Wirtschaft

ThyssenKrupp-Schock macht Hoffnung Anleger wetten auf die Zukunft

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Die Fehlinvestitionen in das Übersee-Stahlgeschäft und die damit verbundenen milliardenschweren Verluste lassen bei ThyssenKrupp die Alarmglocken schrillen. Deutschlands größter Stahlkonzern reagiert: Die Dividende wird gestrichen, die Kurzarbeit verlängert und es soll noch mehr gespart werden. Am Markt kommt das an, der Aktienkurs klettert deutlich.

ThyssenKrupp
ThyssenKrupp 9,80

Deutschlands größter Stahlkonzern ThyssenKrupp schockt mit einem erneuten Milliardenverlust und streicht zum ersten Mal die Dividende - aber die Börse lässt das kalt. Die Anleger kaufen Papiere des Dax-Konzerns, der Kurs legte am Vormittag rund 2 Prozent zu, vorbörslich hatte sie noch 5 Prozent im Minus gelegen. Der Konzern will den Vorstand umbauen und weitere Milliarden einsparen. Dafür soll etwa die Kurzarbeit verlängert werden. Die Einschätzung der Analysten fiel unterschiedlich aus.

 "Wie erwartet setzen sich die positiven Fakten durch", sagte ein Händler. Der Dividendenausfall habe für die erwartete Schreckreaktion gesorgt. "Jetzt setzt sich die Meinung durch, dass jemand, der drei von sechs Vorständen rausschmeißt, wirklich klar Schiff machen will", sagte ein weiterer Händler. So werde es von seinen Kunden wahrgenommen. Zudem haben Analysten wie Credit Suisse und J.P. Morgan explizit empfohlen, die Kursschwäche für Käufe zu nutzen.

"Alles rund um Steel America ist brisant", sagte dagegen ein anderer Marktteilnehmer. Auch wenn Abschreibungen erwartet würden, seien sämtliche Aussagen zum Verkaufsprozess kursrelevant. Der Dividendenausfall sei ganz klar eine negative Überraschung, hob er aber hervor.

Erneuter Milliardenverlust

Wegen milliardenschwere Fehlinvestitionen in Übersee musste ThyssenKrupp weitere 3,6 Mrd. Euro auf die erst vor kurzem fertiggestellten Anlagen in Brasilien und den USA abschreibe. Das führte zu einem Verlust von insgesamt 5 Mrd. Euro im Ende September abgelaufenen Geschäftsjahr. Bereits vor einem Jahr hatte der Konzern wegen hoher Wertberichtigungen einen auf die eigenen Aktionäre anfallenden Verlust von 1,8 Mrd. Euro verbucht.

Hiesinger: "Es ist viel schief gelaufen."

Hiesinger: "Es ist viel schief gelaufen."

(Foto: picture alliance / dpa)

Damals zahlte das Unternehmen allerdings noch eine Di vidende von 0,45 Euro je Papier. Das fällt diesmal aus - ein Novum in der Firmengeschichte: Der Einzelabschluss weise kein ausschüttungsfähiges Ergebnis aus, erklärte das Unternehmen. Die Stahlwerke in Übersee standen zuletzt noch mit einem Wert von sieben Mrd. Euro in den Büchern. Diese Einschätzung erklärte der Konzern nun als unrealistisch.

"Das Projekt Steel Americas und die verschiedenen Compliance-Verstöße haben nicht nur einen immensen finanziellen Schaden verursacht", sagte Vorstandschef Heinrich Hiesinger, der seit Anfang 2011 ThyssenKrupp führt. Der von Kartellabsprachen und Korruptionsvorwürfen gebeutelte Konzern habe an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren.

In den Verkaufsverhandlungen zeichnete sich schon früh ab, dass ThyssenKrupp nur zwischen 3 Mrd. und 4 Mrd. Euro für die Anlagen erlösen kann. Einen Käufer präsentierte ThyssenKrupp noch nicht. Der Prozess verlaufe planmäßig, erklärte ThyssenKrupp. ThyssenKrupp hatte nach früheren Angaben rund 12 Mrd. Euro in die Werke gesteckt - hinzu kam ein weiterer operativer Verlust von rund 1 Mrd. Euro im vergangenen Geschäftsjahr.

Wer trägt die Schuld?

"In der Vergangenheit ist viel schief gelaufen", sagte Hiesinger. Es habe ein Führungsverständnis gegeben, in dem Seilschaften und blinde Loyalität wichtiger gewesen seien als unternehmerischer Erfolg. "Es wurde eine Kultur gepflegt, in der Abweichungen und Fehlentwicklungen lieber verschwiegen als korrigiert wurden." Zudem habe offenbar bei einigen die Ansicht vorgeherrscht, dass "Regeln, Vorschriften und Gesetze nicht für alle gelten". Dadurch habe ThyssenKrupp viel Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren.

Inzwischen läuft im Konzern die Suche nach den Schuldigen. Der Aufsichtsrat bestätigte den in der vergangenen Woche angekündigten Rauswurf des halben Vorstands. Der für gute Unternehmensführung (Compliance) zuständige Jürgen Claassen muss ebenso wie Technologiechef Olaf Berlien und Stahlchef Edwin Eichler zum Jahresende gehen. Hintergrund sind neben den drohenden Verlusten bei den Stahlwerkprojekten in Übersee auch zahlreiche Fälle von unsauberen Geschäftspraktiken. Den Vorständen wird vorgeworfen, bei den Problemen nicht richtig durchgegriffen zu haben.

ThyssenKrupp wird von den Folgen illegaler Kartellabsprachen, Korruptionsvorwürfen, Schadenersatzforderungen und einem Zerwürfnis des Aufsichtsrats mit dem ehemaligen Management erschüttert. In der Kritik steht deshalb auch Aufsichtsratschef Gerhard Cromme. Der Dachverband Kritischer Aktionärinnen und Aktionäre macht ihn für die Schwierigkeiten mitverantwortlich und fordert seinen Rücktritt. Die Arbeitnehmervertreter stellten sich hinter Cromme.

"Die von Herrn Dr. Cromme eingeleiteten Prüfungen und Untersuchungen sind richtig und notwendig", hieß es in einer Erklärung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Es müsse geklärt werden, welche Verantwortung der frühere Vorstand für die Entwicklungen habe. "Mit den Wertberichtigungen für die amerikanischen Stahlwerke in Brasilien und Alabama muss ein Schlussstrich unter das Kapitel Steel Americas gezogen werden."

Operativ mau

Auch im rein operativen Geschäft erlebte ThyssenKrupp wegen der Konjunkturschwäche und der Verluste in Übersee einen herben Gewinneinbruch. Das um Sondereffekte wie Abschreibungen bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern sackte um rund drei Viertel auf 399 Mio. Euro ab. Dazu trug auch das schwächelnde Stahlgeschäft in Europa bei. Wegen der unsicheren Wirtschaftsaussichten ist die Nachfrage schwach. Das drückt auf die Preise. Bei ThyssenKrupp arbeitet deshalb ein Teil der im Stahlbereich tätigen Beschäftigten - 2200 von 17.500 - seit dem Sommer kurz. ThyssenKrupp will die Kurzarbeit in Deutschland zudem verlängern. "Wir begrüßen die Überlegungen der Bundesregierung, das Kurzarbeitergeld auf zwölf Monate zu verlängern  und gehen davon aus, dass wir gemeinsame Lösungen finden", sagte Hiesinger.

Ausgeklammert aus den Berechnungen des operativen Gewinns ist das defizitäre Edelstahlgeschäft, das ThyssenKrupp derzeit an den finnischen Konkurrenten Outokumpu verkauft. ThyssenKrupp betrachtet die Sparte seit der im Januar getroffenen Grundsatzvereinbarung mit den Finnen als nicht-fortgeführte Aktivität. Nach der Genehmigung durch die EU im November soll der Verkauf bis zum Jahresende abgeschlossen sein. Der Verkauf soll rund 2,7 Milliarden Euro in die leeren ThyssenKrupp-Kassen spülen.

Ausblick macht Hoffnung

Im laufenden Geschäftsjahr rechnet ThyssenKrupp mit weiterem Gegenwind aus der Konjunktur und wegen der ungelösten Schuldenkrise. Der Umsatz - ohne Edelstahl und die Stahlwerke in Übersee - dürfte von 42,3 Mrd. auf etwa 40 Mrd. Euro sinken. Das bereinigte Ebit aus fortzuführenden Geschäften soll bei einer Mrd. Euro liegen - im abgelaufenen Geschäftsjahr lag der Vergleichswert bei 1,4 Mrd. Euro.

Man kämpfe weiter mit einem schwachen Stahlgeschäft in Europa, hieß es. Im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2012/13 werde die Sparte gegenüber den drei Monaten zuvor niedrigere Durchschnittserlöse erzielen, sagte Finanzchef Guido Kerkhoff. Die sinkenden Rohstoffkosten könnten dies nicht ausgleichen. Der Konzern gehe aber im europäischen Stahlgeschäft dennoch von einem positiven bereinigten Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) aus.

Quelle: ntv.de, bad/dpa/rts/DJ

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