Kolumnen

Inside Wall Street Der Fluch der Job-Daten

Arbeitssuchende in New York.

Arbeitssuchende in New York.

(Foto: REUTERS)

Alle vier Wochen werden in den USA die aktuellen Arbeitsmarktdaten veröffentlicht. Sie stoßen auf gewaltiges Medieninteresse. Doch das hat nicht nur Vorteile.

Die Stimmung an der Börse ist ja schwer vorherzusagen … manchmal fällt es etwas leichter. Für den Mittwoch waren seit langer Zeit beste Stimmung und Feuerwerk angesagt, denn es ist der 4. Juli, der US-amerikanische Unabhängigkeitstag. Die Wall Street hat geschlossen, die Patrioten feiern – bis zum Wochenschluss die Stimmung wieder kippt. Am Freitag wird es ernst, da gibt es die neuesten Zahlen zum Arbeitsmarkt.

Unter einer fast unüberschaubaren Flut täglicher Konjunkturdaten ist der Arbeitsmarkt auf jeden Fall der wichtigste Datensatz. Die USA leiden seit Jahren unter einer Arbeitslosigkeit von über 8 Prozent – in der Spitze waren es einmal rund 10 Prozent. Die Wirtschaft schwächelt, keiner kauft, Arbeitgeber stellen nicht ein – es ist ein Teufelskreis: denn wenn Arbeitgeber nicht einstellen, bleibt der Verbraucher schwach, verdient ja nichts, kann nichts einkaufen, keine Dienstleistungen beanspruchen. Schwache Produktnachfrage führt zu weiteren Entlassungen …

Republikaner verhindern Konjunkturprogramme

Was tun? Die USA wissen weiß keinen Rat. Sicher, es gäbe eine einfache Lösung: Die Regierung könnte massive Konjunkturhilfen in Form von Investitionen geben. Etwa massiv in Infrastrukturmaßnahmen investieren, die in den USA dringend notwendig sind und die auf einen Schlag hunderttausende Jobs schaffen könnten - im Straßenbau, im Hochbau, im Telekommunikationssektor, bei Energieunternehmen. Finanzieren könnte man das ganze zur Zeit so günstig wie nie, immerhin gibt es Geld ja umsonst. Niedrigere Zinsen als die aktuellen rund null Prozent bei der Notenbank wird es nie mehr geben.

Trotzdem ist mit massiven Konjunkturprogrammen nicht zu rechnen. Die Republikaner sträuben sich dagegen, zwingen Präsident Barack Obama auf einen sturen Sparkurs, an dem eine Konjunktur nicht gesunden kann. Witzig: Mitten in der Eurokrise haben US-Beobachter den Krisenländern auf dem alten Kontinent immer wieder erklärt, dass sie sich nicht gesundsparen können – im eigenen Land sieht man das anders, da sollen Steuersenkungen für die Reichen das Trickle-Down-Phantom herbeiführen.

Bizarres Ritual

Unterdessen, zumal das Land in einem Wahlkampf steht, der vom Thema Wirtschaft dominiert und möglicherweise entschieden wird, achtet man täglich auf jedes Zittern der Wall Street. Auch auf Konjunkturdaten, die früher nur erfahrenen Volkswirten und Analysten wichtig waren, die aber heute Schlagzeilen bis hinab in den Boulevard machen. Immer am ersten Freitag des Monats spielt sich vor dem Arbeitsministerium in Washington ein bizarres Ritual ab: ausgewählten Reportern werden die Handys abgenommen, sie dürfen in einem abgeschlossenen Raum den Arbeitsmarktbericht durchsehen, ihre Reports vorbereiten. Punkt acht Uhr dürfen sie vor die Kamera und die Welt erleuchten: "Die USA haben im vergangenen Monat soundsoviele neue Stellen geschaffen…" – dann geht an der Wall Street die Post ab.

Dabei ist durchaus zu fragen, ob die Datengeilheit der Massen nicht an sich für die Erholung einer schwachen Konjunktur gefährlich ist. Mittlerweile weiß jedes Kind, dass die USA jeden Monat deutlich mehr als 100.000 neue Jobs kreieren müssen, um allein mit dem Bevölkerungszuwachs mithalten zu können. Liegt die Zahl unter diesem Wert, bricht Panik aus – zu Unrecht. Denn zum einen unterliegen die Zahlen zum Arbeitsmarkt in den USA einer großzügigen Schwankung von plus/minus 10 Prozent, zum anderen sind sie auch darüber hinaus notorisch ungenau und werden ständig revidiert. Hinzu kommt, dass die Zahlen grundsätzlich nur einen sehr begrenzten Blick auf den Arbeitsmarkt ermöglichen. Sie schließen aus, wer sich nicht mehr aktiv um Arbeit kümmert. Sie unterscheiden auf den ersten Blick nicht zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst.

Und viel schlimmer: Die Zahlen lösen eine Stimmung aus, die den jeweiligen Trend verstärkt. Wenn Arbeitgeber von schwachen Stellenzuwächsen hören, schieben sie eigene, geplante Neueinstellungen auf. Man hat Angst, dass die Wirtschaft nicht so stark ist wie erwartet. Man sieht, dass die Konkurrenz nicht einstellte. Wozu also den ersten Schritt machen? Wozu unternehmerisches Risiko eingehen?

Der so flüchtige wie strenge Blick auf die monatlichen Arbeitsmarktdaten – und auf viele andere Datensätze – liefert Anleger einer kurzfristigen Schwankung aus und versperrt den Blich auf die Zukunft, macht langfristig kluges Handeln schwer. Die Konjunkturdaten mögen der Wall Street mal gefallen und mal nicht – ihre Veröffentlichung ist definitiv nicht im besten Interesse des Marktes.

Quelle: ntv.de

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