Inside Wall Street Börse ignoriert Bin Ladens Tod
03.05.2011, 06:46 UhrDie Euphorie am Markt angesichts des Todes von Osama bin Laden legt sich schnell. Im Verlauf bröckeln die Kurse wieder. Und das ist durchaus nachvollziehbar.
Barack Obama war sichtlich bester Laune als er Amerika von dem erfolgreichen Angriff auf Al-Kaida-Führer Osama bin Laden berichtete. In New York gingen tausende noch in der Nacht auf die Straßen, am Morgen herrschte rund um Ground Zero Feierstimmung. Auch ein paar Meter weiter, an der Wall Street, war gute Laune angesagt – nur den Kursen sah man das nicht an.
Im Gegenteil: Nach einem Wochenstart mit bescheidenen Gewinnen verloren die amerikanischen Indizes am Ende ein paar Punkte – ausgerechnet am Jubel-Tag. Das hatte durchaus einige Gründe.
Zunächst hatten Trader schon am frühen Morgen wenig Hoffnung, dass sich der Schlag gegen Osama bin Laden positiv auf die Märkte auswirken könnte. Denn Terrorismus spielt an der Wall Street seit Jahren keine Rolle mehr. Vielmehr sorgt man sich um das hohe Defizit in Washington, den Haushalt, die Notenbank, den Dollar… Bin Laden war einmal Angst und Schrecken der Anleger, doch seit Jahren war er mehr zu einer Anekdote verkommen, stand sinnbildlich für den Schrecken des 11. September – aber eben nicht für mehr.
Hinzu kommt: Mit Osama bin Laden ist der Terror nicht automatisch zu Ende. Al-Kaida ist ein starkes und weit verzweigtes Terror-Netzwerk, gegen das die um Längen besser ausgerüsteten Amerikaner seit Jahren mit wechselndem Erfolg antreten. Bin Laden ist nicht der einzige Führer, viele hielten ihn in den letzten Jahren nicht einmal für den wichtigsten. Im Gegenteil: Dass er sich verstecken musste und so gut wie keinen Kontakt zur Außenwelt hatte, hatte ihn in den Augen vieler Insider zu einer wenig effektiven Randfigur werden lassen.
Wie geht es weiter?
Nun stellt sich die Frage, wie es für Al-Kaida weitergeht. Die Angst vor der Hydra geht um: Schlägt man einen Kopf ab wachsen zwei neue nach. Experten warnen auch vor potenziellen Vergeltungsschlägen, mit denen Terroristen Bin Laden rächen wollen.
Angesichts dessen ist klar, warum etwa die Blue Chips lediglich am Montagmorgen etwas von der Nachricht profitieren konnten – es handelte sich um einen emotionalen Moment, einen kleinen Uptick aus guter Laune heraus. Diese verflog auf dem Parkett alsbald, denn hier arbeiten viele, die sich im Laufe des Tages an den grauenhaften Tag erinnerten, an dem entführte Flugzeuge ein paar Meter entfernt die Zwillingstürme in Schutt und Asche gelegt und fast 3000 Menschen getötet hatten. Statt dumpf "USA-USA" zu rufen, war man an der Wall Street eher besonnen.
Vielleicht auch, weil die politischen Folgen unklar sind. Der erfolgreiche Schlag von Militär und Geheimdiensten stärkt zunächst die Position von Präsident Barack Obama. Den loben nun sogar die Republikaner für seinen Mut, einen tödlichen Einsatz zu planen und auszuführen. Die Wall Street kann sich im Moment nur anschließen – missmutig, allerdings, denn Obama wollte man nächstes Jahr eigentlich loswerden. Als Sozialist verschrien, der an Steuererhöhungen denkt, die Wall Street regulieren will und eine umstrittene Gesundheitsreform durchgesetzt hatte, war Obama für den Markt zuletzt ein größeres Problem als Osama.
So trat am Montag ein, was Insider schon in den frühen Stunden prophezeit hatten: Der Markt machte einen kleinen euphorischen Sprung, verkroch sich dann aber. Langfristige Punktgewinne werden sich aus dem Tod von Osama nicht mitnehmen lassen, weder bei Aktien noch bei Rohstoffen. Selbst der Ölpreis gab ja zum Wochenende kaum nach. Der Grund auch hier: Es war seit Jahren nicht die Terror-Angst, die hinter den steigenden Preisen stand. Andere Probleme hatten Osama bin Laden verdrängt. Hätte man ihn vor fünf Jahren erwischt, hätten die Märkte durchgestartet – anno 2011 ist es für eine Rallye zu spät.
Quelle: ntv.de