Wirtschaft

Der große Bluff Nur nicht Berlusconi glauben

Italiens Schulden sind enorm hoch. Die Inflation erreicht einen Rekordwert. Die Konditionen, zu denen sich das Land Geld leihen kann, verschlechtern sich zusehends. Auf dem Euro-Gipfel in Brüssel muss Berlusconi einen "Brief der Versprechen" vorlegen, wie er sanieren will. Doch das ist Makulatur, denn keines seiner Versprechen bringt schnelles Geld.

Es ist mehr als fraglich, ob Italien den Selbstverpflichtungen der Berlusconi-Regierung glaubwürdig nachkommen kann.

Es ist mehr als fraglich, ob Italien den Selbstverpflichtungen der Berlusconi-Regierung glaubwürdig nachkommen kann.

(Foto: REUTERS)

Die Lage Italiens ist dramatisch, da helfen keine Beschönigungen. Hier sind die Fakten: Derzeit sitzt Italien auf einem Schuldenberg von 1900 Milliarden Euro, in den nächsten 12 Monaten werden davon 325 Milliarden Euro fällig. Entweder zahlt Italien diese Schulden zum Nennwert zurück, was es natürlich nicht kann, oder es muss auf den Finanzmärkten, in Italien oder dem Ausland, Personen oder Institutionen finden, die bereit sind, dem Berlusconi-Land 325 Milliarden frisches Geld zu leihen. Diese Summe muss dann noch erhöht werden um die Aufnahme neuer Schulden, denn bislang hat Italien keinen ausgeglichenen Haushalt, muss sich also mehr Geld leihen als alte Schuldtitel fällig werden. Bei 4 Prozent Neuverschuldung braucht Italien in den nächsten 12 Monaten die Summe von 390 Milliarden Euro. Auf die Altschulden zahlte Italien im Schnitt 3,6 Prozent Zinsen, heute muss Italien 6,2 Prozent Zinsen zahlen. Tendenz weiter steigend.

Im Staatshaushalt 2011 Italiens stehen geplante Zinszahlungen von 70 Milliarden Euro zu Buche. Die Märkte aber trauen Berlusconi-Land aber immer weniger, also muss das Land immer mehr zahlen. Bliebe es nur bei dem Zinssatz von 6,2 Prozent, müsste der Finanzminister Giulio Tremonti allein für 2012 mindestens weitere 9 Milliarden Euro nur für die Zinszahlungen bereitstellen, für 2013, am Ende des Mandats der Regierung Berlusconi, noch einmal weitere 25 Milliarden.

Sparhaushalt schon heute Makulatur

Das weiß natürlich auch der Finanzminister Giulio Tremonti, das weiß auch Silvio Berlusconi, das wissen aber vor allem diejenigen, bei denen Berlusconi um Geld betteln lässt. Das sind eben nicht mehr nur die Italiener: Die Sparquote Italiens ist nämlich abgestürzt, knapp die Hälfte der Schuldverschreibungen Italiens liegen heute bei Ausländern.

Krise erreicht das Portemonnaie

Italien muss immer mehr Zinsen zahlen.

Italien muss immer mehr Zinsen zahlen.

(Foto: dpa)

Die Inflation hat den Rekordwert von 3,4 Prozent erreicht und in Folge der steigenden Zinsen müssen die Familien ihre meist mit flexiblem Zins gestalteten Hypothekenkredite teurer bezahlen. Eine dramatische Abwärtsspirale hat sich in Gang gesetzt, die man schon in Griechenland beobachten konnte. Zudem sollen die italienischen Banken nun ihr Kapital um 14 Milliarden Euro aufstocken. Doch woher nehmen, auf einem Markt, der gerade den Banken nicht traut. Es sind gerade die Bankenwerte, die im Sturzflug sind.

Keine der Maßnahmen Berlusconi aus dem "Brief der Versprechen" an die Euro-Partner bringt schnelles Geld. Die Verwaltung entbürokratisieren, die Verwaltung modernisieren sind: nur Banalitäten. Mit kleinen Unterbrechungen regiert Berlusconi seit 1994 dieses Land, doch fast alle Versprechen, mit denen er die Italiener seit damals umgarnt hat, sind unerfüllt geblieben. Anstatt Steuersenkungen hat das Land heute mit einer Abgabenquote von 43,9 Prozent einen Rekordwert erreicht. Die 915 Parlamentarier genießen Bezüge wie kein anderes Parlament in Europa sie gewährt. Noch immer beziehen rund 500.000 Italiener die "Babyrenten": Bis vor wenigen Jahren konnte ein Staatsangestellter nach 19 Dienstjahren, unabhängig vom Lebensalter, in Rente gehen. Diese Renten kosten den Staat pro Jahr 5 Milliarden Euro – eine dieser Baby-Rentnerinnen ist auch die Ehefrau des Lega Nord Bosses Umberto Bossi, der ansonsten immer bereit ist über die Verschwendung der Steuergelder in der Diebesstadt Rom "Roma Ladrona" herzuziehen, in diesem Falle aber höchst erbost, als der Parlamentspräsident Gianfranco Fini den Fall der Bossi-Ehefrau als Musterbeispiel für die Privilegien der Staatsdiener in der TV-Sendung Ballaro anprangerte.

Berlusconi musste auf dem Euro-Gipfel Haushaltsversprechungen machen.

Berlusconi musste auf dem Euro-Gipfel Haushaltsversprechungen machen.

(Foto: dpa)

Im Brief an die Euro-Kollegen versprach Berlusconi großzügig, das Rentenalter in Italien auf 67 Jahre anzuheben. Aber das war nur ein plumper Bluff. Jeder in Italien weiß, dass das Problem gar nicht im normalen Rentenalter besteht, dessen Anhebung auf 67 Jahren ist längst beschlossen, sondern in der sogenannten Dienstalter-Rente – die aber hat Berlusconi nicht angetastet. Wer 35 Jahre lang gearbeitet, Rentenbeiträge gezahlt und 58 Jahre alt ist, darf auf Rente gehen. Statistisch lebt diese Person dann noch mindestens 28 Jahre mit einer schönen Rente. Ohne Abschläge. Genau das ist das Problem beim italienischen Rentensystem. Die Ausgaben sind weit höher als die Einnahmen.

Wieder eine Lex-Berlusconi-Regelung

Statt hier die Hand anzulegen, hat Berlusconi noch schnell eine ganz andere Norm in das Spar-Haushaltgesetz aufgenommen, an der ihm offenkundig sehr viel mehr gelegen hat: die Änderung des Erbrechtes, wonach der frei verfügbare Anteil des Erblassers erhöht wurde zu Lasten der Pflichtanteile für die Ehefrau und die Kinder. Was hat diese Norm in einem Sparhaushalt zu suchen? Ganz einfach, sie regelt die zukünftige Macht im Hause Berlusconi. Nach dem bisherigen Erbrecht hätten die drei Kinder aus der Ehe mit Veronica Lario das Sagen im Hause Berlusconi gehabt, zusammen mit ihrer Mutter. Nach dem neuen Erbrecht kommandieren die Kinder aus erster Ehe, vor allem seine Tochter Marina, die ihm in allem am meisten ähnelt. Barbara Berlusconi, Tochter aus zweiter Ehe, hatte sich nicht deutlich hinter ihren Vater gestellt, als die Sex-Skandale um ihn auftauchten, ging nach dem Bunga-Bunga weiter auf Distanz. Ihre Mutter Veronica Lario hatte gar gesagt, Silvio sei krank, er müsse sich behandeln lassen.

Hat Italien den Euro nicht gewollt?

Hat Italien den Euro nicht gewollt?

(Foto: REUTERS)

Der Euro, das hat Berlusconi selber nach der Nacht der Versprechungen gleich deutlich gemacht, ist ihm schnurzegal. Seit 2001 lästert er gegen den Euro. Der Euro sei "schuld an der Inflation in Italien", erklärte Berlusconi 2003 und 2005 meinte er, "wir haben den Euro nicht gewollt, die Einführung war eine Katastrophe für die italienischen Familien – das einzig Negative meiner Regierungszeit" und trauert den Zeiten nach, als Italien noch frei nach Lust und Laune abwerten konnte, "um so die Wettbewerbsfähigkeit zu wahren", solange es eben noch die gute alte Lira gab.

Streik-Gefahr steigt erheblich an

Von Berlusconi darf sich Europa keine Maßnahme erwarten, die dem Euro nützlich ist. Auf die Rentenreform hat er verzichtet, aber nicht auf Maßnahmen, die die sozialen Konflikte extrem anheizen werden. Personal schneller entlassen zu können bringt in der derzeitigen Lage in Italien kein Wirtschaftswachstum, weil der Konsum so noch weiter einbrechen wird. Dem aufgelockerten Kündigungsschutz steht nämlich kein Arbeitslosengeld wie in anderen Ländern des Euro gegenüber. Wer in Italien entlassen wird, steht allein auf der Straße, es gibt allenfalls ein paar hundert Euro für ein paar Monate. Diese Einschnitte werden also nur eine Folge haben: Streiks, soziale Unruhen. Arbeitsminister Maurizio Sacconi warnte bereits vor einer wachsenden Terrorgefahr durch die möglichen Streiks.

Die Taktik der Regierung Berlusconi zeichnet sich deutlich ab: beschönigende Beschlüsse, die Europa noch ein paar Monate ruhigstellen sollen, die aber nicht wirklich die Kassenprobleme lösen und schon gar nicht die stagnierende Industrie ankurbeln. Stattdessen tiefe Schnitte im Sozialen, die zu heftigen Gegenreaktionen der bis heute sehr ruhig gebliebenen Gewerkschaften führen werden. Wenn Italien dann vom Fieber der Streiks und Demonstrationen wie in Griechenland geschüttelt wird, kann Berlusconi sich wieder einmal als Retter des Vaterlandes aufführen, dank seiner Medienmacht mag ihm das auch gelingen.

Es ist dies ein Schreckensszenario für den Euro, aber für Silvio Berlusconi der einzige Weg, die Macht in Berlusconi-County zu behalten. Und, vergessen wir es nicht, den Strafprozessen wegen Zeugenbestechung, Behinderung der Justiz, Anstiftung zur Prostitution Minderjähriger und Steuerhinterziehung zu entgehen, die alle noch auf ihn warten. Berlusconi geht es nicht um die Rettung des Euro, sondern um die der eigenen Haut. Hier geht es darum, einen Mann und seine ganz persönlichen Interessen zu retten. Auch um den Preis des Untergangs aller anderem um ihn herum.

Quelle: ntv.de

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