RWE klagt gegen Moratorium Regierung im Argumentationsnotstand
01.04.2011, 17:45 UhrDie Energiekonzerne bringen sich vor neuen Verhandlungen mit der Bundesregierung über die Zukunft der Atomenergie in Position. RWE klagt gegen die Abschaltung seines Meilers Biblis A. Der Konzern habe gute Aussicht auf Erfolg, sagt Jürgen Wieland, Professor für Öffentliches Recht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer im Gespräch mit n-tv.de. Dennoch sitze die Bundesregierung am längeren Hebel.
n-tv.de: Für die Bundesregierung scheint die Klage überraschend zu kommen. Für Sie auch?
Joachim Wieland: Nein. Die Rechtsgrundlage, auf die sich die Bundesregierung beruft, um das Atomkraftwerk Biblis stillzulegen, reicht nicht aus. Deshalb hat die Klage auch gute Aussicht auf Erfolg.
Die Bundesregierung beruft sich auf das Atomgesetz…
Das ist meines Erachtens keine zutreffende Rechtsauffassung. Das Atomgesetz erlaubt zwar die Stilllegung eines Atomkraftwerks – aber nur sofern man dort eine konkrete Gefahr sieht oder den dringenden Verdacht hat, dass dort etwas passiert. Das Atomgesetz erlaubt in seiner gegenwärtigen Fassung aber nicht, dass man sieben ältere Atomkraftwerke für drei Monate vom Netz nimmt, um Zeit zu gewinnen, sich über die Zukunft der Atomenergie klar zu werden.
Auf welche Weise bekommt die Bundesregierung die Meiler juristisch sauber vom Netz?
Um die erwähnten Meiler abzuschalten, braucht es eine Gesetzesänderung. Man müsste die Laufzeitverlängerung, die im letzten Herbst beschlossen wurde, wieder zurücknehmen. Und wenn man auch das Moratorium juristisch absichern will, müsste man auch das in einem Gesetz verankern. Damit wäre der Weg rechtlich frei.
Damit käme die Bundesregierung allerdings in Argumentationsnöte. Schließlich wurden im Herbst die Laufzeiten verlängert – mit dem Hinweis, die deutschen Kernkraftwerke seien sicher.

Prof. Joachim Wieland.
(Foto: Klaus Venus)
Dadurch, dass die Bundesregierung bis vor wenigen Wochen behauptet hat, die Atomkraftwerke seien sicher, und sich das Parlament dieser Auffassung angeschlossen hat, ist man argumentativ durchaus in einer schwierigen Lage. Man kann jetzt nur darauf hinweisen, dass die Ereignisse in Japan gezeigt haben, dass das, was man bisher für unmöglich gehalten hat, doch möglich ist – und dass man deshalb zu einer anderen Einschätzung des Restrisikos gekommen ist. Der Gesetzgeber darf klüger werden. Aber sehr leicht zu begründen ist das natürlich nicht.
RWE will darauf nicht warten und reicht eine Klage ein. Birgt dieser Weg nicht auch ein großes Risiko? Schließlich dürfte der Konzern die Koalition damit sehr verärgern und damit möglicherweise schärfere Auflagen provozieren.
In der Tat. Die Bundesregierung sitzt am längeren Hebel. Schon auf Grundlage des geltenden Atomgesetzes darf sie wesentlich schärfere Sicherheitsanforderungen stellen. Das gilt nicht nur für ältere, sondern auch für neuere Kraftwerke. Einschlägig ist insofern der Stand von Wissenschaft und Technik: Alle Atomkraftwerke genügen dem Stand, der vor 30 oder 40 Jahren aktuell war. Inzwischen sind sowohl Wissenschaft als auch Technik fortgeschritten. Deshalb kann man schärfere Anforderungen stellen. Das würde die Betreiber deutlich härter treffen als das dreimonatige Moratorium.
RWE beschreitet dennoch den Klageweg. Was will das Unternehmen damit erreichen?
Wenn das Gericht verbindlich feststellt, dass das Moratorium rechtswidrig war, kann RWE damit eine Schadenersatzforderung begründen. Da ein Atomkraftwerk wie Biblis am Tag eine Million Euro Gewinn bringt, kommen in drei Monaten beträchtliche Summen zusammen. Eine solche Entschädigungsforderung kann man dann in die Verhandlungen mit der Bundesregierung über die Zukunft der Kernenergie einbringen, die sicher bald stattfinden werden. Und solange Biblis nicht wieder in Betrieb genommen wird, wird sich der Ärger der Bundesregierung vermutlich in Grenzen halten.
Für die Schadenersatzforderungen sind dann die Landesregierungen der Ansprechpartner…
Das Land Hessen hat die Stillegungsverfügung erlassen. Wenn diese von den Gerichten als rechtswidrig beurteilt wird, muss nach außen hin das Land Schadensersatz leisten und die Verantwortung übernehmen. Nach innen wird sich Hessen aber darauf berufen, dass es eine Weisung der Bundesregierung gegeben hat, und wird verlangen, dass es das Geld vom Bund zurückbekommt.
RWE begründet die Klage unter anderem damit, der Konzern müsse die Interessen der Aktionäre wahren. Halten Sie das für ein nachvollziehbares Argument?
Ja. Der Vorstand muss die Vermögensinteressen der Anteilseigner wahren. Und angesichts des Gewinns von einer Million Euro pro Tag, den Biblis erbringt, sind diese Interessen betroffen.
Könnte man hier nicht einwenden, es wäre möglicherweise aus Aktionärsinteresse klüger, auf eine Klage zu verzichten, um den Gesetzgeber nicht zu reizen und härtere, teurere Auflagen zu provozieren?
Das ist sicher eine Abwägung, die in allen Vorständen der Energieversorger in diesen Tagen getroffen wird. Die Rechtsposition bei einer Klage und einem Anspruch auf Entschädigung wegen des Moratoriums ist gut. Die Rechtsposition gegenüber einer Verschärfung der Sicherheitsanforderungen, die auf längerer Sicht viel teurer werden können, ist schlecht. Und deshalb muss man abwägen, ob man sich wegen des kleineren Vorteils der Entschädigung auf einen Streit mit der Bundesregierung einlassen soll und in der Konsequenz sehr viel höhere Ausgaben für die Sicherheit haben wird.
Eon klagt bisher nicht gegen das Moratorium. Der Konzern hält sich aber eine Klage gegen die Brennelementesteuer vor. Wie schätzen Sie das ein?
Aus meiner Sicht bestehen rechtlich keine Zusammenhänge zwischen der Erhebung der Brennelementesteuer und dem Moratorium. Das ist zwar politisch miteinander verbunden worden, aber nicht rechtlich – man hat gesagt, wir erheben die Steuer gewissermaßen als Ausgleich für die Gewinne aus der Laufzeitverlängerung. Eine Klage gegen die Brennelementesteuer hätte keine Aussicht auf Erfolg.
Quelle: ntv.de, Mit Joachim Wieland sprach Jan Gänger