Auf Maß statt auf Masse? Stahlkonzerne suchen Megatrend
10.04.2012, 21:49 Uhr
Mit Massenstahl gewinnen Europas Stahlkocher keinen Blumentopf mehr.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Stahlmarkt ist im Wandel. Europas Stahlkocher bekommen zunehmend Konkurrenz aus Russland und vor allem China. Gesucht ist deshalb die "Coca Cola Formel" - ein Technologievorsprung, der langfristig das Überleben sichert.
Für viele ist es der Inbegriff der alten bodenständigen Industrie: Die schwarzbraunen Hochöfen der Voestalpine in Linz, die weit in den Himmel ragen. Daneben steht das riesige Stahlwerk, über dem weißer Dampf aufsteigt. Doch für das Unternehmen selbst ist die Stahlherstellung längst nicht mehr der Garant für Wohlstand: Konkurrenten produzieren einfachen Stahl außerhalb der Europäischen Union deutlich günstiger als westeuropäische Konzerne. Die hiesige Branche, darunter der deutsche Branchenprimus ThyssenKrupp, setzt daher mehr auf Klasse statt auf Masse. Der österreichische Konzern und ThyssenKrupp konzentrieren sich auf forschungsintensive Spezialprodukte wie etwa Schienen für Hochgeschwindigkeitszüge, Rotorblätter für Windräder, Rolltreppen, Aufzüge, Chemieanlagen oder Autokarosserien.
Mit den Produkten wollen die Unternehmen dem Preiskampf bei niedriger Güte des Werkstoffs entkommen, den etwa die Stahlkocher aus China - dem mit Abstand größten Produzenten der Welt - anfachen. "Auf lange Sicht wird in Westeuropa nur ein Stahlunternehmen überleben können, das sich spezialisiert und im Hochqualitätsbereich tätig ist, wo das Preisniveau höher ist und es weniger Spieler gibt", erläutert Voest-Chef Wolfgang Eder.
Wachsende Konkurrenz aus Russland
Dafür gibt es zwei Hauptgründe: Der Stahlverbrauch in Europa wächst angesichts des stagnierenden Bevölkerungswachstums längst nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit. Allein in den vergangenen fünf Jahren ist er nach Angaben des österreichischen Branchenverbands EU-weit um knapp ein Viertel eingebrochen. Nach Ansicht von Eder gibt es daher derzeit in Europa Überkapazitäten von 25 bis 30 Millionen Tonnen Stahl - davon könnte man 4000 mal den Eiffelturm bauen. Um die Preise zu verteidigen, legt die Schwerindustrie um Weltmarktführer ArcelorMittal auch immer mal wieder Hochöfen vorübergehend still.
Hinzu kommt die wachsende Konkurrenz aus Russland, der Ukraine und der Türkei. Voest-Chef Eder erwartet, dass langfristig Importe aus diesen Ländern die Produktion von einfachem Stahl in Europa ersetzen. 2010 wurde nach Angaben des Branchenverbands Eurofer bereits 16 Prozent des in der EU verbrauchten Stahls durch Importe aus Drittländern gedeckt - mit stark steigender Tendenz.
Orientierung an den Megatrends
Um sich unabhängiger von dem schrumpfenden Brot- und Buttergeschäft zu machen, investieren die Stahlfirmen jährlich hunderte Millionen in die Entwicklung neuer Produkte, denn mit Maßanfertigungen und ausgeklügelten Erfindungen lässt sich noch gutes Geld verdienen. "Bei unserer Forschungsstrategie orientieren wir uns auch an Megatrends, an den Herausforderungen für die Zukunft - denn die großen Probleme der Zukunft sind auch die großen Märkte der Zukunft", sagt Voest-Forschungschef Peter Schwab. Das sind unter anderen der Energie- und Transportsektor und die Gesundheitsbranche.
Doch auch hier sind die westeuropäischen Konzerne nicht vor der Konkurrenz gefeit. Die sitzt diesmal nicht in Osteuropa und der Türkei, sondern in China und ist vor allem an dem Spezialwissen der westeuropäischen Konzerne für die Herstellung ihrer High-Tech-Produkte interessiert. "Man kann sich nur schützen, indem man einen Know-How-Vorsprung hat", sagt Schwab. Für Chinesen sei das Kopieren von ausgereifteren Produkten Teil ihrer Kultur. "Wenn wir in der Schule abschreiben, ist das schlecht - für die ist abschreiben gut; nur wir nennen das Know-How-Diebstahl. Wir forschen nicht, damit wir den Wettbewerb in China aufrüsten", sagt Schwab.
Wer Masse produziert, stirbt
Bei der Voest kenne daher nur eine ganz kleine Zahl von Mitarbeitern die "Coca-Cola-Formeln", die dem Unternehmen einen Technologievorsprung sichern sollen. "Wir überlegen uns extrem genau, wie wir mit Know How umgehen. Das ist eines der ganz großen Themen, mit denen wir uns beschäftigen", sagte Schwab.
Wer mit der rasanten Entwicklung nicht mithalten kann, ist in Europa vom Untergang bedroht. "Es gibt im Massenstahlbereich schon heute eine ganze Reihe von Standorten, die weiter Verluste schreiben und nicht zu halten sein werden", prognostiziert Eder. "Der Druck wird sich verstärken."
Der Hochofen wird aber trotz des Wandels in Westeuropa nicht so bald von der Bildfläche verschwinden. Schließlich benötigen die Spezialstahlhersteller einen hochwertigen Ausgangsstoff für ihre Produkte.
Quelle: ntv.de, Angelika Gruber; rts