China und Indien Wie gehts weiter?
30.06.2008, 14:41 UhrVon Mark Monson, Fondsmanager bei Raiffeisen Capital Management
Nachdem sie jahrzehntelang nur eine untergeordnete Rolle spielten, gelten China und Indien seit einigen Jahren als die neuen Wachstumslokomotiven nicht nur Asiens, sondern potentiell der gesamten Weltwirtschaft. Beide Länder haben in den vergangenen Jahren mit vielfältigen Reformen und hohem Wirtschaftswachstum eine steigende Zahl von Investoren angezogen. Gemessen an den jeweils populärsten Indices haben sich die Aktienkurse von 2003 bis Ende 2007 rund vervierfacht (China) bzw. beinahe versechsfacht (Indien). Allerdings sind beide Märkte in den vergangenen Monaten teilweise dramatisch von ihren Höchstständen zurückgefallen. Nach neuen Allzeithochs noch zu Beginn des Jahres notiert die indische Börse aktuell rund 36% tiefer, der Index in Shanghai hat sich in den letzten 8 Monaten nahezu halbiert. Von Abkoppelung oder „sicherem Hafen“ konnte für Anleger also ganz und gar keine Rede sein.
Lohnt sich jetzt vielleicht wieder der Einstieg?
Prinzipiell widerspiegeln die herben Kursverluste in beiden Fällen nicht die reale Entwicklung der Volkswirtschaften oder der Unternehmen, sondern sie sind in erster Linie Ausdruck einer Korrektur von vormals stark überzogenen Gewinn- und Wachstumserwartungen. Neben den nach wie vor großen Ertragschancen ist eine Reihe von Risikofaktoren verstärkt ins Blickfeld der Investoren gerückt.
Beide Länder kämpfen vor allem mit hohen Teuerungsraten von 7-8% – und das trotz teilweise massiver staatlicher Preisregulierungen und Subventionen.
Indien: politische und wirtschaftliche Belastungen, kaum positive Impulse
In Indien steht spätestens im kommenden Frühjahr die Neuwahl des Parlamentes an. Der Regierung in Delhi droht nichts weniger als die Abwahl, sollte sie die Preissteigerungen nicht in den Griff bekommen. Große Teile vor allem der ländlichen Bevölkerung haben bisher nur sehr wenig vom Aufschwung profitiert, werden aber dafür umso härter von den explodierenden Nahrungsmittel- und Energiepreisen getroffen. Die staatlichen Subventionen lassen sich angesichts rasant steigender Ölpreise und ohnehin schon hoher Defizite im Staatshaushalt jedoch kaum noch aufrechterhalten. Damit geraten tendenziell auch die Gewinnmargen vieler Unternehmen stark unter Druck. Profitieren können hingegen exportorientierte Sektoren wie die IT-Branche, denen die Abwertung der Landeswährung zugute kommt. Die ungeklärten globalen Auswirkungen einer längeren Rezession in den USA trüben zusätzlich den Ausblick, auch wenn Indiens direkte Handelsbeziehungen zu den USA nur einen sehr kleinen Anteil der gesamten Wirtschaftsleistung darstellen. Raiffeisen Capital Management hält daher insgesamt an seiner sehr vorsichtigen Positionierung fest. Indien bleibt in den entsprechenden Fonds stark untergewichtet, zumal der Markt keinesfalls billig ist. Es sind derzeit kaum Impulse zu erkennen, die ihn nachhaltig beflügeln könnten.
China: im Spagat zwischen Wachstumsförderung und Inflationsbekämpfung
Ähnlich wie Indien kämpft auch China vor allem mit hohen Preissteigerungen. Die Regierung steht vor dem überaus schwierigen Spagat, einerseits das Wirtschaftswachstum fördern zu müssen, um ausreichend neue Arbeitsplätze zu schaffen und andererseits gleichzeitig dämpfend auf Kreditvergabe, Immobilienmarkt und internationale Kapitalzuflüsse einzuwirken, um den inflationären Druck zu verringern. Die Inflationsbekämpfung hat für die chinesische Regierung dabei absolute Priorität, denn anhaltend hohe Preissteigerungen bedrohen die Existenz von hunderten Millionen Chinesen und könnten unter anderem zu gewaltigen sozialen Unruhen führen.
Eine kontinuierliche Verschärfung der Geldpolitik durch die Notenbank hat das Wachstum bislang allerdings kaum drosseln können und angesichts weltweit rasant steigender Rohstoffpreise nur eine geringe Wirkung auf die Preissteigerungen entfaltet. Daher greift die Regierung zusätzlich zu Subventionen und verstärkt zu Preiskontrollen.
Große Unwägbarkeiten für Anleger und Investoren
Das führt unter anderem dazu, dass sowohl staatlich kontrollierten als auch privaten Unternehmen in einer ganzen Reihe von Sektoren und Regionen Preisanhebungen kurzerhand untersagt wurden oder werden. Diese wiederum sind im Zuge dessen mit unerwarteten Margenverschlechterungen konfrontiert, da ihre Kosten, vor allem für Rohstoffe, zwar rasant steigen, sie diese aber nicht weitergeben können. Unternehmen, die beispielsweise in der Stahlherstellung, Kohleförderung oder Zementproduktion tätig sind und die bisher exzellentes Gewinnwachstum aufwiesen, drohen damit jederzeit massive und im Voraus nicht kalkulierbare Eingriffe. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass keine Branche oder Region davor gefeit ist.
Für Investoren und Anleger ist dies eine denkbar ungünstige Situation, da sich faktisch von einem Moment auf den anderen die Kalkulationsgrundlagen gravierend verändern können und damit Umsatz- und Gewinnschätzungen zur Makulatur werden. Zugleich genügt angesichts nach wie vor vielfach sehr hoher Wachstumserwartungen bereits eine relativ geringfügige Zurücknahme von Wachstumsprognosen, um die Aktien eines Unternehmens kräftig fallen zu lassen.
Vor diesem Hintergrund lässt sich augenblicklich kaum eine Branche vorbehaltlos empfehlen. Selbst den Banken drohen bei weiteren Notenbankmaßnahmen empfindliche Gewinneinbußen.
Angesichts dessen ist es ratsam, für größere Neuengagements zunächst die Olympischen Spiele abzuwarten, da es danach größere Klarheit über den künftigen wirtschaftlichen Kurs der chinesischen Regierung geben wird und bis dahin möglicherweise auch die Inflationsraten ihren Zenit überschritten haben werden.
Langfristig bleiben sowohl China als auch Indien für Investoren und Anleger überaus attraktiv. Ideal für dieses Umfeld sind Sparpläne, bei denen in regelmäßigen Abständen feste Beträge investiert werden. Schwächephasen, wie die gegenwärtige, lassen sich durch den Cost-Averaging-Effekt damit sogar ausnutzen.
Quelle: ntv.de