Wirtschaft

Neuer Investor, alte Ängste Wie Benko Karstadt retten will

Zittern um den Job ist für die Beschäftigten von Karstadt seit Jahren Routine. Jetzt hängen die Hoffnungen am neuen Investor René Benko. Sparen allein kann die Warenhauskette nicht mehr retten.

Thomas Middelhoff hat es jahrelang mit der Arcandor AG - vorher KarstadtQuelle - versucht, Nicolas Berggruen hat sich drei Jahre an der Karstadt AG die Zähne ausgebissen. Und nun versucht es also Immobilienhai Benko mit Karstadt. Ob jetzt alles gut wird? Nach Jahren der Ungewissheit könnte der Schnitt für die Karstadt-Beschäftigten zunächst einmal wieder radikaler ausfallen, als gerade noch befürchtet. Laut Medienberichten will der neue Besitzer bis zu 30 Filialen schließen. Karstadt-Chefaufseher Stephan Fanderl hatte vor zwei Monaten von etwa 20 der derzeit 83 Karstadt-Filialen gesprochen, die so unrentabel seien, dass sie vor der Schließung stehen könnten.

Nach dem überraschenden Eigentümerwechsel tritt heute erstmals das Kontrollgremium zusammen. Neben der Streichliste interessiert die Mitarbeiter wohl nur noch eins: Welchen Plan bringt der 37-jährige Tiroler mit, um weitere Einschnitte zu verhindern und Deutschlands größte Warenhauskette wieder auf Kurs zu bringen?

In Deutschland begegnet man dem jungen Investor skeptisch. In seiner Heimatstadt Innsbruck aber hat er bewiesen, dass er "Kaufhaus" kann. Mit seiner Immobiliengruppe Sigma führt Benko dort erfolgreich das Tyrol. Vor Benko hatten sich mehrere Investoren erfolglos an dem Center versucht, das hinter der Kaufhaus-Fassade eine Shopping Mall ist. Er hat es geschafft: Heute wandeln pro Tag 20.000 Besucher über die 33.000 Quadratmeter Verkaufsfläche. Unbestätigten Medienberichten zufolge sorgen sie für einen durchschnittlichen Umsatz von 4500 Euro pro Quadratmeter und Jahr - das sind hochgerechnet um die 150 Millionen Euro. Benkos Gesellenstück im Einzelhandel könnte als "Blaupause" für Karstadt dienen.

Vom Tyrol lernen

Wer muss bei Karstadt gehen?

Wer muss bei Karstadt gehen?

(Foto: picture alliance / dpa)

Werden jetzt alle Karstadt-Filialen vom klassischen Warenhaus auf Shopping-Center getrimmt? Schön, wenn es so einfach wäre. "Ich kann nicht erkennen, wie das funktionieren soll", sagt der Einzelhandelsexperte Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Das Tyrol steht in einer Fußgängerzone in 1A-Lage. In Deutschland stünde hier auch ein großer Kaufhof oder ein großes Karstadt-Warenhaus - ein Premiumhaus. Gleich um die Ecke ist der Hauptbahnhof und nicht weit entfernt das Goldene Dachl, das Wahrzeichen Innsbrucks. Die Touristenströme fließen automatisch ins Kaufhaus.

Leider liegen die meisten Karstadt-Standorte in Deutschland nicht so exklusiv wie das Tyrol. Vor allem im ländlichen Raum ist weder mit Touristenströmen zu rechnen, noch bieten die kleineren Häuser Raum für eine Shopping-Mall.

Das Kaufhaus Tyrol im Herzen von Innsbruck.

Das Kaufhaus Tyrol im Herzen von Innsbruck.

(Foto: Tyrol)

Was das Innsbrucker Warenhaus zum Vorbild machen könnte, ist seine Klasse, seine Hochwertigkeit und sein Ideenreichtum bei zusätzlichen Dienstleistungen. Das Äußere hat Stararchitekt David Chipperfield entworfen, was dem Haus den Preis als schönstes Kaufhaus Europas eingebracht hat. Es gibt ein integriertes Leitsystem für Sehbehinderte. Und auch in Sachen Umwelt präsentiert sich das Kaufhaus vorbildlich: Dank moderner Technologien soll der jährliche CO2-Ausstoß deutlich geringer sein. Das Tyrol versucht, mit deutlich mehr Dingen beim Käufer zu punkten als dem reinen Warenangebot.

Bei einem Kaufhaus-Konzept geht es den Handelsexperten zufolge auch darum, sich mit einem Einkaufserlebnis gegen die Konkurrenz wie dem wachsenden Online-Handel abzugrenzen. In Zeiten, in denen jeder Kindergeburtstag ein Event ist, wollen Konsumenten auch beim Shoppen ein Aha- und Oh-Erlebnis. Die meisten Warenhäuser haben da wenig zu bieten.

Das angestaubte Image

Kaufhäuser sind etwas für Menschen über 55, das sagt zumindest eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. 80 Prozent der 18- bis 24-Jährigen machen einen Bogen um Warenhäuser. Sie gelten als angestaubt und bieder. Außerdem sind sie aus Sicht der modernen Verbraucher überfrachtet mit einem scheinbar beliebigen Potpourri an Waren, in dem es schwer ist, das Passende zu finden. Die potenziellen Käufer gehen lieber in einen Laden, in dem es ein kleineres Sortiment gibt, das ihrem Geschmack entspricht. 

Wichtig bei der Sanierung von Karstadt sei es auch, in die höheren Preisklassen vorzudringen, sagt Handelsexperte Roeb. Das sei bislang schwierig gewesen, weil die Hersteller exklusiver Textilien, Elektronik, Haushalts- und anderer Waren die Häuser nicht als adäquate Verkaufsstellen betrachtet haben. Das könnte sich aber in Zukunft ändern, wenn entsprechend investiert werden würde.

Die Shopping Malls mit ihren unterschiedlichen Anbietern müssen inzwischen ebenfalls um ihre Kunden kämpfen. Jan Röttgers, Entwicklungsdirektor bei der ECE, Europas größtem Betreiber von Shopping-Centern, setzt dabei vor allem auf mehr "Kultfirmen", wie Apple oder Hollister -  Firmen, die einen gewissen "Hype" um ihre Marke machen.

Ein Mix aus Mall und Warenhaus

Wie könnte die Lösung für Karstadt aussehen? Roeb vermutet, dass es auf eine Mischform zwischen Shopping-Center und klassischem Warenhaus hinauslaufen wird. "Ein Teil des Sortiments wird sicherlich auch noch eigenverantwortlich gemanagt werden", so Roeb. Die Bereiche, die Warenhäuser gut selber abdecken können, seien Leder, Schmuck, Reisebedarf, Heimtextilien und Haushaltswaren. "Es gibt keine national funktionierenden Ketten, die Lederwaren vertreiben. Sie können auch nicht alle Schmuckabteilungen an Christ delegieren, weil die anders positioniert sind."

Benko müsse auf jeden Fall einen Schnitt machen, ist auch Markenexperte Klaus-Dieter Koch von der Management-Beratung Brand Trust überzeugt: "Der Erhalt der Warenhäuser in ihrer jetzigen Form hat keine Chance", meint er. Eine Sanierung sei notwendig "bis hin zum Totalabriss mancher Häuser".

(Hinweis für Mobilnutzer: Eine Karte mit den Karstadt-Filialen in der Übersicht finden Sie hier)

Vor allem die Arbeitnehmer der kleineren Standorte müssen sich darauf einstellen, dass die Standorte geschlossen werden. Sie könnten nur auf Einzelhändler wie Woolworth hoffen, die gerne minderwertigere Standorte übernähmen, sagt Roeb. Den viel beschworenen Untergang der Warenhäuser sieht er nicht. Dass Benko plane, nicht nur prominente Standorte zu halten, zeigten die Zahlen: "Selbst wenn 30 von 83 Häusern geschlossen werden, bleiben 53 übrig. Und die können nicht alle in Hamburg und Berlin stehen."

Investieren für die Zukunft

Karstadt müsste nicht in der fatalen Lage sein, in der es heute ist. "Sie haben den Anschluss verpasst, weil sie kein Geld mehr hatten. Und sie haben kein Geld mehr, weil ihr Top-Management das Geld an anderer Stelle verbrannt hat", so Roeb weiter. Wichtig sei, dass der neue Investor Geld für die dringend notwendige Sanierung in die Hand nehme. Der Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein schätzt, dass in den Warenhäusern des Konzerns inzwischen ein Investitionsstau von mindestens 1,5 Milliarden Euro entstanden ist.

Verdi erteilte einer "Politik der reinen Kostensenkung" ebenfalls vor der Sitzung des Aufsichtsrats eine Absage. "Karstadt wird eine Zukunft haben, wenn in die Warenhäuser ausreichend investiert und ein schlüssiges Konzept vorgelegt wird, das auch regionale Besonderheiten beachtet", sagte Sprecherin Eva Völpel. Arbeitsplätze stehen für die Gewerkschafter bei jedem Zukunftskonzept an erster Stelle. Die Erwartungen an Benko sind hoch - es könnte die letzte Chance für Karstadt sein.

Quelle: ntv.de

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