
Robinhood verdient an Börsen-Transaktionen.
(Foto: REUTERS)
Die wahnsinnige Gamestop-Wette lässt die Kassen von Robinhood klingeln. Im Anschluss sammelt das Startup innerhalb von zwei Tagen bei seinen Investoren 3,4 Milliarden Dollar ein. Möglicherweise ist das aber kein gutes Zeichen, sondern ein Beleg für ein äußerst riskantes Geschäftsmodell.
Die verrückte Gamestop-Achterbahnfahrt hat viele Verlierer, aber auch Sieger hervorgebracht. Keith Gill ist einer von ihnen. Der 34-jährige Familienvater aus Massachusetts, besser bekannt unter seinem Youtube-Namen Roaring Kitty, hat schon vor vielen Monaten 56.000 Dollar auf die schlecht laufende Videospielkette gesetzt und daraus 46 Millionen Dollar gemacht.
Allen Unkenrufen zum Trotz hat auch mindestens ein professioneller Wall-Street-Spekulant an dem wahnsinnigen Plan der Reddit-Armee kräftig verdient: Der New Yorker Hedgefonds Senvest nahm durch das atemraubende Himmelfahrtskommando 700 Millionen Dollar ein. Natürlich zählt auch Robinhood zu den Siegern, das heißgeliebte Trading-Werkzeug der risikofreudigen Kleinanleger. Denn der Neobroker verlangt keine Gebühren von seinen Kunden, sondern verdient sein Geld hauptsächlich mit einem System, das sich Payment For Order Flow nennt.
"Es gibt Market Maker oder Handelsplätze, die Neobroker dafür bezahlen, dass diese ihnen Aufträge zum Kauf oder Verkauf von Aktien vermitteln", erklärt David Rüffer, Referent für Digital Banking and Financial Services beim Digitalverband Bitkom im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". In den meisten Fällen handele es sich um winzige Beträge im Cent-Bereich. Wie so oft in der Digital Economy sei die Masse entscheidend: "Wenn man (täglich) Millionen von Trades abwickelt, kann man auch mit Kleinstbeträgen ordentliche Erträge einfahren."
Mehr Trades, mehr Umsatz
Market Maker halten sich oft im Hintergrund, sind aber dafür verantwortlich, dass der Finanzmarkt reibungslos funktioniert. Sie stellen sicher, dass jeder Käufer immer auch einen Verkäufer findet und umgekehrt. Denn es wäre so gut wie unmöglich, sich ganz alleine auf die Suche zu machen nach jemanden, der genau jetzt die zehn Aktien kaufen möchte, die bei einem selbst gerade auf der Abschussliste stehen. Das klappt sehr viel besser, wenn es einen Mittelsmann gibt, der einfach alle Aktien kauft und dann so lange vorhält, bis ein Käufer Interesse anmeldet.
"Market Maker lassen sich im Grunde ihr Risiko bezahlen", sagt Rüffer. "Es kann sein, dass der Kurs sinkt, bis man einen Käufer für die Aktien findet." In den allermeisten Fällen aber verkaufen sie die Wertpapiere mit einem winzigen Aufschlag im vierstelligen Dezimalbereich weiter und verdienen mit diesem Hochfrequenzhandel ihrerseits Geld.
Broker wie Robinhood nehmen bei diesem Modell mit jeder Transaktion in der Regel etwas weniger als einen Cent ein. Aber die Nachfrage ist groß, bei jedem Kauf oder Verkauf von Aktien, ETF-Fonds oder Optionen konkurrieren gleich mehrere Market Maker miteinander um den Auftrag. Auf seiner Webseite schreibt das Startup, dass jede Order immer an den Mittler geschickt wird, der historisch betrachtet für diese Art von Transaktion die besten Preise bietet. Je mehr Kunden handeln, desto mehr Geld verdient Robinhood.
Der perfekte Sturm
Aus diesem Grund dürfte der Gamestop-Wahnsinn der perfekte Sturm für das Startup gewesen sein. Offizielle Summen kursieren nicht, weil der Neobroker sich nach wie vor in privater Hand seiner Gründer und Investoren befindet, und deshalb nur begrenzt Zahlen veröffentlichen muss. Aber mutmaßlich haben die letzten beiden Januarwochen den Kontostand flutartig anschwellen lassen. Das deuten die Daten an, die verfügbar sind: Im Mai 2020 zählte das Unternehmen 13 Millionen Kunden. In diesem Januar kamen weitere 3,7 Millionen Downloads der App dazu. Mehr als 2 Millionen davon in der letzten Januar-Woche, als plötzlich die ganze Welt über Reddit, Wallstreetbets und Hedgefonds im Sturzflug diskutierte und die Armee der Hobby-Anleger den Kurs der Gamestop-Aktie innerhalb von 24 Stunden mit einem "Short Squeeze" von 72 Euro auf 307 Euro nach oben katapultierte. Fast 180 Millionen Gamestop-Aktien wechselten an diesem Tag den Besitzer, obwohl nur gut 70 Millionen im freien Handel verfügbar sind.
Masse und Kleinstbeträge sind das Brot- und Butter-Geschäft von Robinhood. Der Neobroker will seinem Namen alle Ehre machen und den Finanzmarkt auf diese Weise demokratisieren. Das Geld soll umverteilt werden von reichen Börsenprofis zu unbedarften Kleinanlegern, die häufig nur wenige Hundert Euro oder Dollar investieren können. Diese allerdings anteilig auch in Aktien, die sehr viel teurer sind.
"Das ist eine Marktlücke, die viele Neobroker erkannt und gefüllt haben", sagt Finanzexperte Rüffer von Bitkom. "Mittlerweile kann im Grunde jeder unabhängig vom Wert einer einzelnen Aktie an jedem Unternehmen teilhaben."
Belohnung oder Rettungsanker?
Robinhood will jedem noch so kleinen Anleger immer und überall die kostenlose Teilhabe am Finanzmarkt ermöglichen und schwimmt mit diesem Geschäftsmodell auf einer Erfolgswelle. Auch wenn es Ärger gibt, weil man den Handel mit Gamestop-Aktien zwischenzeitlich aussetzen musste. Aber Klagen und Hunderttausende Ein-Sterne-Bewertungen der Kunden auf Google lassen sich verkraften, wenn man gleichzeitig innerhalb von 48 Stunden 3,4 Milliarden Dollar bei seinen Investoren einsammelt, um das "unglaubliche Wachstum der Plattform" mit dem nötigen Kleingeld unterfüttern zu können, wie Finanzvorstand Jason Warnick mitteilte.
Aber diese Sichtweise könnte trügen. Womöglich handelt es sich bei den Milliarden nicht um einen "Bonus" für hervorragende unternehmerische Leistungen, sondern um einen Rettungsanker. Einen Rettungsanker, um von Regulierern verlangte Sicherheiten für das riskante Geschäftsmodell hinterlegen zu können. Denn Berichten zufolge braucht das Startup weiteres Geld, verhandelt derzeit über Kredite in Höhe von einer Milliarde Dollar. Zusätzlich zu Krediten über 500 Millionen Dollar, die man bereits Ende Januar aufnehmen musste, als der Gamestop-Wahn seinen Höhepunkt erreichte.
"Spürbarer Verzweiflungs-Rabatt"
Einen Beleg dafür gibt es nicht, aber es wird gemunkelt, dass Robinhood eine andere Einnahmequelle gewaltig auf die Füße gefallen sein könnte. Denn das Unternehmen verdient nicht nur mit Payment For Order Flow Geld, sondern auch mit sogenannten Stock Loan. Bei diesen Wertpapierleihen leiht Robinhood seinen finanziell oft unbedarften, aber risikofreudigen Kunden Geld, damit diese noch mehr Aktien kaufen können.
Aber was, wenn plötzlich die gesammelte Kundschaft teilweise auf Pump in hochvolatile Wertpapiere wie Gamestop investiert, deren Kurs nicht nur schnell steigt, sondern auch schnell abstürzt? Dann stünde Robinhood schlimmstenfalls vor einem riesigen Berg offener Aufträge und Kredite, die die junge Kundschaft vielleicht nicht mehr bedienen kann. Und wäre möglicherweise auch bereit, seinen Investoren bei der jüngsten Finanzierungsrunde besonders günstige Konditionen anzubieten. Einen "spürbaren Verzweiflungs-Rabatt", wie es in der Branche heißt.
Die nächste verrückte Wette der Reddit-Armee kommt bestimmt. Für jeden durchgeführten Trade werden Kunden von Robinhood in der App dafür mit einem digitalen Konfettiregen überschüttet. Gut möglich, dass der sich in der Robinhood-Zentrale eher wie eine kalte Dusche anfühlt.
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Quelle: ntv.de