"Willkommen in der Hölle" Ukraine nähert sich dem Bankrott
05.03.2014, 11:34 Uhr
Ungewisse Zukunft: Auf der Krim stationierte ukrainische Soldaten.
(Foto: REUTERS)
Die wirtschaftliche Lage der Ukraine ist desaströs. Die Währung ist in freiem Fall, die Währungsreserven schmelzen dahin. Zudem muss das Land Schulden in Milliardenhöhe begleichen. Die neue Regierung hofft nun auf Hilfe aus dem Westen.
Die Ukraine steckt in großen Schwierigkeiten: Russische Soldaten patrouillieren auf der Krim, von einer Stabilisierung ist das Land weit entfernt, und außerdem droht die Pleite. Die Führung braucht viel Geld, um Schulden zu begleichen. Bis Ende nächsten Jahres hat die Ukraine eigenen Angaben zufolge einen Finanzbedarf von 35 Milliarden Euro. Und als wäre das noch nicht genug, erhöht der Kreml den Gaspreis deutlich.
Mit anderen Worten: Die Ukraine braucht dringend Hilfe. Nun reist eine Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach Kiew, um mit der Übergangsregierung über Kredite zu sprechen. Die Experten werden bis zum 14. März im Land bleiben, um die "aktuelle wirtschaftliche Lage zu prüfen" und "über Reformen zu diskutieren, die als Grundlage für ein Hilfsprogramm dienen können", so der IWF. Der Gesprächsbedarf ist gewaltig, die Uhr tickt: "Es darf keine Zeit verschwendet werden, die Gefahr eines Zahlungsausfalls steigt", warnt Analyst Jim Reid von der Deutschen Bank.
Die Probleme reichen tief. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Ukraine hart getroffen. Seite Mitte 2012 steckt sie in der Rezession, auch 2013 wird das Bruttoinlandsprodukt wohl gesunken sein. Der exportorientierte Stahlsektor leidet unter niedrigen Preisen, zudem macht dem Land das schwächelnde Wirtschaftswachstum Russlands zu schaffen. Der große Nachbar ist der wichtigste Handelspartner, das Volumen des Außenhandels lag 2012 bei 27,4 Milliarden Dollar und damit leicht über dem mit der Europäischen Union.
Dazu trägt die Ukraine Züge einer Vetternwirtschaft. Nach dem Zusammenbruch der zentralistischen Planwirtschaft Anfang der 90er Jahre wurde das ehemalige Staatsvermögen schnell privatisiert. Dadurch entstand eine Gruppe von Oligarchen, die maßgebliche wirtschaftliche und politische Macht erlangt hat. Transparency International listet die Ukraine als das korrupteste Land Europas auf. Weltweit auf Platz 144 liegt es etwa gleichauf mit dem Iran, der Zentralafrikanischen Republik und Nigeria. Im "Ease of Doing Business"-Index der Weltbank nimmt die Ukraine Platz 112 ein - und liegt damit noch hinter Pakistan und dem Libanon. Für ausländische Investoren ist das nicht sonderlich attraktiv. Im Gegenteil, sie verlassen das Land.
Korruption und Misswirtschaft
Geld allein kann die Ukraine also nicht retten, tiefgreifende Strukturreformen sind bitter nötig. Der IWF knüpft seine Hilfe deshalb an eine Reihe von Auflagen - und verlangt politische Stabilität und einen zuverlässigen Ansprechpartner, der die Vereinbarungen auch durchsetzt. Das wird allerdings selbst dann schwierig sein, wenn die Ukraine nicht auseinanderfallen sollte. Schließlich sind die Präsidentschaftswahlen erst für Ende Mai angesetzt. Bis dahin muss der IWF mit einer Übergangsregierung - deren Legitimität von vielen angezweifelt wird - vorlieb nehmen,
Ökonomen sind sich uneins darüber, was nun geschehen soll. Anders Aslund, ein schwedischer Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger Berater der ukrainischen Regierung, empfiehlt IWF und Europäischer Union, innerhalb weniger Wochen ein Hilfspaket zu schnüren. Seine Begründung: Die Ukraine habe mit dem Sturz des Präsidenten einen demokratischen Durchbruch erzielt und sei jetzt bereit, das oligarchische Wirtschaftssystem zu reformieren und sich der EU anzunähern.
Andere sind skeptischer und weisen darauf hin, dass die Ukraine in der Vergangenheit immer wieder Reformzusagen gegenüber dem IWF nicht eingehalten habe. Außerdem habe sich dort eine blühende Korruption entwickelt. Außerdem sei die Wirtschaft der Ukraine im Gegensatz zu anderen ehemaligen Ostblock-Staaten wie Polen nicht ausreichend reformiert worden. Deshalb sei es undenkbar, dass der IWF in Kürze Kredite zur Verfügung stellen werde.
Nach Jahren der Korruption und Misswirtschaft ist das Land herabgewirtschaftet. "Die ohnehin schon äußerst schwierige finanzielle und wirtschaftliche Situation hat sich in den vergangenen Wochen noch verschlimmert", heißt es in einer aktuellen Studie des Institutes of International Finance, einer globalen Vereinigung von Finanzinstituten. Die Finanzierung des Haushalts sei praktisch nicht mehr machbar. Interimspräsident Alexander Turtschinow hat bereits verkündet, die Staatskasse sei leer und Pensionsverpflichtungen könnten nicht mehr erfüllt werden. Zudem seien Steuereinnahmen und wirtschaftliche Aktivitäten nahezu eingebrochen. Dazu kommt, dass die Zentralbank versucht, einen Absturz der Landeswährung Hrwnja zu verhindern. Die Währungsreserven schmelzen deshalb dahin.
Pleite droht
Wenn nicht schnell etwas passiert, wird die Ukraine ihre Schulden wohl nicht mehr begleichen können. Ein Staatsbankrott hätte schlimme Folgen. Neben den Zinsen auf Kredite kann die Regierung auch andere Ausgaben nicht mehr tätigen. Dazu gehören Pensionen, Gehälter für Staatsbedienstete oder Arbeitslosengeld. In der Folge steigen Arbeitslosigkeit und Armut an, die Währung kollabiert. Die EU und die USA wollen deshalb die Ukraine mit millionenschweren Hilfspaketen vor dem finanziellen Zusammenbruch bewahren. Allein Washington will zunächst eine Milliarde US-Dollar Kredithilfen für die Energieversorgung zur Verfügung stellen.
Doch selbst Milliardenhilfen werden die immensen Probleme der Ukraine nicht lösen. Der IWF wird die Kredite deshalb an harte Bedingungen knüpfen - die Regierung wird wohl die Subventionierung des Gaspreises abschaffen und den Haushalt in Ordnung bringen müssen. Die umfangreichen Sparmaßnahmen werden der Bevölkerung des zerissenen Landes schwere Opfer abverlangen.
"Wir werden extrem unpopuläre Schritte machen müssen", sagt der neue Ministerpräsident Arseni Jazenjuk. "Dies ist eine Regierung der politischen Selbstmörder." Sie werde kritisiert und wie Dreck behandelt werden, sagte Turtschinow voraus. "Aber sie muss ihre Verpflichtungen erfüllen und bis zur Erschöpfung arbeiten für das Wohl der Ukraine." Oder wie es Jazenjuk ausdrückt: "Willkommen in der Hölle".
Quelle: ntv.de, mit dpa