Unter dem Druck der Islamisten US-Projekt gibt Namen auf
08.07.2014, 10:42 Uhr
Unbeabsichtigter Nebeneffekt: Der Triumph der Isis-Kämpfer in Teilen Syriens und des Irak bringt die Geschäftspläne eines US-Mobilfunkbündnisses durcheinander.
(Foto: REUTERS)
Der Vormarsch militanter Dschihadisten bringt die gemeinsame Tochter dreier US-Mobilfunkgiganten in eine unangenehme Zwangslage. Das mobile Bezahlungssystem firmiert unter dem Kürzel "Isis" - und braucht jetzt dringend eine neue Markenstrategie.

"Pay with your Phone": Das Projekt hat verständlicherweise "kein Interesse daran hat, den Namen mit einer Gruppe zu teilen, deren Namen ein Synonym für Gewalt geworden ist".
Geschäfte mit "Isis"? US-Konsumenten neigen auf dem hochsensiblen Feld des Mobile Payments - der finanziellen Transaktion per Smartphone - offenbar zur Vorsicht: Die unglückliche Namensgleichheit eines US-Zahlungssystems mit der sunnitischen Dschihadisten-Organisation im Nahen Osten lässt den beteiligten Konzernen anscheinend keine andere Wahl.
Die Gräueltaten der Islamisten füllen die vier unscheinbaren Buchstaben mit einer vollkommen neuen Bedeutung. In den USA beherrscht das Kürzel die Hauptnachrichten. Um den Begriff "Isis" kreist eine politische Debatte über eine Rückkehr der US-Streitkräfte - und die Schatten des erfolglosen Irak-Kriegs der Bush-Ära. Auf absehbare Zeit ist die Marke mit untragbaren Assoziationen verknüpft: religiös verbrämter Fanatismus, gewaltsame Unterdrückung Andersgläubiger, Massenerschießungen. Der Name Isis ist "verbrannt", wie Marketingexperten sagen.
Die Zukunft im Einzelhandel?
Das System für mobile Bezahldienstleistungen ("Nun können Sie mit Ihrem Telefon zahlen!") weicht der Gewalt und gibt vorsorglich den eigenen Namen auf. Das US-Unternehmen Isis ist ein Joint Venture der Telekommunikationsunternehmen AT&T, T-Mobile und Verizon, das breite Unterstützung von Smartphoneherstellern und Finanzunternehmen genießt. Sicherheitshalber - und um jegliche Missverständnisse auszuschließen - distanzierte sich das Bezahlsystem zu Wochenbeginn noch einmal ausdrücklich von der Gruppierung Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (Isis).
Isis-Chef Michael Abbott erklärte in einer Internetbotschaft, dass das Unternehmen "kein Interesse daran hat, den Namen mit einer Gruppe zu teilen, deren Namen ein Synonym für Gewalt geworden ist". Bislang sei noch keine Entscheidung gefallen, wie die Firma künftig heißen solle. Die Internetseite des US-Bezahlsystems ist bis auf Weiteres noch unter dem alten Namen erreichbar.
Kostspielige Kehrtwende
Die Weichenstellung dürfte mit erheblichen Kosten verbunden sein. Ein neuer Markenname muss in der US-Öffentlichkeit erst noch eingeführt werden. Dazu kommen Ausgaben für den neuen Domain-Namen im Internet, die Umgestaltung des Unternehmensauftritts bis hin zur Ausgabe neuer Geschäftsunterlagen, Änderung von Behördeneinträgen und dem Wechsel auf den Visitenkarten.
"Es ist nie leicht, eine Marke zu verändern", erklärte Isis-Chef Abbott. "Aber wir wissen, es ist die richtige Entscheidung - für unser Unternehmen, unsere Partner und unsere Kunden." Umbenannt werden müssen sowohl die Zugänge für Geschäftskunden ("Isis for Business") als auch die Werbematerialien der Isis-Partner wie Google, Apple, JP Morgan Chase, Wells Fargo und American Express. Im Prinzip muss das Isis-Projekt in Sachen PR und Markenentwicklung noch einmal komplett von vorne anfangen.
Die Umbenennung trifft das Unternehmen offenbar in einer Phase des Erfolgs. Das Bezahlsystem ist in den USA bereits recht weit verbreitet. Eigenen Angaben zufolge kommt das Unternehmen derzeit durchschnittlich auf rund 20.000 Neuanmeldungen pro Tag. Die Zahl der angemeldeten Kreditkarten liege bei 133 Millionen, heißt es. Isis-Nutzer können demnach ihre Rechnungen bereits an mehr als 200.000 Verkaufsstellen mobil per Handy bezahlen.
Propagandakrieg mit Nebenwirkungen
Formal scheint die Umbenennung mittlerweile eigentlich bereits überflüssig. Die Islamisten erwiesen sich auch hier - zumindest für westliche Beobachter - als unerwartet flexibel und schwer zu greifen. Die Organisation Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (Isis) nennt sich nach Ausrufung eines grenzüberschreitenden islamischen Gottesstaat mittlerweile Islamischer Staat, kurz IS.
Das "Kalifat" soll sich von der Region Aleppo im Norden Syriens bis zur Region Dijala im Osten des Irak erstrecken. Isis hatte am 9. Juni ihre Militäroffensive im Irak gestartet. Zuvor war sie 2013 inmitten des syrischen Bürgerkrieges erstmals aufgetaucht.
War die Ankündigung der US-Payment-Experten also voreilig? Die Buchstabenkombination "Isis" ist weder neu, noch besonders originell. Altertumsforscher und Opernliebhaber werden sich dabei seit jeher eher an die altägyptische Göttin oder die Anspielungen an den Isis-Kult in Mozarts "Zauberflöte" erinnert gefühlt haben als an einen Zahlungssystemanbieter. Zahlreiche weitere Institutionen und Unternehmen nutzen das Kürzel.
Im Netz finden sich zum Beispiel mindestens eine gleichnamige Unternehmens-Software, eine Tierdatenbank für Biologen, Züchter und Zoobetreiber, eine Jazz-Band, ein Institut für Sensorik und Informationssysteme an der Uni Karlsruhe, einen Mondkrater sowie ein Informationssystem der TU Berlin für Lehrkräfte und Studenten.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP