Wirtschaft

Krise senkt Hemmschwelle Wirtschaftskriminalität im Aufwind

Hohe Dunkelziffer: Jedes zweite Unternehmen in Deutschland gibt an, in den letzten zwei Jahren Opfer von Wirtschaftskriminalität geworden zu sein.

Hohe Dunkelziffer: Jedes zweite Unternehmen in Deutschland gibt an, in den letzten zwei Jahren Opfer von Wirtschaftskriminalität geworden zu sein.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

In der Krise kämpft jeder für sich. Das führt zu einem Ansteigen der Wirtschaftskriminalität im Ganzen - und ist gefährlich. Gerade für Unternehmen, die ohnehin schon unter Druck stehen.

In der Wirtschaftskrise steigt der Druck auf alle Unternehmensbeteiligten. Die Jobangst geht um, die Abteilungsleiterebene kämpft um gute Zahlen und ihren Stand im Unternehmen, das Top-Management möglicherweise gar um den Fortbestand der Firma. Druck auf allen Ebenen also, der die Hemmschwelle gegenüber kriminellen Handlungen deutlich sinken lässt. Aber auch zwischen den Unternehmen wird der Umgang rauer. Industriespionage, Produktpiraterie und Korruption bei der Auftragsvergabe steigen ebenso an. Gleichzeitig schmelzen Firmen ihre Budgets für eine saubere Unternehmensführung ein.

Einer Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers und der Universität Halle-Wittenberg zufolge beträgt der Schaden für jedes einzelne Unternehmen im Schnitt allein im Jahr 2009 etwa 5,57 Millionen Euro. 61 Prozent der deutschen Großunternehmen wurden in den vergangenen zwei Jahren Opfer von Wirtschaftskriminalität. Dahinter versteckt sich eine hohe Dunkelziffer, insbesondere im Bereich der unternehmensinternen Kriminalität. Doch der größte Schaden entsteht durch Wettbewerbsdelikte und der Geldwäsche. Claudia Nestler von PwC erläutert gegenüber n-tv.de: "Eine entscheidende Rolle kommt der Unternehmensleitung zu. Die Mitarbeiter werden sich an der Führungsebene und deren Werten orientieren."

Groß in den Schlagzeilen war der Fall Heros: Manager des Geldtransporteurs hatten Gelder verspätet abgeliefert, abgezweigt und zum Erhalt des eigenen Unternehmens verwendet.

Groß in den Schlagzeilen war der Fall Heros: Manager des Geldtransporteurs hatten Gelder verspätet abgeliefert, abgezweigt und zum Erhalt des eigenen Unternehmens verwendet.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Direkt betroffen und oft in den Medien sind kriminelle Handlungen von Mitarbeitern. Die Kündigung einer Kassiererin einer großen Supermarktkette zum Beispiel oder die Entlassung einer Altenpflegerin wegen des Verzehrs von Maultaschen. Kleinigkeiten nur, die auf den ersten Blick als Banalitäten erscheinen. Sie können aber für einen Moralverfall sorgen. Die Bandbreite der Taten erstreckt sich vom Klau von Briefmarken, über Büromaterial bis hin zu Beschäftigten, die ihre Arbeitszeit für eigene Geschäfte nutzen. Die Spitze bilden handfeste kriminelle Straftaten wie der Verrat von Unternehmensgeheimnissen, Betrug oder Unterschlagung. Der Schaden, auch von kleineren Delikten, ist immens. 41 Prozent der Verluste gehen 2009 auf das Konto solcher Delikte, die Schadenssumme beläuft sich auf knapp 1,7 Millionen Euro. Auch hier ist die Dunkelziffer hoch.

Fünf Tätergruppen der internen Kriminalität

Die Unternehmensberater und die Hochschule Pforzheim haben in diesem Zusammenhang in einer anderen Studie fünf verschiedene Täterprofile herausgearbeitet. Der egozentrierte Visionär zeichnet sich durch Ehrgeiz, hohes Selbstbewusstsein und Zielstrebigkeit aus. Er setzt sich bewusst über Regeln hinweg um sich Vorteile zu verschaffen und seine Ziele durchzusetzen. Oft sind diese Täter bereits mehrere Jahre im Unternehmen und haben teilweise Führungspositionen inne. Der frustrierte Visionär als zweite Tätergruppe scheitert, obwohl intelligent und gebildet, oft an seinen eigenen hohen Ansprüchen und ist eher ideell und sozial motiviert. Er fühlt sich nicht ausreichend gewürdigt und zu wenig unterstützt. Der narzisstische Visionär hat ein übersteigertes Selbstbild und sucht Bestätigung. Kritik und Niederlagen verkraftet er nur schlecht. Der Abhängige als viertes Tätermodell lebt von sozialen Bindungen und lässt sich leicht fremdbestimmen. Dadurch verletzt er, auf Veranlassung anderer, auch sein eigenes Rechtsbewusstsein. Der Naive schließlich hat einen eher geringen Bildungsgrad und eine einfache Persönlichkeitsstruktur. Er handelt unüberlegt und leichtgläubig.

Interessanterweise ist Geld oft nur ein vordergründiges Motiv. Die wahren Gründe sind eher Misserfolge, Enttäuschungen, fehlende Anerkennung oder Ablehnung. Das diese Gründe zu kriminellen Handlungen führen, liegt auch in der Unternehmensführung. "Wichtig ist die Stärkung des Wertebewusstseins aller Mitarbeiter", sagt Steffen Salvenmoser von PricewaterhouseCoopers. Es kann schon vorbeugend sein, dass Integrität in der Unternehmensphilosophie verankert ist. Sie müssen auch von der Unternehmensspitze gelebt werden. Gleichzeitig müssen Verstöße geahndet werden. Werden Vergehen nicht mit starken Konsequenzen belegt, dann leidet die Glaubwürdigkeit der Führung und die Moral der übrigen Mitarbeiter.

Unterschätzte Risiken

Der andere Aspekt von Wirtschaftskriminalität sind Handlungen gegen Unternehmen von außen. Ein Beispiel ist der Datenskandal bei AWD, wo ein führender Mitarbeiter zigtausende Datensätze von Klienten entwendet hat und versuchte, diese zu verkaufen. So wird das Unternehmen mit interner Hilfe von außen attackiert. Auch sie zählen zu den Fällen, in denen es um Spionage oder andere Wettbewerbsdelikte geht. Diese machen mit 39 Prozent oder 5,8 Millionen Euro einen Löwenanteil der Delikte in 2009 aus.

LKA-Mitarbeiter beim Durchforsten von Bilanzen: Die Ermittlungen sind langwierig und aufwändig.

LKA-Mitarbeiter beim Durchforsten von Bilanzen: Die Ermittlungen sind langwierig und aufwändig.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Ans Licht kam die Tat des AWD-Mitarbeiters, weil die Daten den Medien zugespielt wurden. "Viele Unternehmen unterschätzen ihre wahren Risiken", sagt Salvenmoser. Entgegen der landläufigen Meinung, dass Unternehmen die größte Gefahr von außen droht, zeigt auch dieser Fall, dass die Täter meist in den eigenen Reihen zu finden sind. Dabei sind nicht die Neulinge die Beschäftigten mit dem höchsten Risiko. "Der typische Wirtschaftsstraftäter ist sozial unauffällig, im Durchschnitt um die 40 Jahre alt, überwiegend männlich, überdurchschnittlich gebildet und gehört schon seit vielen Jahren dem Unternehmen an", sagt Salvenmnoser. Der größte Teil der Wirtschaftsstraftäter gehört dem Topmanagement (29 Prozent) oder dem mittleren Management (38 Prozent) an. Die Verlockung ist groß, denn diese Tätergruppen haben am ehesten Zugriff auf relevante Daten oder Informationen.

Eine Mehrheit der Unternehmen erwartet durch die Wirtschaftskrise einen signifikanten Anstieg der Kriminalität. Bereits jetzt wird der Schaden für deutsche Unternehmen auf sechs Milliarden Euro jährlich geschätzt. Die Dunkelziffer dabei ist beachtlich, denn viele der Delikte werden nicht aufgedeckt oder unter den Teppich gekehrt. Firmen können sich nur mit einem Mix aus Kontrolle und Prävention schützen, so Salvenmoser. Wichtig ist, dass Unternehmen überhaupt reagieren. Werden kleinere Delikte wie Unterschlagung oder Entfremdung von Arbeitszeit stillschweigend akzeptiert, dann schlägt sich das auf die Moral aller übrigen Angestellten nieder. Dann können auch großangelegte Compliance-Programme, die auf die Einhaltung von Gesetzen und Verhaltensregeln abgestimmt sind, wenig ändern.

Schäden oft schwer zu beziffern

Gerade Großunternehmen entstehen durch die Wirtschaftskriminalität enorme Schäden. Die beschränken sich nicht nur auf materielle Werte. Imageschäden sind oft weit gefährlicher und in nackten Zahlen kaum auszudrücken. Wie beim Beispiel AWD, wo sich die Einbußen bisher noch nicht ermessen lassen. Vieles lässt sich nicht quantifizieren. Andere Nachteile, wie das Einbüßen von Marktpositionen, sind nur schwer zu beziffern.

Unsicher ist bisher auch, ob die Straftaten durch die Wirtschaftskrise angestiegen sind. "Bei uns kommt das Ausmaß der Wirtschaftskriminalität erst mit Verzögerung an", heißt es bei BKA auf n-tv.de-Nachfrage. Das dauert Monate, manchmal Jahre. Bei PwC sieht man für ein Ansteigen der Kriminalitätsrate deutliche Anzeichen. Neben einer erhöhten Bereitschaft der Angestellten zu strafbaren Handlungen werden auch Kontrollprogramme der Unternehmen durch den Kostendruck eher klein gehalten. Das senkt die Gefahr des Erwischtwerdens. Gerade dann ist eine entscheidende Position der Spitze entscheidend. "Die Unternehmensleitung muss auch deutlich machen, dass Fehlverhalten untersucht und sanktioniert wird, ungeachtet der Position der Person im Unternehmen", erklärt Claudia Nestler. Sonst heißt es am Ende: Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen. Und dass ist noch viel schlimmer für die Moral in der Firma.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen