Inside Wall Street Skepsis im Einzelhandel
06.05.2009, 15:04 UhrAn der Wall Street geht weiter der Optimismus um, und ein großer Teil der guten Laune ist überzogen. Konjunkturdaten werden viel zu positiv ausgelegt, Quartalszahlen nicht am Vorjahr, sondern an den Erwartungen gemessen. Fed-Chef Ben Bernanke rechnet mit einer Erholung der Konjunktur - doch der Einzelhandel ist skeptisch. Und da kennt man den Verbraucher.
Fest steht: Ohne einen dramatischen Anstieg bei Verbrauchervertrauen und in der Folge Verbraucherausgaben kann sich die US-Konjunktur nicht erholen. Denn der Verbraucher steht hinter zwei Dritteln der amerikanischen Wirtschaft. Umso bitterer klingt, was aus dem konsumnächsten Marktsegment verlautet, dem Einzelhandel. Da rechnet man nämlich in den nächsten Monaten nicht mit vollen Läden und Einkaufsstraßen.
Der beste Indikator für die Stimmung im Einzelhandel ist nicht etwa eine Umfrage, sondern die Höhe der Import-Bestellungen. Läden bestellen normalerweise sechs Monate im Voraus die Ware, die den Kunden später im Laden zum Kauf verleiten soll. Doch für den März liegen die Einfuhr-Orders um mehr als 19 Prozent unter dem Vorjahresniveau, für April um satte 22 Prozent.
"An den Bestellungen lässt sich direkt ablesen, mit welchen Absatzmengen die Läden in den nächsten sechs bis acht Monaten rechnen", erklärt Craig Shearman, Vizepräsident des Einzelhandelsverbandes NRF. Und der Branchenberater Paco Underhill stimmt zu. "Wer davon ausgeht, dass die Amerikaner in den nächsten Monaten wieder wie früher zu shoppen beginnen, der muss etwas geraucht haben."
Außer den aktuellen Branchendaten spricht einiges für diese Auslegung, etwa der historische Vergleich. Nach der Rezession in den Achtzigerjahren dauerte es immerhin anderthalb Jahre, bis sich der Verkauf im Einzelhandel auf das Niveau vor der Krise erholt hatte. Und selbst nach den Terroranschlägen des 11. September 2001, die keine konjunkturelle, sondern lediglich eine politische und psychologische Krise ausgelöst haben - dauerte es immerhin neun Monate.
Diesmal könnte es noch viel länger dauern, denn Einschränkungen beim Einkaufen gehören ganz genau zu dem Kulturwandel, den die USA braucht, um langfristig überleben zu können. Stabilität für den Verbraucher und die Konjunktur gibt es nach einem gewissen Aussitzen der schlimmsten Phase nur dann, wenn sich der Waren- und Dienstleistungskonsum von Otto Normalverbraucher vom zuletzt dekadenten Level auf ein tragbares Niveau verschiebt; wenn der Kunde lernt, nur so viel Geld auszugeben, wie er auch verdient.
Ein wenig Einschränkung wird dem Kunden in diesem kommenden Sommer wohlgemerkt leicht fallen. Denn angesichts der niedrigen Import-Bestellungen ist klar: Selbst wenn sich der Verbraucher wider Erwarten mit Schmackes zurückmelden sollte, dürfte er ein schmaleres Warensortiment finden, geringere Lagerbestände - und irgendwann leere Regale.
Für Verbraucher und Einkaufsläden kann das schmerzhaft werden. Dem Gesundungsprozess der US-Konjunktur - und letzten Endes der Börse - kann es hingegen nur gut tun.
Quelle: ntv.de