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Nicht nur Handys kommen später So treffen die Huthi-Angriffe die Schifffahrt

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Zahlreiche Produkte kommen später in Deutschland an.

Zahlreiche Produkte kommen später in Deutschland an.

(Foto: IMAGO/ABACAPRESS)

Die Zufahrt durch das Rote Meer zum Suezkanal ist gefährlich, Reedereien sind zu Umwegen gezwungen. Das hat Auswirkungen auf den Welthandel und für Verbraucher in Deutschland.

Der Suezkanal gilt als Tor Europas. Durch ihn transportieren Reedereien einen Großteil der Waren von und nach Asien, normalerweise tausende Tonnen täglich. Doch inzwischen meiden viele den wichtigen Seeweg, nachdem Huthi-Milizen aus dem Jemen dort in den vergangenen Wochen immer wieder Handelsschiffe mit Drohnen und Raketen angriffen.

Die Attacken stehen in direktem Zusammenhang mit dem Krieg im Gaza-Streifen. Huthi-Rebellen solidarisieren sich mit den radikal-islamistischen Hamas-Kämpfern. Anfang Dezember hatten sie angekündigt, alle Schiffe mit dem Ziel Israel anzugreifen, die keine Hilfsgüter nach Gaza liefern. Die Schifffahrt durch das Rote Meer ist inzwischen für alle Containerschiffe gefährlich geworden. Sie fahren deshalb Umwege – und das hat deutliche Auswirkungen auf den Welthandel und für Verbraucher in Deutschland.

Die Angriffe begünstigen "ein globales Lieferkettenproblem, das die schwache Weltwirtschaft derzeit wirklich nicht braucht", so Henning Gloystein vom Beratungsunternehmen Eurasia Group. "Sollten mehrere große Containerschiffe, die derzeit umgeleitet werden, zeitnah Terminlieferungen in Deutschland gehabt haben, könnte das zu kurzfristigen, aber spürbaren Lieferengpässen um die Jahreswende und im Januar führen."

Durch den Suezkanal werden allerlei Güter transportiert: Lebensmittel, Medikamente, Getreide aber auch Kohle, Öl und Flüssiggas. Der alternative Seeweg um das Kap der Guten Hoffnung bei Südafrika dauert rund zwei Wochen länger, weshalb zahlreiche Produkte entsprechend später ankommen. Darunter sind laut der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd elektronische Artikel, Mobiltelefone, Haushaltsgüter, Sportbekleidung inklusive Schuhe, aber auch Solarpanele, Maschinen und Maschinenteile. Man habe die Fahrten durch das Rote Meer vorerst bis zum Jahresende eingestellt, so ein Hapag-Lloyd-Sprecher zu "Capital".

Weiter Umweg

Huthi-Rebellen hatten am vergangenen Freitag das Hapag-Lloyd-Containterschiff "Al Jasrah" beschossen. Als Konsequenz werde man "zunächst ungefähr 25 Schiffe umrouten", so der Unternehmenssprecher. "Der Weg vom östlichen Mittelmeer nach Singapur wird sich von 13 auf 31 Tage erhöhen, von der Ostküste der USA nach Singapur wird er sich von 25 auf 31 Tagen erhöhen."

Die betroffene Region im Roten Meer ist für Schiffe eine enorme Abkürzung von und nach Asien. Dabei handelt es sich um die Zufahrt zum Suezkanal bei Ägypten, eine der weltweit am meisten befahrenen Wasserstraßen. Rund 60 Schiffe durchqueren den Kanal täglich, 12 Prozent des globalen Frachtvolumens und 30 Prozent des Containervolumens werden hier entlang transportiert. Wie wichtig er für den weltweiten Handel ist, unterstrich die Blockade des Kanals im März 2021: Damals steckte das Containerschiff "Ever Given" der Reederei Evergreen tagelang dort fest. Hunderte Schiffe mussten einen Umweg fahren, der weltweite Handel wurde massiv gestört.

Neben Hapag-Lloyd haben auch die weltgrößten Reedereien MSC und Maersk ihre Routen verändert. Der MSC-Frachter "Palatium III" wurde vergangene Woche ebenfalls angegriffen. "Aufgrund dieses Vorfalls und um das Leben und die Sicherheit unserer Seeleute zu schützen, werden MSC-Schiffe den Suezkanal in Richtung Osten und Westen nicht befahren, bis die Passage durch das Rote Meer sicher ist", so MSC. Schiffe werden umgeleitet und fahren stattdessen über das Kap der Guten Hoffnung um Südafrika herum. Maersk zeigte sich "nach wie vor tief besorgt über die Situation im südlichen Roten Meer und im Golf von Aden", schreibt das dänische Unternehmen. "Die betroffenen Kunden werden direkt über weitere Einzelheiten informiert."

Durch die alternativen Routen entstehen den Reedereien zusätzliche Treibstoff-Kosten. Diese Mehrkosten belaufen sich laut Hapag-Lloyd "bis Ende des Jahres auf einen zweistelligen zusätzlichen Millionenbetrag". Bisher zahle die Reederei das selbst. Über die Wiederaufnahme der Route durchs Rote Meer wolle man entscheiden, "sobald die Durchfahrt als sicher für unsere Seeleute, für unsere Schiffe und die Ladung unserer Kunden bewertet wurde", so der Sprecher.

USA plant Schutzmission

Experten rechnen damit, dass in den nächsten Tagen weitere Reedereien den Suezkanal als nicht mehr befahrbar einstufen werden. Doch noch sei die Route durch das Rote Meer für sie nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sagte der Verband Deutscher Reeder (VDV) gegenüber "Capital". "Gerade entscheiden die Reedereien anhand aktueller Lageberichte auf Stundenbasis, ob sie ihr Schiff durch bestimmte Seegebiete schicken oder nicht", sagte Irina Haesler. Sie ist beim VDV zuständig für maritime Sicherheitsfragen und bezeichnete die Situation zuletzt im Interview mit "Capital" als "heikel". Denn die Huthi-Rebellen attackieren vor allem aus der Luft, wogegen sich die Schiffe meist nicht wehren können.

Um die Passage wieder befahrbar zu machen, planen die USA zusammen mit weiteren Ländern nun eine Schutzmission in der Region. Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums beteiligen sich an der "Operation Prosperity Guardian" unter anderem Großbritannien, Bahrain, Kanada, Frankreich, Italien, Norwegen, Spanien sowie die Niederlande und Seychellen. Einige von ihnen sollen mit Patrouillen die neuralgischen Seewege schützen, während andere ihre Nachrichtendienste im südlichen Roten Meer und im Golf von Aden einsetzen.

Der VDV begrüßt diese Pläne. "Das ist ein positives Signal an die Reedereien, dass das Risiko für Seeleute, Schiff und Ladung bei der Passage durch das Rote Meer eingedämmt werden könnte", so Haesler. "Dies wirkt sich dann auch positiv auf das Funktionieren der Lieferketten aus." Maersk wiederum will vorerst an den Alternativrouten festhalten. In der Zwischenzeit werde die Umleitung von Schiffen über das Kap der Guten Hoffnung "zu schnelleren und besser vorhersehbaren Ergebnissen für unsere Kunden und ihre Lieferketten führen", so die Reederei.

Preiserhöhungen bei Gas möglich

Bis zum gestrigen Dienstag mussten laut Maersk rund 20 Schiffe ihre Überfahrten abbrechen. Die Hälfte davon liegt nun östlich des Golfs von Aden, die übrigen südlich von Suez im Roten Meer oder nördlich von Suez im Mittelmeer. Ein Stau habe sich laut Hapag-Lloyd jedoch nicht gebildet. "Es gibt eine Häufung von Schiffen, aber als Stau würde ich es nicht bezeichnen", sagte ein Hapag-Lloyd-Sprecher. Die Schiffe lägen derzeit an sehr unterschiedlichen Positionen im Roten Meer.

Mit Lieferengpässen wie vor zwei Jahren rechnen Expertinnen und Experten ohnehin nicht. Die Lieferketten haben sich in der Zwischenzeit normalisiert, sagt Vincent Stamer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) zu Capital. Außerdem gebe es keine Lockdowns mehr, die die Produktion stören. "Die Verbraucher müssen keine großen Preissprünge bei Waren befürchten", so Stamer auf Nachfrage. Die Transportkosten von Asien nach Europa machen demnach maximal zwei Prozent des Warenwertes aus – und das selbst für die günstigsten Artikel. "Bei teuren Waren wie Elektronikartikeln fallen sie gar nicht ins Gewicht. Eine mäßige Erhöhung der Transportkosten sollte die Inflation also nicht maßgeblich anfachen."

Auch beim Ölpreis geben Experten eher Entwarnung: Große Unternehmen können Verzögerungen durch Lieferungen aus anderen Regionen oder aus Lagerbeständen ausgleichen, so Berater Gloystein von der Eurasia Group. "Daher haben wir bisher auch keine großen Ölpreissprünge gesehen. Sollte es Bilder eines großen Öltankers in Flammen geben, könnte sich das aber ändern." Als erster Ölkonzern hat British Petroleum (BP) bereits am Montag alle Öltransporte durch das Rote Meer gestoppt, mit der Begründung einer "sich verschlechternden Sicherheitslage". BP erklärte, man werde "diese vorsorgliche Pause laufend überprüfen, je nachdem, wie sich die Umstände in der Region entwickeln". Der internationale Referenzpreis für Rohöl der Sorte Brent reagierte darauf allerdings nur mit einem leichten Anstieg von 1,8 Prozent auf 77,95 US-Dollar pro Barrel.

Beim Gas hingegen könnte es durchaus teurer werden. Der britische Referenzpreis schoss zwischenzeitlich um bis zu 14 Prozent in die Höhe, der europäische um fast 13 Prozent. Europa ist auf Flüssiggaslieferungen aus dem Mittleren Osten angewiesen, vor allem aus Katar, das als wichtiger Vermittler in der Region gilt. Gloystein rechnet deswegen nicht unbedingt mit Angriffen auf LNG-Tanker, dennoch sieht er hier das größte Risiko für Europa. Auch wenn die europäischen Gasmärkte gut für den Winter gerüstet seien, könnten unplanmäßige Ausfälle die Preise stark steigen lassen.

Dieser Text erschien zuerst bei capital.de

Quelle: ntv.de

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