Schuldenkrise in Europa Portugal rudert zurück
16.11.2010, 13:42 Uhr
Azurblau mit zwölf fünfzackigen Sternen: Die Farben Europas.
(Foto: REUTERS)
Fernando Teixeira dos Santos, Herr über Lissabons Finanzen, fühlt sich falsch verstanden. Sein Land plant angeblich doch keinen eigenen Hilfsantrag. Für die Finanzminister Europas bleibt bei ihrem Treffen in Brüssel auch so einiges zu besprechen. Längst geht es nicht mehr nur um Solidarität. Allein in Irland hängen die Banken mit Milliardensummen fest.

Meint es nicht ganz so dramatisch: Fernando Teixeira dos Santos, hier bei einem New-York-Besuch im Mai.
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Portugals Finanzminister bemüht sich die Wogen zu glätten: Nach seinen marktbelastenden Erklärungen zu einem möglichen finanziellen Hilfeersuchen durch das hoch verschuldete Euro-Land versuchte Fernando Teixeira dos Santos, seine Aussagen zu relativieren. "Ich wollte nur klarstellen, dass nichts in meinen Aussagen gegenüber der 'Financial Times' auf die Einräumung einer solchen Möglichkeit hinweist", sagte Teixeira dos Santos. Der Minister versicherte, sein Land werde sich weiter an den Kapitalmärkten mit frischen Geldmittel eindecken und weder die Hilfe der Europäischen Union noch des Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragen.
Es gebe "Gerüchte und Spekulationen, die jeder Grundlage" entbehrten. "Es gibt keinen Kontakt mit Brüssel, weder formell noch informell", fügte er vor dem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen in Brüssel an. Die Ansteckungsgefahren, die zur Zeit von Irland ausgingen, dürfe man aber nicht ignorieren.
Zu Beginn der Woche hatte der Finanzminister der sozialistischen Minderheitsregierung in einem Interview mit der "Financial Times" das Risiko eines finanziellen Hilfeersuchens Lissabons an die internationale Gemeinschaft als "hoch" bezeichnet. Es gebe "wachsende Ansteckungsgefahren" an den Finanzmärkten, die eine Ausweitung der Schuldenkrise der Eurozone befürchten ließen. In Portugal wurden diese Aussagen von allen Oppositionsparteien kritisiert.
Die Staatsschulden Portugals lagen Ende 2009 bei 109 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Neuverschuldung erreichte 2009 den Rekord von rund 9,4 Prozent. Das Land konnte zuletzt langfristige Staatsanleihen nur zu Rekordzinsen von fast sieben Prozent platzieren. Mit nie dagewesen Sparmaßnahmen soll das Defizit dieses Jahr auf 7,3 und nächstes auf 4,3 Prozent gedrückt werden.
Ackermann-Kollege winkt ab
Beobachter gehen unterdessen davon aus, dass es im Zuge der Eurokrise nicht zum Ernstfall kommt: dem Auseinanderbrechen der europäischen Währungsgemeinschaft. Die Deutsche Bank erwartet in Folge der Schuldenkrise keinen Kollaps eines Euro-Landes. "Die Konsequenzen davon wären sehr ernst und die Regulatoren sind sich dessen bewusst", sagte Investmentbankchef Anshu Jain am Rande einer Finanzkonferenz in Frankfurt.

Glaubt nicht an den Zusammenbruch der Währungsgemeinschaft: Anshu Jain (Archivbild).
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Das Vorstandsmitglied des größten deutschen Geldhauses betonte aber, dass die Schuldenkrise in einigen Euro-Ländern wie Irland und Portugal die Anleger verunsichere und zu hohen Kursschwankungen an den Märkten führe. Potenzielle Zahlungsprobleme einzelner Staaten blieben ein Risiko für den Marktausblick, sagte Jain, der als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann gehandelt wird.
Das Problem Irland betrifft die deutsche Bankenlandschaft dabei sehr direkt. Einer Erhebung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zufolge halten die deutschen Bankhäuser Forderungen in Höhe von 138 Mrd. US-Dollar (rund 101,5 Mrd. Euro) gegenüber irischen Schuldnern.
Stolperstein für deutsche Banken?
In den 14 größten deutschen Banken entfallen davon knapp 13 Mrd. Euro auf Außenstände des irischen Staates, berichtet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Diese Zahlen seien genau bekannt, weil Europas Großbanken beim Stresstest im Juli dieses Jahres aufschlüsseln mussten, welche Anleihen der EU-Staaten sie besitzen.
Am größten sei das Engagement der Hypo Real Estate, die per Ende März 10,3 Mrd. Euro an Forderungen gehalten habe. Zusammen mit den Ländern Portugal, Spanien und Griechenland belaufe sich ihr Engagement auf 35,54 Mrd. Euro. Die Forderungen der Deutschen Bank, der Commerzbank, der DZ Bank und der LBBW beliefen sich je auf 7 bis 8 Mrd. Euro an Titeln der vier finanzschwachen Länder.
Noch härter als Deutschland sei Großbritannien von der Schuldenkrise Irlands betroffen. Die britischen Banken hielten gegenüber Staat, Unternehmen, Banken und anderen Schuldnern auf der Nachbarinsel Forderungen im Wert von rund 150 Mrd. Dollar.
Fremdbestimmung in Griechenland
In Griechenland zwingt die nach oben korrigierte Neuverschuldung Europas größten Defizitsünder zu noch härteren Einsparungen. Der neue Haushalt wird zusätzliche Belastungen für die Griechen in Höhe von 3,5 bis 4 Mrd. Euro mit sich bringen. Die Regierung unter Ministerpräsident Giorgos Papandreou berät seit Wochenbeginn mit Kontrolleuren des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäischen Union (EU) über die Details.
Griechischen Medienberichten zufolge soll die Mehrwertsteuer für einige Produkte erhöht werden. Kürzungen im Gesundheitswesen, aber auch Privatisierungen, so bei den Eisenbahnen, gelten als sicher. Die Vertreter von IWF, EU und EZB - die in der Athener Presse bereits als die eigentlichen Lenker der griechischen Finanzen dargestellt werden - berieten zudem auch über mögliche Reformen auch am Arbeitsmarkt. Möglich sei nun auch die Entlassung von Staatsbediensteten, die ein Regierungssprecher zuletzt ausgeschlossen hatte.
Die EU hatte Anfang der Woche mitgeteilt, dass das griechische Defizit im vergangenen Jahr noch höher war als bislang vermutet. Nachdem zuvor noch von knapp 14 Prozent ausgegangen wurde, war nach gründlicher Prüfung der Finanzen nun ein Defizit von 15,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) festgestellt worden.
Quelle: ntv.de, mmo/DJ/dpa/rts