EZB ohne "große Wachsamkeit" Trichet erklärt den Kurs
05.05.2011, 16:12 Uhr
"Wir haben diese Entscheidung einstimmig getroffen."
(Foto: REUTERS)
Die Entscheidung fällt einstimmig: Der für die Kreditversorgung im Euroraum maßgebliche Zinssatz bleibt bis auf weiteres unverändert. Vor der Presse erläutert EZB-Präsident Trichet den geldpolitischen Kurs der Währungshüter: Mittelfristig besteht demnach weiterhin Inflationsgefahr. Die höchste Alarmstufe sieht die EZB aber noch nicht erreicht.
Die EZB legt nach der Zinserhöhung im April wie an den Märkten erwartet eine Pause ein. Wie der Rat der Europäische Zentralbank (EZB) nach seiner Sitzung in Helsinki mitteilte, bleibt der Schlüsselzins für die Eurozone unverändert bei 1,25 Prozent. Erst vor vier Wochen hatten die Ratsmitglieder den Leitzins unter dem Druck steigender Preise zum ersten Mal seit rund drei Jahren nach oben geschraubt.
Nach der wenig spektakulären Entscheidung warteten Fachleute und Öffentlichkeit gespannt auf Aussagen von Notenbankchef Jean-Claude Trichet zum weiteren geldpolitischen Kurs der Währungshüter.
Besonders von Interesse war dabei wie immer die genaue Wortwahl Trichets: Die Beobachter legen in der Regel jede einzelne Formulierung auf die Goldwaage, um die darin enthaltenen Andeutungen zu entschlüsseln. Sollte Trichet von "großer Wachsamkeit" der Notenbanker sprechen, so hieß es im Vorfeld, dürfte dies als Signal für eine bereits im Juni anstehende weitere Zinserhöhung verstanden werden.
Bei ihrer aktuellen Sitzung haben Europas Währungshüter wie erwartet eine Zinspause eingelegt. Auf der Pressekonferenz am Nachmittag nach der Entscheidung verzichtete Trichet dann auch noch auf die richtungsanzeigende Formulierung "große Wachsamkeit". Fachleute folgerten daraus, dass die EZB ihre Zinsen voraussichtlich auch im Juni noch nicht weiter erhöhen dürfte.
Wie stark drückt die Inflation?
Wörtlich erklärte Trichet: "Der EZB-Rat hat beschlossen, den Zinssatz unverändert zu lassen nach der Erhöhung um 25 Basispunkte vom April. Die Informationen, die wir seither erhalten haben, bestätigen unsere Einschätzung, dass die Anpassung der sehr konjunkturstimulierenden Geldpolitik berechtigt war."
Auf die Frage eines Journalisten nach etwaigen Gegenstimmen zum Kurs sagte der EZB-Präsident: "Wir haben diese Entscheidung einstimmig getroffen."
Auf die Frage nach dem weiteren Vorgehen und einem etwaigen Zeitplan für weitere Zinsschritte ging Trichet dagegen nicht weiter ein. "Wir werden unsere Entscheidung dann treffen, wenn wir der Meinung sind, dass es nötig ist, um mittelfristig Preisstabilität zu sichern", erklärte er.
Unter Analysten wurden die einzelnen Aussagen des obersten Währungshüters der Eurozone umgehend heiß diskutiert. "Es ist keine große Überraschung, dass Trichet gesagt hat, dass die EZB alles sehr genau beobachten will", meinte zum Beispiel Unicredt-Analyst Andreas Rees in einer ersten Reaktion.
"Alles spricht dafür, dass wir die nächste Zinserhöhung um 25 Basispunkte im Juli bekommen werden", schätzte Rees. "Die EZB bleibt wohl bei ihrem Drei-Monatsrhythmus bei den Zinserhöhungen. Sonst hat Trichet nicht viel Neues gesagt."
Andeutungen und Kernbotschaften
Elmar Völker von der deutschen Landesbank LBBW bestätigte diese Einschätzung. "Wir gehen davon aus, dass die nächste Zinserhöhung im Juli kommt. Wahrscheinlich geht die EZB auf einen Drei-Monatsrhythmus. Im vierten Quartal könnte dann noch mal ein Schritt kommen. Wenn das Basisszenario bei Inflation und Wirtschaftswachstum eintritt, dann wird sie wohl im moderaten Tempo weiter machen."
"Eine Zinserhöhung im Juni hat Trichet nicht angekündigt", hob Norbert Braems von der Privatbank Sal. Oppenheim hervor. "Wahrscheinlich kommt der nächste Schritt im Juli und noch einer Ende des Jahres. Der Erhöhungszyklus wird wohl langsamer ausfallen als in der Vergangenheit." Dies sei, so Braems weiter, "eine der Kernbotschaften."
Ähnlich äußerte sich Helaba-Analyst Ralf Umlauf. "Auf der Pressekonferenz ließ EZB-Chef Trichet keinen Zweifel daran aufkommen, dass die EZB das Ziel der Preisniveaustabilität konsequent verfolgen wird. Allerdings gab es unseres Erachtens keine Signale für eine Zinserhöhung bereits im Juni."
Trichet habe es, so Umlauf, vermieden, bezüglich der Inflationsgefahren von erhöhter Wachsamkeit zu sprechen. Die Betonung der aufwärts gerichteten Inflationsrisiken aber ließe eine weitere Straffung der EZB-Zinsen im dritten Quartal und damit sehr wahrscheinlich im Juli erwarten. "Dafür müsste im Juni die Wortwahl von 'genauer Beobachtung' auf 'erhöhte Wachsamkeit' geändert werden", erklärte der Experte der Helaba.
Trichet kommentiert Portugal-Hilfe
Abgesehen von Zinsschritten und Zeitplänen war am Vormittag auch die prekäre Haushaltslage in Portugal Thema der Beratungen im EZB-Rat. Im Anschluss an die Sitzung begrüßte Trichet ausdrücklich auch das aktuelle Rettungspaket für das hoch verschuldete Portugal. Das Programm von EU und IWF enthalte nötige Schritte, um die portugiesische Wirtschaft zu stabilisieren, sagte er. Trichet bekräftigte die Position der Währungshüter, dass die Euro-Länder ihre Konsolidierungsziele 2011 erreichen müssten. Es sei wichtig, dass Reformen vor allem in den hoch verschuldeten Ländern zügig umgesetzt würden.
Die Währungshüter trafen sich ausgerechnet in Finnland - dem Land, von dem Beobachter glaubten, es könnte nach dem Wahlerfolg der nationalistischen Partei "Wahre Finnen" die Milliardenhilfen für Portugal stoppen. Portugal erhält künftig 78 Mrd. Euro, davon 26 Mrd. Euro vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und den Rest von seinen europäischen Partnern. Als Gegenleistung muss die Regierung in Lissabon den Sparkurs verstärken und zum Teil Steuern erhöhen.
Die finanzielle Situation der zum Teil hoch verschuldeten Euro-Staaten erschwert die Arbeit der Währungshüter zusätzlich: Höhere Zinsen verteuern Kredite. Daher könnten sie Gift für die Erholung der Konjunktur sein und damit einen Aufschwung in Krisenstaaten wie Irland, Griechenland und Portugal bedrohen. Experten der DZ Bank sehen die Währungshüter daher in einer Zwickmühle: "Einige Kernländer könnten deutlich kräftigere und schneller steigende Leitzinsen gebrauchen, um einen möglichen Preisdruck abzufangen. Steigende Leitzinsen verschlechtern aber auch insbesondere in der Peripherie die Verschuldungssituation der privaten Haushalte, wodurch dort die Zahlungsausfälle zunehmen."
Zusätzlich stärkt der Ausblick auf weiter steigende Zinsen den Euro. Denn während die EZB geldpolitisch einen Gang zurückgeschaltet hat, steht die US-Notenbank Fed noch voll auf dem Gaspedal und pumpt hohe Summen in den Geldkreislauf. Die Bank of England (BoE) beließ ihren Leitzins am Donnerstag auf dem Rekordtief von 0,5 Prozent.
Quelle: ntv.de, AFP/DJ/dpa/rts