Kolumnen

Per Saldo - Die Wirtschaftskolumne Die Technokraten kommen

Im Kampf gegen die erbarmungslosen Finanzmärkte werden schwere Geschütze aufgefahren. Da selbst ein gehebelter Rettungsschirm kläglich versagt, gibt es nur noch eine Rettung. Unfähige Politiker weichen zerknirscht zur Seite. An ihre Stelle treten die Leute, die wirklich Ahnung haben.

Wer könnte diesem Charme widerstehen?

Wer könnte diesem Charme widerstehen?

Um die Eurozone ist es – vorsichtig ausgedrückt – nicht sonderlich gut bestellt. Genau genommen brennt es lichterloh. Da bisher alle Rettungsversuche glorreich scheiterten, werden die ganz harten Kerle um Hilfe gerufen: die Technokraten.

In Italien und Griechenland wird die Regierung von der Schuldenkrise fortgespült und durch Experten ersetzt. In der Eurozone wird applaudiert. Denn den Technokraten wird zugetraut, was den gescheiterten Premiers Berlusconi und Papandreou gründlich misslang: Ihr Land aus der existenziellen Krise zu führen und den Finanzmärkten die Stirn zu bieten.

Gekonnt statt gewählt

Jetzt kommen die Macher. Es wird nicht geredet, sondern gehandelt. Der neue Ministerpräsident Italiens bringt die herrschende Stimmung auf den Punkt: Das Fehlen von Politikern im Kabinett werde "hilfreich" sein, sagt Mario Monti - seines Zeichens promovierter Ökonom und ehemaliger EU-Kommissar.

Nun werden die Laptops aufgeklappt, die Krawatten gelockert und der Flipchart aufgestellt. Die Jungs sind zwar nicht gewählt, aber Schwamm drüber. Die können mit Zahlenkolonnen umgehen. Die Finanzmärkte geraten vor Freude garantiert aus dem Häuschen. Das sind Fachleute, heißt es begeistert. Die seien unglaublich gut. "Die haben einen unfassbaren track record", raunt es anerkennend.

"Es ist so, als ob die Mannschaft vom Raumschiff Enterprise beschlossen hat, Captain Jean-Luc Picard sei dem Job nicht mehr gewachsen und es sei an der Zeit, die Borg zu rufen", schreibt die "Financial Times". Effiziente Rechenmaschinen, die unpopuläre Maßnahmen mit dem Schlachtruf "Widerstand ist zwecklos" vorantreiben, sollen also die Eurozone retten.

Zeitfaktor Demokratie

So weit ist es schon gekommen. In Zeiten der Krise werden gewählte Regierungen durch sogenannte Experten ersetzt. Wie wäre es mit sofortigen Neuwahlen? Zeitverschwendung, die wir uns angesichts der Herkulesaufgaben nicht leisten können.

Demokratie gilt nunmehr als Problem und nicht als Lösung. Die Bevölkerung gilt als zu dumm, den Ernst der Lage zu begreifen. Bockig stemmt sie sich uneinsichtig gegen die harten, aber unvermeidlichen Maßnahmen. Es ist fürchterlich anstrengend, diese Ignoranten und Halbidioten zu überzeugen. Und es kostet Zeit. Zeit, die wir nicht haben.

Wer so argumentiert, für den ist China angesichts neiderregender Wachstumsraten ein leuchtendes Vorbild. Da wissen die Herrschenden augenscheinlich, was gut fürs Allgemeinwohl ist. Beneidenswerterweise dürfen sie das Gerede von Kleingeistern und Bedenkenträgern geflissentlich ignorieren, während sie das große Ganze fest im Blick haben, Chinas Fortschritt unermüdlich vorantreiben und den Ruhm der Volksrepublik mehren.

Wer von Technokraten regiert werden will, sollte die Demokratie gleich ganz abschaffen. Das wäre der Triumph der Effizienz. Politik ist die Kunst des Machbaren? Papperlapapp, Ernst & Young und Standard & Poor’s an die Macht! Die beweisen jeden Tag, zu welchen Höchstleistungen sie fähig sind! Die Finanzmärkte werden es uns danken.

Quelle: ntv.de

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