Wirtschaft

"Mutter aller Krisen" voraus? Trotz düsterer Prophezeiung keimen Konjunkturhoffnungen

Doom-Prophet Nouriel Roubini zieht wieder alle Register: "Erwarten Sie viele dunkle Tage, meine Freunde", lauten die Schlussworte seines jüngsten Buchs "Megathreats". Dabei gibt es Silberstreifen am Horizont.

Doom-Prophet Nouriel Roubini zieht wieder alle Register: "Erwarten Sie viele dunkle Tage, meine Freunde", lauten die Schlussworte seines jüngsten Buchs "Megathreats". Dabei gibt es Silberstreifen am Horizont.

(Foto: picture alliance / imageBROKER)

Nouriel Roubini alias Dr. Doom macht seinem Ruf als Untergangsprophet wieder alle Ehre: Hohe Schulden und steigende Zinsen würden bald die "Mutter aller Finanzkrisen" auslösen, warnt er. Die Rede ist von beispielloser Rezession und einem Börsenbeben. Einige Daten für Deutschland erzählen etwas anderes.

Wenn jemand erfolgreich den Teufel an die Wand malen kann, dann ist es Nouriel Roubini alias Dr. Doom. Der Ökonom hat sich seinen Ruf als chronischer Schwarzseher über viele Jahre und Krisen redlich verdient. Zugutehalten muss man ihm, dass er mit seiner Warnung vor einem Immobiliencrash vor der globalen Finanzkrise 2008 immerhin richtig lag. Viele andere seiner Weltuntergangsszenarien stellten sich dagegen - zum Glück - nicht ein. Offenbar ist die Zeit reif, es mit einer neuen Albtraum-Prophezeiung zu versuchen.

Angesichts der grassierenden Inflation identifiziert Roubini in seinem jüngsten Buch "Megathreats" zehn große Gefahren, die eine Ära von Konflikten und Chaos einleiten könnten. Wichtig für Anleger sind insbesondere zwei davon: ein mögliches Ende der Globalisierung und eine mögliche Finanzkrise durch steigende Zinsen bei hohen Schulden.

Höhere Zinsen sind das wichtigste Mittel, um Inflation zu bekämpfen - der Wirtschaft graust es davor. Nichtsdestotrotz macht es die EZB inzwischen der Fed nach und erhöht zügig die Zinsen. Angesichts einer Inflation von knapp zehn Prozent in der Eurozone hob sie ihren Leitzins heute noch einmal um 0,75 Prozentpunkte auf 2 Prozent an.

Für Roubini ist die "Mutter aller Finanzkrisen" angesichts der aggressiven Zinspolitik der Notenbanken unabwendbar. Staaten, Haushalte und Unternehmen haben zu Niedrigzins-Zeiten viel Geld getankt. Sie haben Schulden angehäuft, die sie bei steigenden Zinsen unmöglich bedienen können. Aus Roubinis Sicht herrschen auf der ganzen Welt mittlerweile fatale argentinische Verhältnisse. Die Währungshüter könnten nur noch entscheiden, ob sie durch Niedrigzinsen staatliche Schulden weginflationieren oder durch hohe Zinsen private Vermögen schützen. Aber das Chaos folge so oder so.

Seine Schlussfolgerung: Das kommende Jahrzehnt könnte im Zeichen einer Schuldenkrise stehen, "wie wir sie noch nie zuvor gesehen haben". Es werde "eine schwere Rezession geben," prophezeit er, und sie werde "lang und hässlich" sein, wie er im Interview mit Bloomberg ausführt. Wird es wirklich so dramatisch? Wie verzweifelt ist die Lage?

"Winter-Rezession kommt"

Richtig ist: Die makroökonomischen Rahmenbedingungen durch den Ukraine-Krieg und die Energiekrise schüren Konjunktursorgen. Die Risiken sind real. Deutschland schlittert in die Rezession. Der als verlässliches Konjunkturbarometer geltende IFO-Geschäftsklimaindex ist im Oktober erneut gefallen. Der Einzelhandel erwartet weniger Kunden wegen der hohen Preise. Und dem einst boomenden Bau brechen die Aufträge weg. "Die Winter-Rezession kommt", warnt IFO-Experte Klaus Wohlrabe.

Weil Verbraucher in wirtschaftlichen Abschwungphasen weniger konsumieren und Unternehmen auch weniger investieren, sind steigende Zinsen kontraproduktiv für die Konjunktur. Sie dämpfen zwar wie gewünscht die ungewollte Preisentwicklung, gleichzeitig bremsen sie aber auch die Wirtschaft. Das heißt, für die Volkswirtschaften kommt es gerade knüppeldick. Aussichtlos ist die Lage dennoch nicht. Denn ungeachtet anhaltender Klagen über die hohe Inflation bewegen sich viele Preise derzeit schon wieder im Rückwärtsgang.

Rohstoffpreise kommen zurück

Der Preis für Gaskontrakte beispielsweise - die Inflation wird zum großen Teil von den Energiepreisen befeuert - notiert immerhin bereits auf einem Niveau wie vor der russischen Invasion in der Ukraine. Was für den Gaspreis gilt, gilt auch für andere Rohstoffe wie Aluminium, Stahl, Gold, Weizen und Baumwolle. Volkswirte gehen davon aus, dass die Preissenkungen in wenigen Monaten auch bei den Verbrauchern ankommen werden.

Das heißt noch nicht, dass rosige Zeiten angebrochen wären, aber es bedeutet, dass die Wirtschaft reagieren kann und reagiert hat, indem sie ihre Bezugsquellen für Gas diversifiziert. Nicht nur die Unternehmen, auch die Verbraucher passen sich an, ziehen mit und sparen, wo es geht. Das macht sich positiv bemerkbar. Die schlechten Konjunkturprognosen haben bereits Luft aus heiß gelaufenen Sektoren und Blasen entweichen lassen. Schwächelt eine Branche jetzt, wie beispielsweise der Häuserbau, sinken die Preise. Das Angebot passt sich der sinkenden Nachfrage an.

Auch bei den Agrarrohstoffen, die explodiert waren, ist Ruhe eingekehrt, berichten Branchen-Insider. Wie eine Studie des IFO-Instituts Dresden zeigt, hatten viele Unternehmen einen übertriebenen preislichen Puffer nach oben eingebaut, um eine Kostenexplosion für sich abzufangen. Deutschland habe deshalb nicht nur eine Kosteninflation, sondern auch eine "Gewinninflation", kommentierte Studienautor Joachim Rangnitz das Phänomen in der "Welt am Sonntag".

Eine Korrektur war überfällig. Würde die Inflation in der Breite fallen, würde der Zwang, die Zinsen weiterhin aggressiv zu erhöhen, wegfallen. So weit ist es zwar noch nicht. Trotzdem ist bei der Bewertung der aktuellen Lage - wie immer in Krisen - Bauchgefühl im Spiel. Deshalb ist kühler Kopf gefragt. So gibt es trotz Horrorszenarien à la Roubini tatächlich auch noch weitere Lichtblicke.

Positiv ist beispielsweise auch - neben den sinkenden Preisen für verschiedene Güter -, dass die Auftragsbücher der deutschen Industriebetriebe so prall gefüllt sind wie noch nie. Im Vergleich zum Vorjahresmonat gab es einen Zuwachs von 11,1 Prozent. "Das Verarbeitende Gewerbe verzeichnete damit seit Februar 2022 jeden Monat einen neuen Höchststand an offenen Aufträgen", so die Statistiker. Einziges Haar in der Suppe: Neben hohen Energiekosten für die Industriebetriebe führt die anhaltende Knappheit an Vorprodukten zu Problemen beim Abarbeiten der Aufträge.

Euro-Schwäche, Bevölkerungswachstum und niedrigere Sparquote

Auch der schwache Euro, der zum Dollar in den vergangenen 12 Monaten 15 Prozent an Wert eingebüßt hat, hilft der schwächelnden Wirtschaft auf die Sprünge. Vor allem hilft er den für die deutsche Konjunktur wichtigen Exportunternehmen. Wie das Statistische Bundesamt vergangene Woche mitteilte, kletterten die deutschen Ausfuhren in Nicht-EU-Länder im September um 20,4 Prozent zum Vorjahresmonat - vor allem wegen der starken Nachfrage aus den USA. Korrekterweise muss man hinzufügen, dass sich durch den schwachen Euro gleichzeitig auch die Importe verteuern, was wiederum die Inflation unterstützt. Was am Ende schwerer wiegt, wird sich zeigen.

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Profitieren sollte die deutsche Wirtschaft auch von der wachsenden Bevölkerung, die im ersten Halbjahr mit 84 Millionen Menschen fast 4 Millionen mehr zählte als noch 2011. Fünf Prozent mehr Einwohner konsumieren mehr und generieren auch mehr Wertschöpfung. Der private Konsum dürfte darüber hinaus von der sinkenden Sparneigung profitieren. Die Deutschen legen aktuell wegen der Kaufkraftverluste durch die hohe Inflation weniger Geld beiseite als in der Hochphase der Pandemie, wie die Statistik zeigt. Mit rund 11 Prozent entspricht die bereinigte Sparquote der privaten Haushalte im ersten Halbjahr etwa der vor Ausbruch der Corona-Pandemie 2019.

In diesem Licht betrachtet erscheint Roubinis Prophezeiung doch eher übertrieben düster. Albern oder nutzlos ist sie deshalb nicht. In altbewährter Manier legt Dr. Doom den Finger in die Wunden und lenkt den Blick so auf große Herausforderungen, die dringend gemeistert werden müssen - und das nicht nur von Deutschland. Die Zinspolitik der Fed ist gefährlich, weil die USA mittlerweile deutlich mehr Zinsen für ihre Schulden bezahlen. Deutschland steht bei der Verschuldung offiziell noch ziemlich gut da. Aber die Regierung will für die Bundeswehr und die Gaspreisbremse insgesamt 300 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Das entspricht immerhin sieben Prozent des Bruttoinlandprodukts. Einerseits lässt Roubinis Warnung Alarmglocken schrillen. Andrerseits mangelt es der Welt aber auch nicht an Krisenerfahrungen. Bislang hat sie alle überstanden.

Quelle: ntv.de

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