Inside Wall Street Gewinn top, Umsatz flop
28.07.2010, 15:01 UhrDie Berichtssaison läuft auf Hochtouren. Viele Unternehmen präsentieren kräftige Gewinnsteigerungen - doch der Umsatz steigt kaum oder fällt sogar. Das mag Aktionäre zufriedenstellen, doch es schadet der Wirtschaft.

Beim legendären Motorradbauer HArley brummt das Geschäft. Auch Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin steht auf Harleys.
(Foto: REUTERS)
Drei Buchstaben E, P und S waren einmal das A und O der Wall Street. Zusammen bilden sie die Abkürzung für "Earnings per Share" und beziffern Quartal für Quartal den Gewinn, den ein Unternehmen pro Aktie abwirft. Dieser Gewinn pro Aktie ist wichtig zur Berechnung des KGV, des Kurs-Gewinn-Verhältnisses, und entschied damit letztlich die einzig wichtige Frage aller Anleger: kaufen oder verkaufen?
Doch die Zeiten haben sich geändert. In der laufenden Ertragssaison, in der täglich hunderte von Unternehmen, darunter globale Konzerne und innovative Klitschen, ihre Bücher öffnen, geht es nicht mehr in erster Linie um den Gewinn – sondern um den Umsatz. Denn der lässt viel ehrlicher auf die Lage im Unternehmen und in der gesamten Wirtschaft schließen.
Fallender Umsatz, steigender Gewinn
Beispiel Harley-Davidson: Der legendäre Motorradbauer aus Milwaukee, Wisconsin, hatte es zuletzt nicht leicht. Die Motorrad-Verkäufe sind seit gut drei Jahren rückläufig, eine Trendwende zeichnet sich für Insider nicht ab. Trotzdem überraschte das Management jüngst mit einem bombastischen Quartalsergebnis: In der Bilanz stand ein Gewinn von 71 Mio. US-Dollar – dreimal so viel wie im Vorjahresquartal.
Fallender Umsatz und steigender Gewinn, das geht nur mit Hilfe deutlicher Kostensenkungen. Harley-Davidson hat in den letzten Monaten 2000 Mitarbeiter entlassen, weitere 1400 bis 1600 Stellen sollen noch bis Ende des Jahres abgebaut werden. Damit verlieren ein Fünftel der Arbeiter und Angestellten ihren Job. Die übrigen müssen sich auf Kürzungen und Überstunden gefasst machen. Das Management nutzt die hohe Arbeitslosigkeit in den USA und die Angst der Angestellten aus, um ihre Forderungen durchzusetzen. Im Hauptwerk in Milwaukee hat man zuletzt damit gedroht, Arbeit in andere Teile der USA zu verlagern, wenn die Gewerkschaften nicht radikalen Einschnitten zustimmen würden.
Nun sind Kostensenkungen und steigende Produktivität nicht grundsätzlich negativ zu sehen. Im Gegenteil: Höhere Produktivität – einfache Maschinen, die menschliche Arbeitskraft ersetzen ebenso wie moderne Technologien – haben Amerika im letzten Jahrhundert zur stärksten Wirtschaftsmacht der Welt werden lassen. Damals investierten die Unternehmen allerdings höhere Gewinne direkt in ihren Betrieb oder neue Projekte, während heute einfach gespart wird.
Aktionäre profitieren
"Solange die Firmen ihre Gewinne investieren, wächst die Wirtschaft", fasst Ethan Harris von Bank of America Merrill Lynch zusammen. "Wenn die Gewinne allerdings gespart werden und nicht etwa in die Anschaffung neuer Anlagen gehen, dann schadet das dem Wirtschaftswachstum."
In anderen Worten: Künstlich hohe Gewinne polieren das Geschäftsergebnis auf und nutzen damit den Aktionären, sie schaden allerdings den Arbeitern und der Wirtschaft.
Harley-Davidson ist übrigens nicht das einzige Unternehmen, das in den letzten Wochen mit fallenden Umsätzen und steigenden Gewinnen Schlagzeilen machte. Bei Dow-Jones-Riesen wie General Electric und J.P. Morgan sieht es genau so aus, auch beim Spielzeugriesen Hasbro und unzähligen anderen Firmen im S&P-500-Index. Bisher hat ein Drittel der Unternehmen aus diesem marktbreiten Index Zahlen zum zweiten Quartal 2010 gemeldet, und die Bilanz spricht eine deutliche Sprache: Bei einem Umsatzwachstum von durchschnittlich 6,9 Prozent stiegen die Gewinne im Mittel um dicke 42,3 Prozent.
Der S&P-500-Index hat seit Beginn der Ertragssaison um mehr als 7 Prozent zugelegt. Angesichts der schwachen Umsatzentwicklung, der Kostensenkungen in allen Branchen und nicht zuletzt der steigenden Arbeitslosigkeit ist jedoch fraglich, wie stabil diese Kursgewinne sind.
Quelle: ntv.de