Inside Wall Street Die Crux der Öl-Märkte
11.05.2011, 06:00 Uhr
Nichts für Menschen mit schwachen Nerven oder hohem Blutdruck: Rohstoffhändler bewegen Milliarden.
(Foto: REUTERS)
Der heftige Kursrutsch an den Rohstoffmärkten beschert Großinvestoren milliardenschwere Verluste. Händeringend suchen die Profis nach Erklärungen. Schnell kommt Verdacht auf: Bezahlen glücklose Anleger von heute für die begeisterte Deregulierung von gestern?

Im Oil-Future-Pit der New York Mercantile Exchange in New York: Wenn der Markt kippt, verlieren viele Menschen sehr viel Geld.
(Foto: REUTERS)
Die dramatischen Schwankungen an den Rohstoffmärkten halten seit einer Woche Anleger in Atem und kosten Spekulanten viele Millionen Dollar. Satte 400 Mio. verbrannte etwa der Rohstoff-Hedgefonds Clive Capital an nur vier Tagen… Man fragt sich, wie Rohstoffe so volatil werden konnten. Schuld ist nicht nur die Nachrichtenlage, sondern die Deregulierung der Märkte in den letzten Jahren.
Der Hauptauslöser für die jüngsten Kursschwankungen ist schwer auszumachen. Selten gab es binnen weniger Tage einen so dramatischen Nachrichtenstrom wie in den letzten Tagen. Da war zunächst der erfolgreiche Schlag gegen Osama Bin Laden, es folgten bearische Kommentare einflussreicher Investoren, immer wieder gab es schwache Konjunkturdaten und steigende Öl-Lagerbestände - all das hat die Preise für Öl und andere Commodities bewegt.
Als wichtigstes Einzelereignis mag wohl die Nachricht vom Tod Osama bin Ladens eingeschlagen haben. Obwohl der Einfluss des Terrorfürsten auf sein Netzwerk in den letzten Jahren gering gewesen sein dürfte, sinkt für zahlreiche Experten das Terror-Risiko. Damit fällt eine gewisse Angst-Prämie weg, die den Ölpreis in den letzten zehn Jahren hatte steigen lassen. Fragwürdig ist wohlgemerkt, ob die gute Nachricht aus Pakistan nicht längst durch die instabile Lage in anderen Ländern des Mittleren Ostens ausgeglichen wurde.
Wer beeinflusst den Kurs?
Der Blick geht damit zu anderen Personen, die in den letzten Tagen die Rohstoffpreise bewegten. Allen voran steht George Soros, dessen milliardenschwerer Fond gerade massiv Silber verkauft hat. Grundsätzlich scheint die Investmentlegende Rohstoffe zur Zeit nicht attraktiv zu finden, und mit dieser Meinung steht er nicht alleine: Nouriel Roubini hat gerade zum ersten Mal seit Jahren empfohlen, Rohstoffe im Portfolio etwas zurückzufahren. Und die Experten von Goldman Sachs, die seit Jahren bullish auf Öl gesetzt haben, warnten binnen weniger Tage zweimal vor einer Korrektur, die Öl mindestens 20 Dollar kosten könnte - letztlich lag man damit ziemlich gut.
Zur Meinung der Experten gibt es einige Daten, die Anleger zuletzt ins Schwitzen gebracht haben. Die steigende Arbeitslosigkeit, die schwachen Einkommen… Vieles in der amerikanischen Konjunktur deutet darauf hin, dass die Wirtschaft nicht so deutlich wächst wie ursprünglich angenommen. Zudem steht fest, dass die Notenbank im nächsten Monat ihr QE2-Programm auslaufen lässt, mit dem man zuletzt die Wirtschaft unterstützt hatte. Viele rechnen derzeit mit einem nur gemächlich wachsenden BIP, und das brächte eine sinkende Öl-Nachfrage mit sich.
Wie konnte das passieren?
All das zusammen hat Verkäufe ausgelöst. Da jedoch auch der Rohstoffhandel, wie die Aktienbörsen, längst von Computerprogrammen und Hochfrequenz-Servern dominiert wird, könnten diese Verkäufe mit einem gewissen Automatismus explodiert sein. Erste Großverkäufe haben etwa den Ölpreis unter einen Wert gedrückt, den viele Anleger als Verkaufskurs festgelegt hatten - ein Blitz-Crash war die logische Folge.
Doch abgesehen von Nachrichten und dem Computerhandel leiden die Rohstoffmärkte seit langer Zeit unter einem ganz anderen Problem: Die Deregulierung der Märkte fordert ihren Tribut. Sie wurde während der Regierungszeit von George Bush Senior begonnen und unter Bill Clinton und Bush, dem Zweiten fortgeführt.
Wer trägt die Schuld?
Vor allem in den Neunzigerjahren und bis 2000 hat die Commodity Futures Trading Commission (CFTC), die Aufsichtsbehörde für den Rohstoffhandel, die Handelsbeschränkungen drastisch gelockert. Die größte Neuerung gegenüber jahrzehntealten Regeln: Der Rohstoffhandel wurde für alle Marktteilnehmer geöffnet und war nicht mehr für jene reserviert, die an bestimmten Produkten ein direktes Interesse hatten und den jeweiligen Rohstoff bei Auslaufen des Kontraktes empfangen konnten.
Das heißt: Auf Öl spekulierten nicht mehr nur Öl-Lieferanten, sondern Investmentbanken, Hedgefonds und die Rentenversicherer. Zig Milliarden Dollar flossen in die Märkte und trieben die Preise nach oben, der Handel wurde volatiler als je zuvor in der Geschichte. Mit zunehmender Spekulation verloren fundamentale Marktdaten an Bedeutung - ein Phänomen, das sich heute fast wöchentlich belegen lässt: Die Lagerbestände bewegen die Märkte etwa längst nicht mehr so direkt wie einst, denn andere Faktoren haben den wöchentlichen Blick auf die Pegel ausgestochen.
Die Deregulierung der Rohstoffmärkte, hinter der vor allem republikanische Abgeordnete und Alan Greenspan standen, hat der US-Wirtschaft nur für kurze Zeit eine gewisse Freiheit gegeben. Für das vermeintliche Potenzial der letzten Jahre zahlt man heute teuer.
Quelle: ntv.de