Jahrestreffen der Notenbank-Elite Bernanke fährt in die Berge
25.08.2011, 07:00 Uhr
In der Ferne schimmern die Spitzen der Grand Tetons: Jackson Hole hat einiges zu bieten.
(Foto: REUTERS)
Einmal im Jahr verwandelt sich ein abgelegenes Örtchen tief im Herzen der USA zu einem streng bewachten Finanzzentrum: Top-Notenbanker aus aller Welt reisen nach Jackson Hole, um die Risiken ihrer Geldpolitik zu besprechen. Diesmal wartet alles auf die Rede von Ben Bernanke.
Jackson Hole ist eine Kleinstadt, die hübsch und nett in einem idyllischen Tal in den Rocky Mountains liegt. Touristen kommen wegen der Berge, der Aussicht und der frischen Luft. Doch einmal im Jahr ist es mit der Ruhe in dem Erholungsort vorbei. Dann gibt Jackson Hole die Bühne für die ganz großen Namen der Finanzwelt. Der Hauptdarsteller heißt Ben Bernanke und ist Chef der US-Notenbank Federal Reserve.
An diesem Freitag wird Bernanke beim jährlichen Treffen wichtiger Zentralbanker aus aller Welt eine Grundsatzrede halten, bei der es aus Sicht der Finanzmärkte nur um eine Frage geht: Kommt "QE3" oder nicht? Mit anderen Worten: Wirft Bernanke im Kampf gegen den Rückfall in die Rezession abermals die Notenpresse an und überschwemmt die Vereinigten Staaten im Rahmen eines "Quantitative Easing, Teil III" mit zusätzlicher Dollar-Liquidität?
Die Akteure an den Finanzmärkten hoffen darauf, dass "Helikopter Ben" ein drittes Mal zum letzten Mittel greift und mit vollen Händen Dollar regnen lässt, um die lahmende Konjunktur und den Arbeitsmarkt zu beleben. Doch Ökonomen und andere Fed-Beobachter sind zuletzt immer skeptischer geworden: Ist Bernanke wirklich bereit für eine neue Runde "Brot und Spiele" an den Börsen? "Alle Hoffnungen auf diese eine Rede zu setzen, dürfte gefährlich sein", warnt Rob Carnell von der ING Bank. Für Bernanke dürfte es am Ende schlicht eine Kosten-Nutzen-Abwägung sein: Enttäuscht er die Märkte, riskiert er neue Turbulenzen. Gibt er dem Affen, Zucker wird es hingegen an anderen Fronten für ihn ungemütlich.
Heftiger Gegenwind für Bernanke
Die Probleme sind bekannt: Der tatsächliche Nutzen der bisherigen zwei Runden von Anleihekäufen durch die Fed - landläufig unter den Kürzeln "QE" und "QE2" diskutiert - ist mehr als nur umstritten, und das sowohl in- als auch außerhalb der Fed. Von außen bekam Bernanke etwa für die Politik des billigen Geldes heftige Schelte vom republikanischen Gouverneur in Texas, , der unlängst seine Präsidentschaftskandidatur bekannt gab. Und auch in der Fed wächst die Zahl der Kritiker. Zuletzt stimmten gleich drei Mitglieder des geldpolitischen Komitees FOMC gegen Bernankes Kurs - so viele wie seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr.

"Eine nochmalige Erhöhung des Einsatzes könnte die Fed vor eine Zerreißprobe stellen."
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"Eine nochmalige Erhöhung des Einsatzes könnte die Fed vor eine Zerreißprobe stellen", meint Bernd Weidensteiner, US-Geldpolitikexperte der Commerzbank. Letztlich werden aber trotz aller Kritik die beiden Schwergewichte der Notenbank, Bernanke und der mächtige Chef der regionalen Fed of New York, William Dudley, entscheiden, wohin die Reise geht. Sie werden festlegen, ob die Zentralbank abermals Milliarden in die Wirtschaft pumpt oder nicht. Das letzte Anleihenkaufprogramm "QE2" lief bis Ende Juni. Die 600 Mrd. Dollar der Fed halfen der größten Volkswirtschaft der Welt allerdings nicht auf die Beine.
Zahnschmerzen in der US-Wirtschaft
Kritiker von Bernankes Kurs versuchten bereits vor der mit Spannung erwarteten Rede in Jackson Hole die Luft rauszunehmen: " . Es ist nicht sein Job, Geschenke unter die Kopfkissen von Leuten zu legen, die Wünsche haben, die sich nicht so leicht erfüllen lassen", sagte etwa der Chef der regionalen Fed von Dallas, Richard Fischer, dem Fernsehsender "Fox Business".
"Unsere Aufgabe ist es, die Dinge auf lange Sicht in die richtige Richtung zu führen", meinte der Notenbanker. Doch gerade die Entscheidung, welche Richtung die Richtige ist, gilt unter Fachleuten als die große Gretchenfrage in diesen Tagen. Nur eins ist sicher: Eine einfache Antwort gibt es nicht. Viele Experten glauben, dass Bernanke dieses Mal nicht wie 2010 großangelegte Anleihekäufe ankündigt, sondern vielmehr die Optionen, die ihm geblieben sind, auf den Tisch legt.
Eingeklemmt zwischen Zwang und Erwartung
Einen ganz großen, wenn nicht historischen Schritt hat Bernanke bereits vor ein paar Wochen getan. Am 9. August legte sich die mächtigste Notenbank der Welt angesichts der desolaten Lage der Konjunktur und unter dem Eindruck der Börsenturbulenzen darauf fest, den Leitzins noch für mindestens zwei Jahre bei zu lassen. Sie stoppte damit zwar zunächst die Talfahrt an den Börsen, doch die Selbstbindung könnte nach Ansicht vieler Fachleute etwa im Falle einer plötzlich stark anziehenden Teuerung oder anderem Unbill zum Problem werden. In jedem Fall hat sich Bernanke mit diesem unerwarteten Schritt nur etwas Spielraum geschaffen.

Könnte Berge, frische Luft und Ruhe gebrauchen: Als Chefnotenbanker hat Bernanke die USA an weitere zwei Jahre Niedrigzins gebunden.
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Unter den Zuhörern seiner großen Rede in Jackson Hole werden sich neben Top-Notenbankern aus aller Welt auch EZB-Chef Jean-Claude Trichet und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann befinden. Die Gäste aus Europa werden sehr genau hinhören, wie der oberste Währungshüter der USA Lage und Perspektiven beschreibt - und wie sich Bernanke aus den zum Teil selbst geweckten Erwartungen der Finanzmärkte lösen will.
Was bleibt Bernanke übrig?
Im Kampf gegen den Rückfall der Vereinigten Staaten in die Rezession hat die US-Notenbank weniger Optionen als noch vor einigen Jahren. Der Leitzins - in normalen Zeiten die schärfste Waffe einer Zentralbank - liegt bereits seit Ende 2008 bei nahezu null Prozent. Welche geldpolitischen Pfeile hat Ben Bernanke noch im Köcher? Was kann Bernanke noch tun? Welche Instrumente der Fed bleiben übrig?
- Den Einlagenzinssatz senken: Fed-Chef Ben Bernanke könnte den so genannten Einlagezinssatz senken - also jenen Zins kappen, den Banken bekommen, wenn sie überschüssige Liquidität bei der Fed parken. Allerdings sind Spielraum und Nutzen einer solchen Aktion nach Ansicht von Analysten sehr bescheiden: Der Einlagezinssatz liegt bei gerade einmal 0,25 Prozent und damit schon jetzt nur wenige Basispunkte über dem effektiven Marktzins. Eine weitere Absenkung würde die Banken wohl kaum dazu bewegen, Einlagen bei der Fed abzubauen und stattdessen mehr Kredite zu vergeben, um damit die Wirtschaft anzukurbeln. Nach Ansicht von Bernd Weidensteiner, der die Geldpolitik der Fed für die Commerzbank analysiert, könnte Bernanke jedoch zu einem Trick greifen: "Deutlich wirksamer könnte ein negativer Einlagesatz sein." Mit anderen Worten: die Fed könnte von Banken, die bei ihr Geld parken wollen, einen Strafzins verlangen. Eine solche Maßnahme einer Notenbank ist selten, wurde aber in Schweden bereits praktiziert.
- An der Fed-Bilanz arbeiten: Die Fed hat in den vergangenen Krisenjahren viele Wertpapiere - Staatsanleihen, hypothekenbesicherte Anleihen oder andere Papiere - in ihre Bilanz genommen. Sie hat zwar fällig werdende Titel zuletzt immer ersetzt und damit ihre aufgeblähte Bilanz nicht abgebaut - allerdings haben die Notenbanker noch einigen Spielraum, nämlich bei der Auswahl der neuen Anleihen. Statt auslaufende Papiere mit kurzlaufenden anderen Anleihen zu ersetzen, könnte die Fed verstärkt bei Langläufern zuschlagen. Ziel der Übung wäre es, die Zinsen am so genannten "langen Ende", also bei längeren Laufzeiten, noch stärker als bisher zu senken und damit das Zinsniveau in der gesamten Volkswirtschaft noch mehr zu drücken. Der Vorteil für die Fed: die Bilanz würde nicht noch weiter ausgeweitet, sondern nur ihre Struktur verändert. Für die Gegner von Bernankes Politik der geldpolitischen Lockerung ("Quantitative Easing" / QE) könnte dies ein gangbarer Kompromiss sein.
- Die "mengenmäßige Erleichterung", Teil III einleiten: Volle Breitseite, aber auch volles Risiko könnte Bernanke mit einem dritten Kaufprogramm für Staatsanleihen (QE3) gehen. Zwar halten viele Ökonomen die Zeit dafür noch nicht gekommen, doch der Druck seitens der Finanzmärkte auf die Fed ist hoch, in diese Richtung zu gehen. Fakt ist: weitere Anleihekäufe in großem Stil kämen die Fed sehr teuer. "Ein Kaufprogramm, das eine messbare Wirkung entfaltet, sollte wohl mindestens 500 Mrd. Dollar umfassen", meint Commerzbanker Weidensteiner. QE2 war 600 Mrd. Dollar schwer. Das blieb alles in allem aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Nach Daten des Finanzministeriums in Washington haben die USA alleine ein Volumen von rund fünf Billionen Dollar an Staatsanleihen ausstehen, die ab 2014 fällig werden, also noch drei und mehr Jahre laufen.
Bereits am 20. September, wenn die Fed das nächste Mal offiziell über ihren geldpolitischen Kurs entscheidet, bekommt der US-Notenbankchef eine Chance, seinen bisherigen Kurs vorsichtig zu korrigieren. Millan Mulrain vom Broker TD Securities ist sich sicher: "Die Fed wird wachsam bleiben, ob es negative Überraschungen für die US-Wirtschaft gibt - und wird jederzeit bereit sein, dann entsprechend zu handeln."
Quelle: ntv.de, rts