Energiewende, Haushalt - und Kontinuität Wirtschaft und Anleger wollen mehr
23.09.2013, 17:00 Uhr
Die Wirtschaftsverbände dringen auf rasche Nachbesserungen bei der Energiewende.
(Foto: picture alliance / dpa)
Noch nicht einmal 24 Stunden nach Schließung der Wahllokale formulieren zwei der großen Wirtschaftsverbände ihre Erwartungen an die neue Regierung. Diese möge sich vor allem schnell finden. Denn die Herausforderungen scheinen gewaltig. Aber auch die Anleger melden sich zu Wort.
Nach der Bundestageswahl dringt die deutsche Wirtschaft auf Änderungen bei der Energiewende. "Für fast zwei Drittel der Unternehmen gehört die bezahlbare und sichere Energieversorgung ganz oben auf die To-do-Liste der neuen Regierung", sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Eric Schweitzer, unter Berufung auf eine Umfrage unter mehr als 2000 Firmen. Wichtigste Themen seien ein beschleunigter Netzausbau, ein Ende des "permanenten Strompreisanstiegs" und eine bessere Bund-Länder-Abstimmung beim gemeinsamen Projekt Energiewende.
Ähnlich äußerte sich der Industrieverbandes BDI. Präsident Ulrich Grillo forderte ein neues Konzept zur Umsetzung der Energiewende. Dazu schlug er in den ersten 100 Tagen der neuen Bundesregierung eine Konferenz aller Beteiligten vor, die einen Fahrplan erarbeiten müsse. Ganz wichtig sei eine Radikal-Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
DIHK warnt vor Steuererhöhungen
Darüber hinaus muss die kommende Regierung nach Ansicht des DIHK die Haushaltskonsolidierung fortsetzen. "Finger weg von der Steuerschraube und Fuß auf der Schuldenbremse lassen", sei die klare Botschaft der Unternehmen, sagte er. Die Staatseinnahmen reichten aus, um ohne neue Schulden und ohne Steuererhöhungen wichtige Zukunftsaufgaben zu finanzieren. BDI-Chef Grillo plädierte für eine Investitionsoffensive aus den Mitteln der erwarteten Haushaltsüberschüsse. "Auf jede Steuererhöhung ist zu verzichten", sagte Grillo.
Zudem sieht der DIHK dringenden Handlungsbedarf bei der Verkehrsinfrastruktur. "Der Investitionsstau zur Sanierung der Straßen, Schienenwege und Wasserstraßen des Bundes für die nächsten 15 Jahre beläuft sich inzwischen auf 45 Milliarden Euro - den Bedarf für Aus- und Neubauten noch nicht eingerechnet", sagte Schweitzer.
BDI: Schnelle Regierungsbildung
Angesichts der Fülle von Aufgaben mahnte der BDI eine rasche Regierungsbildung an. "Nun erwarten wir von einer neuen Bundesregierung, dass sie sich mit frischer Tatkraft und großer Motivation zügig an die Arbeit macht", sagte Grillo. Der Wahlkampf habe in vielen Unternehmen für Verunsicherung gesorgt. Damit müsse nun Schluss sein. "Drei Kernthemen müssen umgehend angepackt werden: eine Reform der Energiewende, der Anschub einer Investitionsoffensive sowie die Vertiefung der Währungsunion", forderte der BDI-Präsident.
"Das Industrieland Deutschland, von dem ganz Europa als Stabilitätsanker profitiert, benötigt eine sehr starke und sehr klare Vertretung in der EU", sagte Grillo weiter. Zentral sei die weitere Stabilisierung des Euro und die Stärkung der Währungsunion. Die Wirtschafts- und Währungsunion müsse vertieft werden und die Bankenunion umgesetzt werden.
Sinn: "Kein Geld für Rettung von Investoren übrig"
Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn fordert von der künftigen Bundesregierung eine neue Politik im Kampf gegen die Euro-Schuldenkrise. "Es kommt darauf an, den Weg der Schulden-Sozialisierung nicht weiter zu gehen", sagte der Chef des Münchener Instituts für Wirtschaftsforschung. Es müsse eine tragfähige Basis für Wohlstand geschaffen werden, "die nicht auf der Idee internationaler Transfers beruhe". Dazu müssten angeschlagene Banken rekapitalisiert werden, indem die Gläubiger auf Teile ihrer Forderungen verzichten. "Der Steuerzahler hat kein Geld für die Rettung der Investoren mehr übrig", sagte Sinn. Wegen des Wahlerfolgs der euroskeptischen AfD rechnet er mit einem Kurswechsel von Kanzlerin Angela Merkel: "Die deutsche Europa-Politik wird sich ändern".
Sinn fordert die künftige Regierung zudem dazu auf, ihr Augenmerk auf die Demographie zu richten. "Das ist das größte Problem unseres Landes überhaupt", sagte er. "Deshalb müssen die Anreize, Kinder zu bekommen, verbessert werden. Denn Deutschland habe die niedrigste Zahl von Kindern im Vergleich zur Bevölkerungsgröße unter allen entwickelten Industriestaaten. Familien müssten deshalb stärker gefördert werden - etwa durch eine bessere Betreuung kleiner Kinder in Krippen und Kitas. Damit könnten auch Kinder mit ausländischen Wurzeln besser integriert werden. "Dringend erforderlich ist auch eine Mütterrente", sagte der Ifo-Chef. "Mütter werden benachteiligt, indem sie Kinder großziehen, die anderer Leute Rente bezahlen. Diese ökonomische Wahrheit muss abgebildet werden im Rentensystem."
Der Ökonom rät auch dazu, die "freie Verfügbarkeit der Mittel" der Europäischen Zentralbank (EZB) einzuschränken. "Es kann nicht sein, dass 80 Prozent der Geldmenge des Euro-Raums in sechs Krisenländern geschaffen wurden, die nur für etwa ein Drittel der Wirtschaftsleistung der Währungsunion stehen." Es ergebe keinen Sinn, Länder in eine Sparpolitik zu zwingen, deren Währung eigentlich um 30 Prozent abwerten müsste, um wettbewerbsfähig zu bleiben. "Das führt zu einer unerträglichen Massenarbeitslosigkeit, die zu einer Zerreißprobe für die Gesellschaft wird und das Eurosystem als Ganzes gefährdet."
Merkels "Kontinuität"
An den Märkten setzen die Anleger nun vor allem auf eine Große Koalition aus Union und SPD, auch wenn sich die SPD noch ziert. "Angela Merkels Wiederwahl ist ein Zeichen politischer Stabilität, und die Märkte lieben Stabilität", fasst David Thebault, Chefhändler beim Brokerhaus Global Equities zusammen. "Ein Risiko weniger, um das man sich Sorgen machen muss." Allerdings wäre nach Einschätzung von Börsianern eine Hängepartie bei der Regierungsbildung schlecht für die Märkte.
Insgesamt überwiegt bei den Akteuren an den Finanzmärkten die Erleichterung - weder der Dax noch der Euro zeigten sich sonderlich beeindruckt. Die beiden aus Marktsicht größten Risikoszenarien hätten sich schließlich nicht realisiert, führt Asoka Wöhrmann aus, der die Investmentstrategie der Deutschen Bank-Fondstochter mitverantwortet. Weder müsse mit einer Rot-Rot-Grünen Regierung noch mit größerem Einfluss der Euro-Skeptiker der AfD gerechnet werden. Letztere haben es nicht einmal in den Bundestag geschafft, erstere wollen oder können einfach nicht miteinander.
Merkels Wahlerfolg gebe ihr viel Spielraum, erklärte Thebault. "Hoffentlich sehen wir für Europa eine Verschiebung des Schwerpunkts von Einsparungen zu Konjunkturhilfen. Was wir jetzt brauchen, sind Maßnahmen zur Ankurbelung des Konsums." Dafür stünde nach fast einhelliger Meinung vieler Volkswirte die SPD. Die Sozialdemokraten wollen sich für ihre Entscheidung aber Zeit lassen. Nicht alle sind davon überzeugt, dass es für ihre Partei die beste Option ist.
Quelle: ntv.de, jwu/bad/DJ/rts