Berufung des italienischen Notenbankchefs Mario Draghi als Nachfolger von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet bekundet.
"Sofern diese Kandidatur angemeldet wird, wird die Bundesregierung sie unterstützen", sagte Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich bereits entsprechend in einem Zeitungsinterview geäußert. Eine Kandidatur Draghis müsse aber nicht von Deutschland, sondern von anderer Seite offiziell angemeldet werden.
"Gehen Sie an dieser Stelle davon aus, dass die nötigen Vorgespräche sowohl auf nationaler Ebene wie auch auf internationaler Ebene so weit gediehen sind, dass (...) wir dann unmittelbar danach die Entscheidung veröffentlichen könnten", erklärte Steegmans. "Und das ist mit dem heutigen Tage geschehen", betonte der Sprecher der Bundesregierung.
Damit ist der Weg für Mario Draghi an die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) frei. Italien will 63 Jahre alten italienischen Notenbankchef dem Vernehmen nach am kommenden Montag beim Treffen der Finanzminister der Eurogruppe offiziell ins Rennen schicken.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte zuvor lange gezögert, den Kandidaten der Italiener im Herbst bei der Wahl zum Nachfolger Jean-Claude Trichets zu unterstützen. Bis zu seinem überraschenden Rückzug als Bundesbank-Chef war Axel Weber als aussichtsreicher deutscher Kandidat gehandelt worden. In einem Interview mit der "Zeit" sprach sich Merkel nun offen für Draghi aus.
Mit Silvio Berlusconi am Telefon
"Er steht unseren Vorstellungen von Stabilitätskultur und solidem Wirtschaften sehr nahe", sagte sie der Wochenzeitung. Merkel und der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi haben die Top-Personalie offenbar bei einem Telefongespräch am Dienstagabend entschieden. Die lange umstrittene Frage der EZB-Präsidentschaft nach dem nach turnusmäßigen Abgang von Amtsinhaber Trichet Ende Oktober gilt als wichtigste Personalie dieses Jahres in Europa.
Neben seinem Heimatland Italien hatte sich auch Frankreich hinter Draghi gestellt. Auch Spanien signalisierte bereits Sympathie. Draghi würde nach dem Niederländer Wim Duisenberg und dem Franzosen Trichet der dritte Präsident in der Geschichte der EZB. Deutschland hatte nach dem völlig überraschenden Rückzug von Ex-Bundesbank-Chef Axel Weber keinen eigenen Kandidaten für den Chefsessel der EZB vorbringen können. Die Bundesregierung wollte sich in den vergangenen Wochen aber trotz zunehmenden internationalen Drucks noch nicht auf Trichet-Nachfolger festlegen.
Niederlande, Frankreich, Italien?
Zuletzt hatte es widersprüchliche Meldungen über Merkels Haltung zu Draghi gegeben. Draghi galt aber nach dem Rückzug Webers als Top-Favorit im Rennen um die EZB-Spitze. Der frühere Spitzenbeamte, Investmentbanker und Professor steht seit 2006 an der Spitze der Banca d'Italia. Er wurde zudem als Chef des so genannten Finanzstabilitätsrats (FSB) von den G20-Staaten mit der Reform des internationalen Finanzwesens nach der jüngsten Krise beauftragt.
Vor allem in Deutschland hielten sich aber Vorbehalte wegen seiner Nationalität. Über die Gründe für die lang anhaltende Zurückhaltung Merkels in der Frage war zuletzt zunehmend spekuliert worden. Immer wieder tauchen Vermutungen auf, dass sich die Bundesregierung mit der Zustimmung für Draghi Zugeständnisse der Euro-Partner bei der Haushaltsdisziplin und beim künftigen Krisenmechanismus ESM erkaufen wolle.
Euro statt Lira
Die FDP forderte, dass eine deutsche Unterstützung für Draghi in ein "Gesamtpaket" eingebettet sein müsse, damit klarwerde, dass Europa sich einer nachhaltigen Stabilitätskultur verpflichtet fühle. Aus der Union kam am Mittwoch Lob für Merkels Wahl: "Ich halte Draghi für einen guten Kandidaten und bin mit ihm einverstanden", sagte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Michael Fuchs.

Ex-Bundesbank-Chef Axel Weber (Mitte) hätte es wohl werden können: Jetzt wächst das Lager derer, die Mario Draghi als Kandidaten für die Trichet-Nachfolge unterstützen.
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Die endgültige Entscheidung über die Personalie soll im Juni bei EU-Gipfel fallen. Vorgeschlagen wird der neue EZB-Präsident offiziell von den Finanzministern, bevor dann die Staats- und Regierungschefs ihr Votum abgeben. Neben Draghi waren in den vergangenen Monaten unter anderem auch der Chef der Zentralbank von Luxemburg, Yves Mersch, sein finnischer Kollege Erkki Liikanen und der deutsche Chef des Euro-Rettungsschirms EFSF, Klaus Regling, genannt worden. Ihnen wurden aber allenfalls Außenseiterchancen eingeräumt, sollten sich die großen Euro-Länder nicht auf einen Kandidaten einigen können.
Und was macht Bini Smaghi?
Mit der Vorentscheidung für Draghi stellt sich nun die Frage nach der beruflichen Zukunft von Lorenzo Bini Smaghi. Er wäre bei Draghis Wechsel an die Notenbankspitze der zweite und damit überzählige Italiener im sechsköpfigen Führungsgremium um den EZB-Präsidenten. Hinter den Kulissen hieß es dazu, man könne davon ausgehen, dass neben Italien, Deutschland und Spanien auch Frankreich wieder einen Sitz im Direktorium der Notenbank bekommen werde - also alle vier großen Euro-Länder.
Dem aus Florenz stammenden Ökonomen werden Ambitionen auf den Chefsessel der Zentralbank seines Landes nachgesagt - es wäre also ein Tausch der Plätze mit Draghi möglich. Wie sich die Regierung in Rom zu Bini Smaghi stellen wird, ist offen. Hinter vorgehaltener Hand heißt es auch, er könne eventuell nach dem Ende der Amtszeit des Franzosen Dominique Strauss-Kahn als Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach New York gehen, sollte nicht ein großes Schwellenland diesen wichtigen Posten beanspruchen.
Quelle: ntv.de, rts