Ein Italiener als oberster Euro-Hüter? Merkel verweigert Vorentscheid
29.04.2011, 13:30 Uhr
Dicht dran: Mario Draghi könnte schon bald Trichets Stuhl übernehmen.
(Foto: REUTERS)
Das Gerangel um einen Nachfolger für EZB-Chef Jean-Claude Trichet nimmt leicht skurrile Züge an: Während sich immer mehr einflussreiche Stimmen für Mario Draghi als künftigen EZB-Präsidenten aussprechen, hält die Bundeskanzlerin stur am Zeitplan fest. Sie will sich "rechtzeitig" äußern. Die Zeit für Gegenkandidaten wird knapp.

Draghi kann in Ruhe abwarten: Unbesetzt wird die EZB-Spitze nicht bleiben - irgend jemand muss es ja machen.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich nach Angaben ihres Sprechers noch nicht auf einen Kandidaten für den Chefposten der Europäischen Zentralbank (EZB) festgelegt. "Es gibt keinen neuen Stand", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die "Bild"-Zeitung hatte unter Berufung auf Regierungskreise berichtet, Merkel unterstütze nun wie Frankreich den Italiener Mario Draghi als Nachfolger des Franzosen Jean-Claude Trichet, dessen Amtszeit im Oktober endet.
In dem Bericht hieß es, Merkel habe alle Pläne aufgegeben, einen deutschen Kandidaten ins Rennen zu schicken. Mit dem italienischen Notenbank-Chef Draghi solle nun der "deutscheste aller verbliebenen Kandidaten" unterstützt werden, schrieb das Blatt. Seibert betonte, die Entscheidung falle auf dem nächsten EU-Gipfel im Juni in Brüssel. "Die Bundesregierung wird sich rechtzeitig äußern."
Merkels Sprecher betonte, dass Deutschland klare Kriterien bei der Kandidatenauswahl habe. "Dabei ist eine Übereinstimmung mit der Währungsstabilitäts-Philosophie der Bundesregierung das wichtigste Kriterium", sagte Seibert.
Eigentlich gar nicht an der Reihe
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hatte sich zuletzt klar für Draghi ausgesprochen. In Expertenkreisen wurde dies bereits als Vorentscheidung gewertet. Ursprünglich hatte Merkel geplant, mit Bundesbank-Chef Axel Weber selbst einen Kandidaten aufzustellen. Weber hatte dann jedoch überraschend seinen Rückzug als Bundesbank-Chef zum 30. April angekündigt und damit auch eine mögliche Perspektive als EZB-Chef aufgegeben.
Als Makel von Draghi wurde bisher in Berlin angesehen, dass er aus einem hochverschuldeten Euro-Land stammt. Italien gilt zwar bisher nicht als Kandidat für Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm, ist jedoch auch weit davon entfernt, den "Musterschüler" innerhalb der Eurozone abzugeben.
Berlin gewöhnt sich Draghis Namen
In Berliner Koalitionskreisen schwinden mittlerweile offenbar die Einwände gegen eine Kandidatur Draghis für das Spitzenamt der Europäischen Zentralbank. "Der neue Präsident muss eine Persönlichkeit sein, die unabhängig ist und die für eine Stabilitätskultur steht", sagte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Michael Meister. Bezogen auf diese Merkmale hätte er gegen Draghi nichts einzuwenden. Er wolle dies aber nicht als klare Unterstützung für diesen einen Kandidaten gewertet wissen.
Die Bundesregierung hatte in den vergangenen Tagen mehrfach betont, eine Entscheidung über den neuen EZB-Präsidenten werde erst im Juni fallen. Merkel werde sich nach den Worten ihres Sprechers "rechtzeitig" äußern, wen Deutschland als größter Euro-Staat unterstütze. In Regierungskreisen war zugleich in den vergangenen Wochen mehrfach hervorgehoben worden, dass die Qualitäten Draghis unbestritten seien. Neben Frankreich haben sich auch Italien, Spanien und Luxemburg bereits öffentlich für Draghi ausgesprochen.
Quelle: ntv.de, dpa